Tourismusgipfel in Palma: Wie wird der Mallorca-Urlaub im Jahr 2030?

Der Tourismus auf der Insel boomt, als hätte es Corona nie gegeben. Doch die Branche steht vor großen Umwälzungen. Wie Experten im Vorfeld eines EU-Ministertreffens in Palma die Debatte um soziale Nachhaltigkeit, die Explosion der Preise und die Folgen des Klimawandels einschätzen

Wohin die Reise 
für Mallorca geht

Wohin die Reise für Mallorca geht / Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Wenn der Oktober zu Ende geht, ist auf den Balearen Zeit für eine Saisonbilanz. Die letzten Badeurlauber packen ihre Koffer, viele Hotels bereiten die Schließung für den Winter vor. In diesem Jahr allerdings kommt auf Mallorca die Urlauberindustrie an sich auf den Prüfstand, und nicht nur die der Balearen, sondern von ganz Europa: Am 31. Oktober treffen sich in Palma die EU-Tourismusminister im Rahmen der spanischen EU-Präsidentschaft (siehe Kasten unten).

Kaum eine Region in Europa hängt wirtschaftlich derart vom Urlaubergeschäft ab wie die Balearen, die Branche hat längst wieder Dimensionen wie vor der Corona-Krise erreicht. In den ersten acht Monaten dieses Jahres kamen knapp 10,5 Millionen ausländische Urlauber auf die Inseln, 8,6 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Zeichen stehen auch politisch auf Wachstum: Hatte die im Mai abgewählte Linksregierung Höchstgrenzen für Gästebetten festgelegt und eine maximale Zahl der täglich in Palma ankernden Kreuzfahrtschiffe ausgehandelt, stellen die jetzt regierenden Konservativen diese Limits auf den Prüfstand und wollen sie mittelfristig aufweichen.

Die Debatte um Urlaubermassen und Nachhaltigkeit, um die Folgen von Kreuzfahrttourismus und Ferienvermietung, um Klimawandel und Flugscham stellt nicht nur die Balearen vor Herausforderungen. Wie stehen die Inseln in diesen Fragen da? Und wie gehen andere Destinationen damit um? Antworten liefern von der MZ befragte Tourismusexperten aus Deutschland und Österreich.

Rezepte gegen Overtourism

Die Coronapandemie bedeutete auch für die globale Overtourism-Debatte eine Zäsur – die Hotspots des Massentourismus waren plötzlich verwaist. „Wenn gar nichts läuft, ist das auch nicht gut“, fasst Bernd Schabbing den Eindruck der lokalen Bevölkerung zusammen. Der Unmut mit den negativen Auswirkungen des Ansturms sei zunächst der Erleichterung gewichen, dass die Wirtschaft nach der Pandemie schnell wieder ansprang, so der Unternehmensberater, Tourismusprofessor und Studiengangsleiter an der International School of Management in Dortmund. „Die vorherrschende Stimmung war: Endlich läuft es wieder, lasst uns erst mal Geld verdienen und für Liquidität sorgen.“ Nach dem Motto: Zwar kommen wir um die sozialen und ökologischen Herausforderungen nicht herum, aber mit vollen Auftragsbüchern lassen sie sich besser stemmen.

Während die Debatte über die soziale Nachhaltigkeit des Tourismus auf den Balearen bereits 2022 wieder voll durchbrach, dauert es in anderen Destinationen in Europa etwas länger, hat Helmut Wachowiak beobachtet, Leiter Tourismusmanagement an der Internationalen Hochschule (IU) in Deutschland. „Die Debatte wird zwar zwangsläufig wiederkommen, sie wird aber nicht mehr so kritisch geführt werden wie vor Corona.“ Wachowiak verweist auf zunehmend konstruktive Ansätze. „In Deutschland wird derzeit viel über Besucherlenkung gesprochen.“ Für ein solches Monitoring benutze man etwa Handydaten und informiere dann beispielsweise in Echtzeit darüber, welche Parkplätze bereits voll seien. Gerade Bayern zeige sich in dieser Hinsicht sehr innovativ und könne Mallorca als Vorbild dienen.

Eine andere Stellschraube, an der nicht nur die Balearen drehen, ist die Regulierung des Übernachtungsangebots. Hatte die linke Vorgängerregierung beschlossen, die Zahl der Gästebetten zu limitieren und langfristig zu senken, wollen die Konservativen dies wieder aufheben. Einen ähnlichen Bettenstopp gibt es in Südtirol, wo vergangenes Jahr beschlossen wurde, dass abgesehen von Ausnahmen keine weiteren Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen werden dürfen. Das Ziel: Die Zahl der Touristen soll künftig das Niveau aus dem Jahr 2019 nicht mehr überschreiten.

Qualität statt Quantität

Balázs Kovács, internationaler Tourismusexperte und Leiter des Wiener Beratungsunternehmens GD Consulting, empfiehlt, sich nicht auf die Besucherzahlen zu konzentrieren, sondern einen generellen Paradigmenwechsel im Tourismus einzuleiten und ihn in eine „Besucher-Ökonomie“ umzuwandeln. Statt von Reisedestinationen spricht er denn auch von „Erlebnisräumen“, in denen sich Urlauber und Einheimische auf Augenhöhe begegnen – ein Konzept, laut dem die Fremdenführer in Österreich nun zu „Moderatoren von Begegnungen“ werden sollen. Die Menschen vor Ort müssten in den Tourismuskonzepten mitgedacht werden, damit es zu Win-win-Situationen komme. Als Anekdote verweist Kovács nach Kopenhagen: Urlauber können in den dortigen Kanälen kostenlos Kajak fahren, wenn sie gleichzeitig Müll einsammeln, der auf dem Wasser schwimmt.

Wo die Overtourism-Debatte auf Mallorca meist ideologisch geführt wird, dürften die wirtschaftlichen Entwicklungen – Inflation, Energiekosten, Krise in den Quellmärkten – ohnehin die Zahlen neu ordnen. Angesichts steigender Hotelpreise und der Verteuerung der Transportkosten können sich immer weniger Familien der Mittelschicht ohne Weiteres zwei Wochen Mallorca-Urlaub leisten, wenn dieser drei Monatsgehälter aufzufressen droht. Der Reiseveranstalter Tui etwa geht davon aus, dass sich die Teuerungsrate bei den Pauschalreisen im kommenden Jahr auf rund zehn Prozent beläuft. Das Buchungsportal Holidaycheck hat analysiert, dass der Mallorca-Urlaub im Vergleich zu 2019 schon jetzt um ganze 27 Prozent teurer geworden ist. Besserverdiener, die bekanntlich weniger von der Inflation betroffen sind, fliegen dagegen mehrfach im Jahr.

Boom statt Flugscham

Diese Scherenentwicklung – einerseits kein Urlaub, andererseits mehr Urlaub – zeigt auch der Rückgang bei Pauschalreisen. Die Kundenzahl schrumpfte laut dem DRV verglichen mit 2019 um 16 Prozent. Anderseits stieg laut einer Studie der Stiftung für Zukunftsforschung die Zahl der Deutschen, die sich pro Jahr eine zweite Urlaubsreise gönnen, innerhalb von zehn Jahren von zehn auf in diesem Jahr 29 Prozent.

„Das deckt sich auch mit vielen anderen Beobachtungen“, beschreibt Wachowiak die Tendenz zu höherwertigem Tourismus. Es gibt schließlich – zumindest weltweit gesehen – eine genügend große Zielgruppe, die hohe Urlaubskosten in Kauf nimmt – eine neue globale Oberschicht, die den Tourismus boomen lässt. „Für Mallorca sind das positive Aussichten, gesamtgesellschaftlich muss man das kritisch sehen.“

Dass es seit vergangenem Jahr Direktflüge zwischen New York und Palma gibt und in Zukunft nach dem Willen der Landesregierung auch mit China, passt da nur ins Bild. Auf Mallorca ist die Luxusoffensive ohnehin in vollem Gange. Die nächsten Highlights sind kommendes Jahr das Four Seasons Formentor oder das Mandarin Oriental Punta Negra in Costa d’en Blanes. Und auch an der Playa de Palma steigt mit der Zahl der Sterne das nötige Budget der Hotelgäste – allen Schlagzeilen um Party-Exzesse am Ballermann zum Trotz.

Das Wort Flugscham, das vor der Corona-Krise kurzzeitig die gesellschaftliche Debatte bestimmte, ist heute nur noch ein Nischenthema. Da sei ein Trend heraufbeschworen worden, der keiner sei, so Experte Schabbing. Er beobachtet ein gespaltenes Verhältnis der Deutschen zum Thema Flugemissionen. Zwar wolle jeder etwas fürs Klima tun und trennt gerne seinen Müll, „aber beim Urlaub hört der Spaß auf, das ist eine heilige Kuh“. Hinzu komme eine Art Nachholbedarf nach den Corona-Restriktionen. „Die junge Generation will wieder die Welt für sich entdecken, etwa beim Trip nach Australien“, sagt Wachowiak.

Während innerdeutsch die Bahn als Reisemittel an Bedeutung gewinnt, stehen im internationalen Flugverkehr alle Zeichen auf Wachstum, wie etwa die Expansionspläne von Ryanair oder die Auftragsbücher für Airbus und Boeing zeigen. In der Flugbranche herrscht Optimismus – Spritkosten, CO²-Abgaben und Personalmangel zum Trotz. Einen derartigen Wachstumskurs hätte er sich noch vor zwei Jahren nicht vorstellen können, so Wachowiak.

Sommer-Urlaub im Oktober: So sieht es derzeit am Strand von Alcúdia auf Mallorca aus

Strand von Alcúdia / Nele Bendgens

Zu heiss im Sommer

Während Klimaschützer an der Politik verzweifeln, sind die Auswirkungen des globalen Klimawandels längst für jeden Urlauber spürbar, der im Hochsommer nach Mallorca kommt. Hitzerekorde, Tropennächte, Warnstufen – derart schwitzend lässt sich schlecht erholen. Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission hat ergeben, dass bei einem Anstieg der Durchschnittstemperaturen um vier Grad – das pessimistischste von vier betrachteten Szenarien – die Zahl der Hotelübernachtungen auf den Balearen um 8,2 Prozent im Vergleich zu 2019 zurückgehen dürfte. Die Inseln gehören damit neben den griechischen Inseln und Zypern sowie auch Portugal zu den Regionen, die den größten Rückgang der Urlauberzahlen in Kauf nehmen müssten. Dass zudem langfristig durch den ansteigenden Meeresspiegel auch die Strände bedroht sind, ist in dieser Rechnung noch nicht berücksichtigt.

Zum Teil werde das Urlauber-Minus im Hochsommer durch ein Besucherplus während der Nebensaison ausgeglichen, prognostiziert die EU-Studie. Die Frage werde dann allerdings sein, ob eine Urlaubsdestination auch attraktive Produkte jenseits des Strandtourismus im Angebot habe, so Experte Kovács. Deswegen sei es eine zentrale Aufgabe der Tourismuspolitik, diesen Wandel rechtzeitig zu gestalten.

Ärger mit Pötten und Airbnb

Auch mit dem Limit für Kreuzfahrtschiffe in Palma – derzeit sind maximal drei pro Tag erlaubt – steht Mallorca nicht alleine da. Tagesobergrenzen gibt es in Dubrovnik. In Venedig kommt zum Verbot für zu große Pötte bald auch eine Eintrittsgebühr für Landgänger hinzu, die nicht in der Stadt übernachten. „Mallorca sollte nicht warten, bis venezianische Verhältnisse herrschen“, rät Schabbing. Bei den lokalen Politikern sei Rückgrat gefragt, um den Druck der Reedereien auszuhalten. Denn diese seien darauf angewiesen, attraktive Häfen anzubieten, und „Mallorca rangiert da im oberen Mittelfeld, das nimmt jeder gerne mit“.

Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Palma

Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Palma / Manu Mielniezuk

Die Herausforderung besteht nach Einschätzung von Wachowiak darin, Tagestouristen in rentablere Übernachtungstouristen umzuwandeln – statt ein Eis zu schlecken oder Souvenirs zu kaufen, lassen sie Geld in Hotels und Restaurants. Wenn es ein Limit gebe, sei das auch im Interesse der Besucher: „Je mehr Touristen, desto geringer die Aufenthaltsqualität.“

Tagung: Die EU bespricht in Palma die Agenda für den Tourismus 2030

Wie lässt sich soziale Nachhaltigkeit im Tourismus messen? Wie funktioniert ein Gleichgewicht zwischen konventionellen Urlauberunterkünften und dem „Housing for Tourist Use“, wie es etwa Airbnb vormacht? Und wie sehen vorbildliche Beschäftigungsmodelle im Tourismus aus? Mit diesen Kernfragen beschäftigt sich am 30. Oktober das Europäische Tourismusforum, dass anlässlich der spanischen EU-Präsidentschaft auf Mallorca stattfindet. Am Folgetag steht dann in Palmas Kongresszentrum ein informelles Treffen der EU-Tourismusminister an, sie sprechen über soziale Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit, wie sie auch in der Tourismusagenda 2030 thematisiert sind. Aus Deutschland, wo es kein eigenes Tourismusressort im Kabinett gibt, wird Dieter Janecek erwartet, Koordinator der Bundesregierung für Maritime Wirtschaft und Tourismus.

Dass es kein weiteres Wachstum geben soll, das steht zumindest bei der Ferienvermietung weiterhin fest – Palma denkt sogar über ein Verschärfung des Verbots nach, Apartments an Urlauber zu vermieten, nach wie vor klappt es aber kaum mit der Kontrolle. Andere Metropolen gehen inzwischen strikt gegen Airbnb und Co. vor: San Francisco oder Berlin erlauben maximal 90 Tage Ferienvermietung pro Jahr, New York setzt voraus, dass der Besitzer selbst in der Wohnung wohnt – so sollen wieder mehr Angebote zur Langzeitmiete auf den Markt kommen.

Wachowiak begrüßt Initiativen für mehr Transparenz, warnt aber davor, die Schuld für die Wohnungsnot allein bei der Ferienvermietung zu suchen. Studien in Berlin wiesen zwar eine Verschärfung der Probleme nach, aber in geringerem Maße, als meist angenommen. Andere Faktoren würden unterschätzt.

Würde Airbnb wie ursprünglich im Sinne der Sharing Economy funktionieren, wäre dies nach Meinung von Kovács ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn es Mallorca gelinge, im Urlaubergeschäft die Lebensqualität der Einheimischen mitzudenken und einen Paradigmenwechsel einzuleiten, könnte es zum Vorreiter des Tourismus der Zukunft werden.

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