Meinung | KOMMENTAR

Deutsche auf Mallorca, vor und nach 1945

Als ob Albert Vigoleis Thelen das vorausgeahnt hätte: Der Chefreiseleiter der Tui auf Mallorca in den 60er-Jahren war ein NS-Mann. Ein Kommentar des MZ-Chefredakteurs

Gedenktafel für den Schriftsteller Albert Vigoleis Thelen in Palm.

Gedenktafel für den Schriftsteller Albert Vigoleis Thelen in Palm. / Thomas Fitzner

Was für eine Pointe! In den vielleicht besten Passagen des grandiosen, in den 30er-Jahren auf Mallorca spielenden Romans „Die Insel des zweiten Gesichts“ ließ Albert Vigoleis Thelen sein Alter Ego Vigoleis als Reiseleiter deutsche Kreuzfahrturlauber über die Insel führen, die vom nationalsozialistischen Virus infiziert waren. Der doppeldeutige Begriff des „Führers“ war dabei der entscheidende stilistische Kniff.

30 Jahre später holte die Realität die autobiografisch gefärbte Fiktion ein, und es war tatsächlich ein leibhaftiger NS-Täter, der als Chefreiseleiter in den 60er-Jahren vielen Deutschen Mallorca schmackhaft machte. Das belegen die Recherchen der Münsteraner Professorin Susanne Benöhr-Laqueur.

Kontinuität, wo es bislang keine gab

Die von ihr aufgedeckte Geschichte des Ernst Chlan schafft eine Kontinuität zwischen zwei Abschnitten der Geschichte der Deutschen auf Mallorca, die bislang zumeist isoliert betrachtet wurden: den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, als viele Deutsche erst vor dem Dritten Reich nach Mallorca flüchteten und dann – wie auch Vigoleis Thelen – vor den Schergen Francos in alle Welt; und den Jahren des Tourismusbooms, als das Dritte Reich plötzlich vergessen schien und man nach dem Wirtschaftswunder wieder beschwingt im Franco-Spanien Urlaub machte.

Doch die Täter waren noch da, auch in der Tourismusbranche. Darüber ist bislang wenig bekannt, und es ist höchste Zeit, mehr zu erfahren. Der kultivierte Tui-Chefreiseleiter Ernst Chlan dürfte „Die Insel des zweiten Gesichts“ des Antifaschisten Albert Vigoleis Thelen übrigens gelesen haben. Er erschien 1953 und war ein literarisches Ereignis.