„Vielleicht müssen wir zurückbauen": Die Hotelierschefin von Cala Millor über die Folgen des Klimawandels

Eine Gespräch mit der Hoteldirektorin, Verbandssprecherin und Ingenieurin Inés Batle über die abgelaufene Saison, den schwindenden Strand und das Projekt, das die Zukunft des Urlaubsortes sichern soll

Die Hotelierschefin von Cala Millor, Inés Batle, am Strand des Urlaubsortes (Archivbild).

Die Hotelierschefin von Cala Millor, Inés Batle, am Strand des Urlaubsortes (Archivbild). / Nele Bendgens

Inés Batle leitet seit 2021 die Hoteliersvereinigung von Cala Millor. Neben Inflation und Infrastruktur- und Personalproblemen beschäftigt sich die Chefin des Hotels Morito auch intensiv mit dem Klimawandel. Der Strand, die wichtigste Ressource des bei Deutschen beliebten Urlaubsgebietes, ist bereits deutlich geschrumpft. Hier setzt das Projekt LifeAdapt an.

Frau Batle, wie blicken Sie auf die abgeschlossene Saison?

Unsere Bilanz ist positiv. Trotz Inflation, Krisen und Krieg und trotz einiger Mitglieder unseres Verbandes, die etwas schwerer über die Runden gekommen sind, war die Saison recht ausgewogen. Personalprobleme begleiten uns aber auch weiterhin.

Wie äußern sie sich?

Der öffentliche Nahverkehr in der Region Levante und um Cala Millor bereitet uns Sorgen. Wir brauchen sowohl für die Einwohner als auch für unsere Mitarbeiter bessere Anbindungen. Das Tourismusgeschäft ist ein 24-Stunden-Betrieb, was leider nicht zu den derzeitigen Busplänen passt. Weder nach Son Servera noch nach Artà kann man von hier aus direkt fahren. Das müssen unsere Mitarbeiter allerdings, da es in Cala Millor dank Ferienvermietung nur noch wenig bezahlbaren Wohnraum gibt. Die Verantwortlichen binden bisher immer nur Palma an das Verkehrsnetz an, die Orte in der Region Levante im Nordosten sind aber auch wichtig. Dafür arbeiten wir mittlerweile mit der Gemeinde Capdepera zusammen, die sich wie wir auch für die Zugverbindung, den Tren de Llevant, ausspricht.

Die Rede ist von einer doppelten Insellage. Was ist damit gemeint?

Das versuchen wir mit den Kollegen vom Hoteliersverband Capdepera immer wieder deutlich zu machen. Touristen, die im Oktober oder November auf die Insel kommen, bevorzugen Unterkünfte, die näher an Palma sind. Dieser Tage war Cala Millor zudem nach starken Regenfällen überschwemmt. Schon bei der Flutkatastrophe von vor fünf Jahren wurde die Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen. Es geht uns also nicht nur um eine Zugverbindung, sondern auch um die Instandhaltung von Straßen und Wasserläufen – ganz unabhängig davon, wer gerade regiert.

EU fördert Klimaprojekt LifeAdapt mit 1,3 Millionen Euro

Mit dem Projekt LifeAdapt Cala Millor soll der Strand von Cala Millor langfristig an den Klimawandel angepasst werden. Bis 2027 untersuchen Wissenschaftler die Auswirkungen des Anstiegs des Meeresspiegels, um daraus praktische Konsequenzen zu ziehen. In das Projekt fließen 2,3 Millionen Euro, 1,3 Millionen davon sind Fördergelder der EU. Beteiligt an dem Projekt sind auch die Balearen-Universität sowie die Universität Kantabrien. 

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Mit dem Projekt LifeAdapt ist Cala Millor nun Vorreiter in Sachen Anpassung an den Klimawandel.

Das stimmt. Wir wollen ein Vorbild sein. Das bedeutet allerdings auch, dass das gesamte Reiseziel Mallorca in Sachen Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit große Anstrengungen unternehmen muss, um mit dem Klimawandel Schritt zu halten. Es nützt nichts, wenn wir hier Erfolge erzielen und der Rest der Destination nicht mitzieht.

Einer der am besten erforschten Strände der Welt

Warum wurde gerade Cala Millor als Modellprojekt ausgewählt?

Weil der Strand hier schon seit mehr als 20 Jahren erforscht wird. Er ist der am dritthäufigsten überwachte Strand der Welt.

Wie spüren Sie hier die klimatischen Veränderungen?

Durch die Stürme und den Klimawandel hat der Strand von Cala Millor etwa 13 Meter an Breite verloren. Im Rahmen des Projekts untersuchen die Wissenschaftler, warum sich der Strand langsamer als früher erholt, denn Abtragungen gab es schon immer. Wenn die Gründe einmal feststehen, ist es an Ingenieuren und Architekten zu versuchen, mit natürlichen Lösungen Sand zurückzugewinnen. Vielleicht müssen wir bepflanzen oder die Strandpromenade von Cala Millor verändern. Vielleicht müssen wir auch zurückbauen, aber das werden wir erst wissen, wenn wir in vier Jahren die Ergebnisse des Projekts vorliegen haben.

Was tragen die Gemeindeverwaltungen von Sant Llorenç und Son Servera, auf deren Gebiet der Urlaubsort Cala Millor liegt, zur Anpassung bei?

Sie arbeiten bereits an verschiedenen Projekten. Wir wissen zum Beispiel, dass das Wasser, das bei jedem Regenfall die Straßen zum Strand hinunterfließt, Sand abträgt. Also haben die Gemeinden damit begonnen, es besser zu kanalisieren. Zudem gibt es einen Masterplan für die Wiederverwendung des aufbereiteten Wassers. Die Kläranlage hat einen sehr hohen Salzgehalt, auch da gibt es ein Projekt. Der Hotelverband arbeitet indes mit der Abteilung für den Wasserkreislauf von Sant Llorenç zusammen. Im November wird mit dem Bau eines städtischen Drainagesystems begonnen. Es geht im Grunde nicht nur um das LifeAdapt-Projekt: Wenn wir nicht selbst daran arbeiten, haben wir zwar den Strand an den Klimawandel angepasst, aber keine Lösungen für uns als Anwohner und Unternehmer.

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Sie haben es geschafft, den privaten mit dem öffentlichen Sektor einzubinden.

Ja, wir arbeiten Hand in Hand, und die Synergien, die sich ergeben, tun der Gesellschaft gut. Wir leben in einer sehr individualistischen Gesellschaft und sollten unsere Denkweise ändern. Wir müssen ein wenig verlieren, um viel zu gewinnen. Wir müssen großzügig sein. Außerdem ist der Strand für uns als Unternehmer unser wichtigstes Gut. Es ist das Foto des Strandes, das einen Urlauber dazu bringt, sich für das eine oder andere Reiseziel zu entscheiden, denn wunderbare Hotels gibt es doch überall auf der Welt. Der Klimawandel versetzt uns immer wieder in Angst und Schrecken. Und wenn wir sehen, dass es ein Problem gibt, müssen wir es angehen. Das Projekt begann am 1. Januar 2023, wir haben aber zwei Jahre daran gearbeitet, um es auf europäischer Ebene vorzustellen. Jetzt arbeiten und forschen wir, um in vier Jahren Ergebnisse zu haben. Wir arbeiten auch auf gesellschaftlicher Ebene, um herauszufinden, wie die Öffentlichkeit den Klimawandel wahrnimmt. In diesen Jahren müssen wir das Bewusstsein der Menschen schärfen, denn es wird schwierig sein, ihre Einstellung erst zu ändern, wenn wir die Ergebnisse des Projekts vorliegen haben.

Die Lösungen einer Ingenieurin

Für Sie als Ingenieurin, was sind die naheliegendsten Lösungen?

Die natürlichen Lösungen. Die Entfernung der Betonmauer, die Promenade weiter nach hinten zu verlegen, damit der Strand mehr Platz bekommt. Um das umzusetzen, ist es wichtig, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und aufzuklären. Ich glaube, dass LifeAdapt nicht nur für Cala Millor, sondern auch für die übrigen Stadtstrände der Balearen von Bedeutung sein wird. Wir sind die Ersten. Wir sind diejenigen, die die Methodik einführen werden. Eine Vorreiterrolle hat ihre guten und schlechten Seiten. Es kann uns mehr kosten, aber es kann auch sein, dass wir als Erste mehr Hilfe bekommen. Wir haben eine große Verantwortung, das Bewusstsein in unserem Tourismussektor zu schärfen.

Was treibt Sie als Hotelchefin und Ingenieurin am meisten zu diesem Projekt an?

Zunächst einmal handelt es sich um ein Umweltprojekt, und ich habe mich schon immer zu diesem Thema hingezogen gefühlt. Außerdem ist es ein Vorhaben, das die gesamte Gesellschaft einbezieht. Es ist eine Herausforderung, bei etwas so Wichtigem der Erste zu sein. Für die Hoteliers ist dieses Projekt ein Ansporn, unsere Häuser weiterhin in gutem Zustand zu halten. Die Menschen denken nur wenig daran, was in 50 Jahren sein wird. Es ist tatsächlich schwer, sich das vorzustellen. Sie glauben, das sei noch lange hin. Aber wir müssen umdenken und aufhören, über 2050 oder 2100 zu reden. Die Notlage und die Dringlichkeit sind jetzt. LifeAdapt treibt uns an, die Dinge in die Hand zu nehmen.

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