Über zwei Jahre lang war Javier Arranz als Chef-Epidemiologe der Balearen-Regierung so etwas wie der RKI-Präsident Lothar Wieler auf den Balearen. Immer wieder stand er dabei auch der Presse Rede und Antwort.

Nun ist die Maske seit Mittwoch weitgehend Geschichte. Macht Ihnen das Angst?

Nein, Angst auf keinen Fall. Es stimmt zwar, dass es weiterhin Fälle von Covid-19 gibt, aber die Schwere der Verläufe ist mit anderen Wellen nicht zu vergleichen. Ich bin für eine gewisse Vorsicht, was das Virus angeht, man sollte es weiterhin engmaschig beobachten. Aber ich freue mich über diesen Tag.

Auch an den Schulen wird die Maskenpflicht fallen. Birgt das keine Gefahr für die Großeltern der Schulkinder?

Die schweren Folgen für die Älteren kamen nicht vorrangig durch die Enkel, sondern vor allem durch die eigenen Söhne und Töchter. Man sollte sich außerdem vor Augen halten, dass nur die Pflicht zur Maske aufgehoben wurde. Aber diejenigen, die zu einer Risikogruppe gehören, wissen sehr genau, dass sie gut beraten damit sind, auch weiterhin die Maske aufzubehalten. Darauf haben wir in den vergangenen Wochen mehrfach hingewiesen. Die Menschen müssen das Risiko abwägen, dem sie sich, aber auch die Mitmenschen aussetzen, wenn sie keine Maske mehr tragen.

Die 7-Tage-Inzidenz liegt auf Mallorca derzeit bei rund 100. Aber es wird wenig getestet, viele Infizierte haben keine Symptome, die Zahlen sind nicht mehr verlässlich. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Wir beobachten inzwischen vorrangig die Inzidenz unter den Älteren. Unsere Strategie ist, unabhängig von der Schwere der Erkrankung bei den älteren Menschen zu testen. Die Inzidenzwerte sind also für diese Gruppe recht aussagekräftig. Und die Inzidenz in der Bevölkerung ab 65 Jahren ist recht stabil, auch wenn sie in den vergangenen Tagen leicht angestiegen ist und über die Ostertage weniger Tests gemacht wurden. Wir gehen davon aus, dass die Inzidenz aufgrund der Feiertage ein wenig hochgehen wird. Aber wichtig ist, dass es mit der Umstellung unserer Strategie keine Explosion der Fallzahlen gab.

Aber da sind ja auch noch die Krankenhauseinweisungen, die in der vergangenen Woche wieder nach oben gegangen sind.

Ja, in der Woche vor Ostern ist die Zahl der Hospitalisierungen ein wenig gestiegen, wenn auch gering. Aktuell liegen auf normalen Stationen 124 Patientinnen und Patienten, und auf den Intensivstationen sind es derzeit 21 Menschen, wobei auch hier diese Zahlen wegen der Feiertage nicht ganz exakt sein dürften. In der Vorwoche waren es 112 Menschen auf normalen Stationen und 21 auf Intensivstationen.

Müssen wir uns an diese Zahlen in Zukunft gewöhnen?

Auch wenn mir der Vergleich nicht gefällt: Wenn es kein Covid-19 gäbe, würden wir über ähnliche Zahlen an Grippe-Patienten sprechen. Die Grippe und andere Atemwegserkrankungen sind allerdings deutlich saiso- naler, da muss man bei Covid-19 noch ein bisschen aufpassen. Aber vielleicht ist das in einem Jahr beim Coronavirus auch so.

Wird auf den Balearen weiter sequenziert, um neue Varianten schnell zu entdecken?

Ja, das machen wir weiterhin. Einmal pro Woche gibt es einen Bericht des Landeskrankenhauses Son Espases, in dem die Varianten aufgeführt werden. Im Bericht der vergangenen Woche war auf den Balearen noch keine der Mutationen, etwa XE oder XF, nachgewiesen worden. Derzeit ist BA.2 mit Abstand die dominierende Variante, BA.1 verschwindet gerade, Delta gibt es gar nicht mehr.

Es gibt weiterhin Corona-Tote auf Mallorca. Wer sind diese Menschen?

Es sind vor allem Ältere und Ungeimpfte. Auf den Intensivstationen liegen derzeit vor allem Menschen mit einer Immunschwäche, die teilweise sogar schon viermal geimpft wurden, wo die Immunantwort aber nur sehr abgeschwächt funktioniert.

Die Impfbereitschaft in der Bevölkerung war bei der ersten und der zweiten Dosis sehr hoch, da stehen die Balearen bei deutlich über 80 Prozent. Beim Booster hingegen sind es gerade mal 50 Prozent. Haben Sie das Thema aufgegeben?

Nein, um Himmels willen! Wir geben nie auf. Aber es ist doch erwartbar, dass die Impfbereitschaft nachlässt, wenn die Variante weniger gefährlich ist, wenn die Maskenpflicht aufgehoben wird, wenn es weniger Krankenhauseinweisungen gibt. Die Botschaft, dass Omikron weniger gefährlich ist, bleibt in den Köpfen der Leute hängen, aber wir empfehlen natürlich nachdrücklich die dritte Dosis, auch wenn wir nicht mehr so häufig öffentlich auftreten und medienwirksam insistieren.

Ist die vierte Dosis ein Thema für die breite Bevölkerung?

Nein, derzeit nicht. Sie ist momentan für Menschen mit schweren Vorerkrankungen empfohlen, aber das ist eine kleine Gruppe.

Die Urlauber sind zurück. Machen Sie sich Sorgen aufgrund der hohen Inzidenz, etwa in Deutschland?

Eine gewisse Sorge gibt es, aber wir haben nun einmal eine andere Situation als im Frühjahr 2021. Wir sehen das entspannter, auch ist das Covid-Zertifikat weiterhin verpflichtend für Flugreisen. Ich hoffe, dass die Urlauber kommen, auch wenn die Inzidenz dadurch ein wenig steigen sollte.

In Deutschland hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor einer Killer-Variante im Herbst gewarnt und ist scharf kritisiert worden. Wie blicken Sie auf den Herbst?

Klar, Mutationen kann es weiterhin geben. Wir entdecken diese in Europa allerdings recht schnell. Ich traue mir aber nicht zu, jetzt eine neue Killer-Mutation vorherzusagen.