Es ist bisher nicht gerade häufig vorgekommen, dass man als Otto Normalbürger der Europäischen Union sein Leid in Sachen Behördenärger direkt klagen konnte. Doch die EU-Kommission unter dem Vorsitz von Ursula von der Leyen scheint die Nähe zu den Bürgern zu suchen. Die EU will in den kommenden Monaten sogenannte Grenzgänger in Europa zu ihren Erfahrungen im Alltag befragen. In erster Linie soll es dabei laut dem Zuständigen in Brüssel, Albert Raedler, darum gehen, Steuerhürden abzubauen, die auch zwischen Deutschland und Spanien für Ärger sorgen. Und hier kommen nun deutsche und österreichische Mallorca-Residenten ins Spiel: Von ihnen erwartet sich Raedler, der die Initiative von Brüssel aus koordiniert, eine aktive Mitarbeit bei der Ermittlung von Benachteiligungen. „Wir erhoffen uns von der Befragung, dass wir Geschichten aus der Bevölkerung darüber hören, wo es häufig hakt", sagt Raedler der Mallorca Zeitung.

Den größeren Rahmen zu dieser Initiative bildet der sogenannte „Tax Action Plan", den die Kommission im Juli 2020 verabschiedete. Dieser Aktionsplan besteht aus 25 Maßnahmen, die über die nächsten zwei bis drei Jahre abgearbeitet werden sollen. Das große Ziel der EU-Kommission lautet dabei: die europaweiten Steuersysteme vereinfachen und damit eine höhere Steuergerechtigkeit herstellen sowie Doppelbelastungen für EU-Bürger identifizieren und abstellen.

Um mit den bürokratiegeplagten Bürgern in Kontakt zu treten, hat die EU-Kommission inzwischen eine eigene Website mit der Befragung freigeschaltet (bit.ly/EU-Befragung). Da heißt es unter anderem: „Die Kommission würde gerne von EU-Bürgern erfahren, inwiefern sie als Arbeitnehmer, Grenzgänger, Anleger, Pensionär oder als Eigentümer einer Ferien­immobilie auf steuerliche Probleme gestoßen sind. Das kann zum Beispiel sein: Probleme in Bezug auf Telearbeit, Ablehnung von Bescheinigungen oder Dokumenten, Probleme bei der Rückerstattung von Steuern, Nichtanerkennung von Beiträgen, Spenden oder Ähnliches, Erfordernis der Abgabe mehrerer Steuererklärungen oder jegliches andere Hindernis, das das Leben der EU-Bürger mühevoller und auch kostspieliger gestaltet."

Dass es in steuerlicher Hinsicht häufiger hakt, wenn Spanien beteiligt ist, ist Brüssel nicht entgangen. Eines der augenfälligsten Beispiele ist das berüchtigte Modelo 720, mit dem auch die ausländischen Residenten in Spanien ihr Auslandsvermögen offenlegen müssen, wenn es in einem der Bereiche Konten, Immobilienbesitz oder Wertpapieren die Grenze von 50.000 Euro übersteigt. Seit Jahren kämpfen Steuerberater, wie etwa der Mallorquiner Alejandro del Campo, gegen dieses aus ihrer Sicht rechtswidrige Instrument und vor allem gegen die drakonischen Strafen an, die bei Fehlern in den Formularen oder versäumten Fristen fällig werden. Die Europäische Kommission in Brüssel hatte 2017 Madrid eine Frist gegeben, die Gesetzeslage zu ändern. Die Frist verstrich ohne Reaktion von Seiten der spanischen Zentralregierung. Im Juni 2019 entschied sich Brüssel zu einer Klage gegen den spanischen Staat, und die EU-Kommission zog in Sachen Modelo 720 vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.

Auch bei anderen Themen wie beispielsweise der Rentenbesteuerung treten zwischen Deutschland und Spanien immer wieder Probleme auf. So wird derzeit zahlreichen Mallorca-Residenten, die sich einen Teil des Jahres auf der Insel aufhalten, in Briefen mitgeteilt, dass ihre Rente nun im Zuge des Doppelbesteuerungsabkommens in Deutschland und Spanien versteuert werde. Das Problem dabei ist: In manchen Fällen funktioniert die durch das Abkommen vorgesehene Splittung der Steuerlast nicht, und die Betroffenen sollen in einem Land die gesamte Steuerlast begleichen und im anderen Land noch einmal die Hälfte.

Um nun den Fragebogen auf der Website der EU-Kommission auszufüllen, muss man sich registrieren - entweder mit dem elektronischen Personalausweis oder einfach über das persönliche Google-, Twitter- oder Facebook-Konto. Die Website und der Fragebogen sind prinzipiell auf Englisch verfasst, man kann sich die Seite aber auf Deutsch übersetzen lassen, was allerdings vor allem bei den Fachbegriffen nicht gerade reibungslos funktioniert. Neben persönlichen Angaben wird man bei der Befragung unter anderem darum gebeten, anzugeben, inwiefern man grenzüberschreitende Tätigkeiten oder grenzüberschreitende Einkünfte aus einem anderen Mitgliedstaat hat.

Die Befragung läuft noch bis zum 2. Juni. Mit den Ergebnissen will die EU-Kommission dann eine Empfehlung für die Mitgliedstaaten herausgeben, wie Albert Raedler erklärt. „Diese Empfehlung ist zwar nicht bindend, aber unser Ziel ist es, standardisierte Formulare in allen Ländern durchzusetzen, ganz egal in welcher Sprache sie im Endeffekt verfasst sind", sagt Raedler. Vor allem die Ansässigkeitsbescheinigungen sollen so vereinheitlicht werden.

In einem nächsten Schritt will die Kommission das Mammutprojekt „Frage der steuerlichen Ansässigkeit" angehen. „Die Steuerpflichtigen sollten klar und im Voraus wissen, wo sie Steuern entrichten müssen", teilt Raedler mit. Die Vorarbeiten hätten in diesem Bereich bereits begonnen. Aber bis es hier Ergebnisse gebe, werde es noch dauern.

Teilnahme an der Umfrage: bit.ly/EU-Befragung

Ob die Initiative der EU Aussicht auf Erfolg hat, ist bisher schwer einzuschätzen. Zunächst einmal mit Skepsis begegnet ihr Thomas Fitzner, Assistent der Geschäftsleitung bei der deutschen Kanzlei European Accounting. Im Gespräch mit der MZ analysiert der Österreicher die Initiative der EU und weist auf Schwierigkeiten der Steuergesetzgebung in Europa hin.

Wie einfach wird es werden, mehr Steuergerechtigkeit in der EU durchzusetzen?

Man muss sich erst einmal grundsätzlich im Klaren darüber sein, wo die Komplexität des Steuerrechts herkommt. Ein Thema ist die Sprache, die Kommunikation der Rechtssprechung. Da gibt es noch viel Luft nach oben, gerade auf nationaler Ebene. Zum zweiten leben wir in einer komplexen Realität. Das Ziel, gleichzeitig ein simpleres Steuerrecht und eine höhere Steuergerechtigkeit zu erhalten, ist unmöglich. Je simpler das Steuerrecht wird, desto ungerechter wird es. Und zum dritten mangelt es an einer Harmonisierung der Steuerregeln zwischen den EU-Ländern. Ein einfaches Beispiel: Deutschland definiert bereits die steuerliche Ansässigkeit anders als Spanien. Wenn sich die Länder nicht einmal bei diesem für das Doppelbesteuerungsabkommen so wichtigen Thema auf eine gemeinsame Linie einigen können, wird es schwierig.

Welche weiteren Beispiele für steuerliche Probleme zwischen Deutschland und Spanien gibt es?

Beispielsweise bei der Besteuerung von Wohneigentum. Stellen wir uns einen Deutschen vor, der in Spanien lebt und ein Haus mit vier Wohnungen besitzt. In Deutschland würde das als eine Wohneinheit betrachtet, und dementsprechend ist die Besteuerung recht einfach. In Spanien sind das vier getrennte Wohneinheiten, die alle einzeln bewertet werden müssen. Es ist immer wieder erstaunlich, welch große Unterschiede es in allen steuerlichen Bereichen zwischen den EU-Ländern gibt.

Welche Aussichten auf Erfolg hat vor diesem Hintergrund die EU-Initiative?

Ich bin zwar froh, dass das Thema nun aufgegriffen wird, gleichzeitig aber auch aus Erfahrung sehr skeptisch, dass wir mittelfristig dramatische Fortschritte sehen. Dazu mischen zu viele Länder mit, die ihre nationalen Eigenheiten nicht aufgeben wollen.