Beißende Fische, weißer Hai und gefährliche Quallen vor Mallorca: Stimmt das alles?

Die MZ hat bei dem aus dem Fernsehen bekannten Meeresbiologen Uli Kunz nachgefragt

Ein Forschungstaucher auf Expedition im Mittelmeer.

Ein Forschungstaucher auf Expedition im Mittelmeer. / Uli Kunz

Ralf Petzold

Ralf Petzold

„Wenn die Urlauber wüssten, was so im Mittelmeer schwimmt, würden sie auf Mallorca nicht mehr baden gehen“, sagte Forschungstaucher Uli Kunz in einem Interview mit dem „Riffreporter“. Die MZ hat bei dem Moderator der ZDF-Reihe „Terra X“ nachgehakt. Neben der TV-Tätigkeit ist der 48-jährige Meeresbiologe und Unterwasserfotograf als Autor und durch seine Vortragsreihe bekannt.

Vor welchen Wesen aus der Tiefe müssen wir uns denn in Acht nehmen?

Das gilt für alle Meere. Da gibt es große Tiere, die tendenziell Personen töten, verletzen und auseinanderreißen können. Aber warum sollten sie das tun? Wir gehören nicht zu deren Beuteschema. Es gibt Weiße Haie im Mittelmeer, die bekommt aber normalerweise kein Mensch zu sehen, da sie weit draußen auf dem offenen Meer Thunfische jagen. Rund um Mallorca muss man sich eher um Quallen Gedanken machen, die nicht ausweichen können. Die Portugiesische Galeere zählt da zu den Klassikern. Die Exemplare sind extrem nesselnd. Die Tiere sind zwar nicht aggressiv, aber einfach nur da. Da schaue ich als Taucher, was über mir schwimmt.

Wobei diese Qualle nur selten auf Mallorca vorkommt...

Da wird hin und wieder eine angeschwemmt und sorgt dafür, dass der Strand gesperrt wird. Die großen Massenpopulationen gibt es noch nicht im Mittelmeer. Das sieht im Atlantik anders aus.

Sie haben mal erzählt, dass Sie gern mit einem Igelwurm tauschen würden. Warum?

Das wäre mal ganz angenehm. Ich hätte keine oder kaum Feinde, würde meine Tentakel ausstrecken und den ganzen Tag darauf warten, dass etwas Essbares drauffällt. Den Bonellia viridis haben viele Badegäste schon mal gesehen, ihn aber nicht erkannt. Das ist eine grüne Wurst, die aus dem Boden herausragt, die man leicht mit einer Alge verwechselt. Den Igelwurm findet man schon zwei Meter vom Strand entfernt. Es reicht, die Tauchmaske aufzuziehen und die Augen aufzuhalten.

Führt ein eher gemächliches Leben: der Igelwurm Bonellia viridis.

Führt ein eher gemächliches Leben: der Igelwurm Bonellia viridis. / Ralf Petzold

Haben Sie selbst denn sonst so viele Feinde?

Das nicht, das Leben ist aber einfach stressig. Die Leute denken, ich wäre im Urlaub, wenn ich in Korallenriffen drehe. Weit gefehlt. Ständig muss ich etwas umpacken, etwas organisieren, bei jeder Witterung ins Wasser gehen. Es ist trotz allem aber eine schöne Beschäftigung.

Ist Mallorca als Urlauberparadies Ihnen zum Tauchen zu langweilig oder warum waren Sie noch nicht hier?

Das würde ich nicht sagen. Das Mittelmeer ist überall toll. Wo es zu viele Urlauber gibt, da muss man halt um die Ecke schauen. Mallorca hat viele Felsküsten. So etwas ist für mich immer sehr attraktiv zum Tauchen. Ich selbst war noch nicht dort, aber was ich an Fotos und Videos gesehen habe, ist beeindruckend. Florian Huber, ein Mitglied meiner Forschungsgruppe, hat vor ein paar Jahren wochenlang auf Mallorca Höhlen untersucht.

Das klingt schon eher gefährlich. Worin besteht ist die Faszination am Höhlentauchen?

Das sind weiße Flecken auf der Karte unserer Erde, viele Höhlen sind unbekannt. Als Taucher können wir diese Gegenden erforschen.

Birgt das nicht auch Risiken?

Wie in anderen Sportarten braucht man eine gute Ausbildung und muss auf die richtige Ausrüstung achten. Jeder Tauchgang an einem Urlauberstrand mit einer Tauchflasche und unbekanntem Partner ist gefährlicher als mein Ausflug in die Höhle. Das klingt paradox, aber wir achten stark auf Sicherheit. In der Höhle haben wir bis zu drei Systeme dabei. Wenn eines kaputtgeht, haben wir genügend Ersatz, um weiter atmen zu können. Wir haben Zeit, um auf Defekte zu reagieren.

Es war eine Art Sommerloch-Thema: Urlauber, die sich auf Mallorca über beißende Fische aufregen. Was hat es damit auf sich?

Das Wasser im Mittelmeer war und ist extrem warm. Das hat natürlich einen Einfluss auf die Tiere. Je höher die Temperatur ist, desto schneller läuft der Stoffwechsel. Die Fische sind aktiver und brauchen mehr Nahrung. Es ist vorstellbar, dass es neue Verhaltensweisen gibt. Offenbar sind es junge Brassen. Forscher gehen davon aus, dass es Neugierde ist. Mir ist das Verhalten von Putzerfischen bekannt, die große Tiere von Parasiten befreien. Das habe ich auch schon als Mensch erlebt, das ist witzig. Man spürt da ein kleines Zwicken.

Die Wassertemperatur rund um Mallorca liegt derzeit immer noch bei rund 26 Grad. Was sind die weiteren Folgen der Meereserwärmung?

Mittlerweile sind die ersten wissenschaftlichen Studien zu dem Thema erschienen, die Folgen sind nachgewiesen. Warmes Wasser enthält weniger Sauerstoff als kaltes Wasser. Das macht einigen Tieren das Leben schwer. Der Thunfisch ist beispielsweise ein energiegeladener Torpedo der Ozeane. Der braucht viel Sauerstoff. Da ist es möglich, dass er nun in tiefere Gewässer zieht, wo das Wasser kälter ist. Die Erwärmung führt auch zu sogenannten Algenblüten, einer massenhaften Vermehrung von Algen. Das passiert explosionsartig binnen weniger Tage und kann andere Tiere ersticken. Das Seegras leidet, da das Licht nicht mehr zum Meeresboden durchdringt. Manche Algen entwickeln auch Giftstoffe. Das haben wir kürzlich im Amazonas erlebt, wo es zu einem Massensterben von Delfinen kam. Ein ähnliches Phänomen haben wir bei dem Fischsterben in der Oder gesehen.

Forschungstaucher Uli Kunz.

Forschungstaucher Uli Kunz. / Privat

Noch ein großes Problem: die Überfischung.

Da kann ich nur Daten zum Thunfisch liefern, den ich gerade erforsche. Vor zwölf Jahren gab es fast gar keine Exemplare mehr. Durch Fangverbote hat der Thunfisch ein unglaubliches Comeback hingelegt. Jetzt gibt es ihn wieder in großen Mengen. Das zeigt, dass sich ein Lebensraum erholen kann, wenn man ihn sich selber überlässt.

Es gibt also noch Hoffnung?

Ich mag das Wort nicht, da das nach Inaktivität und Abwarten klingt. Es gibt Projekte, die in die richtige Richtung gehen. Wir sind aber noch weit davon entfernt, das Mittelmeer zu sehen, wie es vor 200 Jahren war. Die Fischmengen damals müssen großartig gewesen sein. Derzeit geht es den Ozeanen schlechter als je zuvor. Das wird sich an vielen Stellen auch noch verschlimmern. Korallen werden in zehn bis 15 Jahren vielerorts aussterben. Da wird kein Wunder kommen. Das Meer gerät immer weiter unter Druck, da die Menschen ihren Nutzen daraus ziehen wollen.

Was kann jeder Einzelne tun, damit es mit dem Meer nicht weiter bergab geht?

Mit unserer aktuellen Lebensform ist der Naturschutz nicht vereinbar. Wenn alle so leben würden wie die Deutschen, bräuchten wir drei Planeten. Dabei geht es um alle möglichen Ressourcen: sauberes Wasser, Luft, Metalle, Erdöl. Wir können da schlecht mit dem Finger auf jemanden zeigen. Wir sind alle schuld daran, mit unseren Reisen, Autofahrten und neuen Handys. Mein großer Wunsch wäre, dass wir nicht immer nur auf Geld und Karriere schauen, sondern einfach mal stehen bleiben und nachhaltig leben. Wie das aussehen soll, kann man sich nicht vorstellen. Da gehört viel Verzicht dazu, auch wenn das die meisten Menschen nicht hören wollen. Irgendwann wird der Punkt kommen, dass wir darunter leiden und die Lebensqualität abnimmt.

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