Man muss der Typ dafür sein. Wohngemeinschaften haben unbestreitbare Vorzüge – günstige Miete, Gesellschaft beim Essen (sofern gewünscht) oder das beruhigende Gefühl, dass es nicht schlimm ist, wenn man einmal den Hausschlüssel vergisst. Aber geteiltes Leid kann auch schnell doppeltes Leid werden, wenn die Vorstellungen von Sauberkeit, Ruhe und respektvollem Miteinander stark auseinandergehen. So weit, so klar.

Wer sich auf Mallorca für diese Wohnform entscheidet, kann jedoch einige Dinge getrost vergessen, die in Deutschland Standard sind – ob es um die Vorlaufzeit der Recherche geht oder die Ansprüche seitens der Vermieter und Mitbewohner. Der folgende Überblick fußt auf jahrelanger und in beiden Ländern gesammelter WG-Erfahrung zweier MZ-Redakteure.

Die Suche

Wenn man nicht das Glück hat, über persönliche Kontakte an ein Zimmer zu kommen, beginnt die Suche zumeist im Internet. In Deutschland ist die Anlaufstelle Nummer eins „WG-gesucht.de“, auf der Insel ist neben Facebook-Gruppen („Mallorca. Alquiler de habitaciones. Corta y larga duracion“) das Portal „Idealista“ geläufig.

So sehr sich die Seiten mit ihren Suchfiltern auf den ersten Blick ähneln, so unterschiedlich werden sie am Ende mit Informationen gefüttert. Ein Charakteristikum vieler deutscher Annoncen: ellenlange Beschreibungen des WG-Lebens. Schon vor der ersten Kontaktaufnahme weiß man in der Regel genauestens über Namen und Alter der potenziellen Mitbewohner, deren Berufe und persönliche Interessen Bescheid. Es wird der ideale Deckel zum gemeinschaftlich genutzten Topf gesucht.

Auf Mallorca beschränkt man sich zumeist kurz und knapp auf die harten Fakten: die Ausstattung der Wohnung, die Lage und Einkaufsmöglichkeiten, den Preis. Wer sonst noch in der Wohnung lebt, erfährt der Suchende in den wenigsten Fällen. Auch wird oft nicht klar, wer überhaupt die Anzeige erstellt hat. Ein Bewohner? Der Vermieter? Eine Agentur?

Während es in Deutschland eine gute Idee ist, mit derselben Hingabe wie bei der Bewerbung um den Traumjob eine ausführliche, persönliche und liebenswürdige Nachricht zu schreiben, um vielleicht das Glück zu haben, eingeladen zu werden, geht es auf Mallorca meist wortkarger zu. Die Anrede wird gern komplett vergessen, es reicht vielen, bei Facebook einfach auf den Antwortbutton zu klicken, die Nachrichten wie „Ist der Artikel noch zu haben?“ erstellt. Manche Interessenten schreiben noch nicht mal Namen, Alter und gewünschte Mietdauer in das Anschreiben, von Beruf und Herkunft ganz zu schweigen. Oft haben sie auch den Text des Inserats gar nicht richtig gelesen und stellen Fragen, die dort bereits beantwortet wurden.

Die Castings

Das Muster setzt sich beim Auswahlverfahren für die Wohngemeinschaft fort. Wird man in Deutschland zum WG-Casting eingeladen, punktet man vor allem mit dem Charakter. Selbstvermarktung ist alles – es schadet nicht, zu beteuern, wie sauber und ordentlich man ist, dass Kochen zu den liebsten Hobbys überhaupt gehört und dass man selbstverständlich gern teilt. Stimmt die Chemie nicht, hat man allenfalls bei ausgewiesenen Zweck-WGs dennoch eine Chance.

Auf Mallorca gilt hingegen oft das Windhund-Prinzip: Wer das Zimmer zuerst anschaut und zusagt, bekommt es auch. Castings mit der vollständigen Mitbewohner-Besetzung sind die Ausnahme. In vielen Fällen führt der Hauptmieter, der Besitzer oder gar ein Mitarbeiter einer Agentur durch das Domizil.

Selbst wenn die potenziellen Wohnungsgenossen gerade zu Hause sind, heißt das nicht, dass sie auch ihre Zimmer verlassen, um ein paar Worte zu wechseln. Bei der Entscheidung ist ihre Stimme meist nicht gefragt. Und umgekehrt weiß man als Neuling auch nach der Besichtigung noch immer nicht, mit wem man eigentlich zusammenleben wird. Es ist, als müsse man sich nach dem ersten Date direkt entscheiden, ob man heiratet oder es sein lässt. Aber natürlich kann es dabei auch mal ein Happy End geben.

Das Angebot

Vielleicht ist es ein Stück weit Klischee, dass man in nördlicheren Gefilden mehr Wert auf Gemütlichkeit legt und gern Geld in die Hand nimmt, um das Zuhause mit schönen Möbeln und Dekoration auszustatten. Doch die Erfahrung auf Mallorca zeigt: Kostspielig und modern eingerichtete Domizile sind eher etwas für die Ferienvermietung. Bei den Wohnungen für das gemeine Volk – ob geteilt oder nicht – sollte man sich in puncto Ausstattung auf Abstriche gefasst machen. Heizung und Klimaanlage sind ein Bonus, keinesfalls Standard. Und die Wände oft dünn wie Pappmaché. Dadurch erreicht man mit seinen Mitbewohnern schnell ein unfreiwillig hohes Maß an Intimität.

WG-Zimmer in Deutschland sind meistens unmöbliert, wer häufig umzieht, nimmt dann sein gesamtes Hab und Gut mit. Ist doch noch – zumindest teilweise – Mobiliar vorhanden, wird dazu eine großzügig bemessene Ablösesumme verlangt. Auf der Insel überwiegen ganz klar die möblierten Zimmer, wobei die Einrichtung nicht extra zu Buche schlägt. Dafür wird man oft mit den wackeligen, dunklen Möbeln der Urgroßmutter oder mit einem neuen, aber offenkundig billigen Bettgestell mit noch billigerer Matratze vorliebnehmen müssen.

Die Erwartungen

Es gibt ja grundsätzlich verschiedene Formen des Modells Wohngemeinschaft. Neben den klassischen Studierenden-Konstellationen sind in Deutschland Berufstätigen-WGs als bewusste Lifestyle-Entscheidung verbreitet. Natürlich geht es auch hier darum, Geld zu sparen, weil bezahlbarer Wohnraum für Singles rar ist. Aber nicht selten finden sich, gerade in den großen Städten, gut verdienende Menschen zwischen Mitte 20 und 40 zusammen, um aus der Not eine Tugend zu machen: Sie teilen sich eine großzügige, komfortable Wohnung, verwandeln sie in ein fast schon luxuriöses Heim.

Dieses irgendwo zwischen savoir vivre und Co-Working-Space angesiedelte Phänomen findet man auf Mallorca eher selten. Häufiger als gut situierte Berufseinsteiger werden einem Menschen begegnen, die die finanzielle Not dazu zwingt, ein Zimmer unterzuvermieten: etwa ein junges Paar mit Kind, das mittelfristig den Platz einer größeren Wohnung braucht, aber ein geringes Einkommen hat. Oder eine alleinstehende Frührentnerin, die ihre Tochter unterstützen möchte, die auf dem Festland studiert, und deren altes Zimmer anbietet. Erst einmal bis zu den nächsten Semesterferien, dann wird man weitersehen.

Ähnliches gilt für die Mieter. Geringverdiener suchen oft nach einem Zimmer für die ganze Familie. Ein zehn Quadratmeter großes Zimmer mit kleinem Bett? Die südamerikanischen Eltern mit zwei Kindern wären einverstanden, solange der Preis stimmt.

Der wohl größte kulturelle Unterschied in Bezug auf die Ansprüche: In Deutschland gilt My room is my castle. Solange man im eigenen Zimmer kein geheimes Drogenlabor einrichtet oder eine Leiche versteckt, hat man in der Regel absolute Narrenfreiheit und könnte dort sogar eine Orgie veranstalten. Mindestens aber mal Übernachtungsbesuch mitbringen. Genau das ist jedoch auf Mallorca oft verpönt.

Selbst wenn sich der in Annoncen häufig angekreuzte Zusatz „no se admiten parejas“ (keine Paare erlaubt) meist auf das gemeinsame Mieten und dauerhafte Bewohnen des Zimmers beziehen sollte: Wer eine feste Beziehung hat, sollte unbedingt (!) nachfragen, ob das ein Problem darstellt. Denn das tut es häufig. Nicht nur bei der konservativen Frührentnerin mit der studierenden Tochter, die bei diesem Punkt das bis dato vielversprechende Telefonat beendete, sondern erstaunlicherweise auch bei jungen Leuten. Besonders absurd wird es, wenn in der Anzeige dennoch „LGBT friendly“ steht: Man darf also nach Herzenslust lieben, wen man möchte – nur bitte nicht zu Hause …

Und dann wäre da noch die wohl extremste Form der Zweck-WG, die das Wort „Gemeinschaft“ nicht mehr verdient: Hier ist den Beteiligten wirklich völlig egal, wer mit ihnen Tür an Tür lebt. Ein so erlebtes Beispiel: eine junge Frau, die seit Kurzem auf Mallorca wohnt und sich in der Saison mit zwei Jobs – putzen und kellnern in einem Restaurant – über Wasser hält. Von einer Schicht geht es direkt zur nächsten. „Ich schlafe kaum und bin nur wenige Stunden zu Hause, wir werden uns also praktisch nie begegnen“, sagte die Hauptmieterin bei der etwa fünfminütigen Wohnungsbesichtigung, während der schon die nächsten Bewerber an der Tür klingelten. Ein weiteres Zimmer hatte sie bereits an ein Paar untervermietet, das just in dem Moment zur Haustür eintrat und nicht einmal den Kopf zur Begrüßung hob.

Die Stolperfallen

Die Wohnungsnot auf Mallorca wird gern von Miethaien ausgenutzt. Beliebte Maschen sind, zwei, drei Monate Kaution zu fordern und diese bei Auszug nicht zurückzuzahlen. Manche Vermieter werfen die Mitbewohner im Sommer raus, um die Zimmer dann teuer über Airbnb an Urlauber zu vermieten. Während in Deutschland ein Mietvertrag fast schon obligatorisch ist, gibt es ihn auf der Insel sehr selten. Viele Vermieter haben Angst vor dem Finanzamt. Die Miete soll bar gezahlt werden, einer Anmeldung bei der Meldebehörde (empadronamiento) stimmen sie nicht zu.

Für Ärger kann auch die Stromrechnung sorgen. In Deutschland lassen sich über Zähler an den Heizkörper individuelle Kosten aufteilen. Das geht bei den kleinen Elektroheizungen auf Mallorca nicht.

Das Fazit

Falls das gezeichnete Bild der Wohngemeinschaften auf Mallorca sich als Schreckensszenario liest: Gar so schlimm ist es nicht. Dass man eine Besenkammer zu Wucherpreisen mietet, kann einem genauso gut in Deutschland passieren. Und viele Wege führen ans Ziel, um eine WG zu finden, bei der das Zusammenleben am Ende harmonisch ist. Hier wie dort heißt es vor allem anderen: Augen auf und auf das Bauchgefühl hören.