Pauline Werfel (Name von der Redaktion geändert) aus Palma kann ihre ganz eigene Geschichte über einen Flug in diesem Sommer von der Insel nach Deutschland erzählen. Gebucht hatte sie mit ihren beiden Töchtern bei Laudamotion einen Flug nach Berlin für unschlagbare 49,98 Euro - für alle drei wohlgemerkt. Mit der Bahn sollte es dann weiter nach Hamburg zu einer Hochzeit gehen. Laudamotion strich den Flug und hielt Werfel hin. Erst nach sechs Stunden schaffte sie es, mit einer anderen Maschine nach Hamburg zu fliegen. Ganz schön viel Aufwand für einen verlängerten Wochenendtrip.

So wie Werfel ist es in diesem Jahr vielen Mallorca-Pendlern und -Urlaubern gegangen. Speziell bei Eurowings und Laudamotion lief zeitweise wenig zusammen, zahlreiche Stornierungen und stundenlange Verspätungen kosteten die Passagiere Nerven und Zeit. Und die Airlines Unsummen an Entschädigungen. Im Unterschied zu früher, als viele Fluggäste stundenlange Verspätungen oder Flugausfälle noch zähneknirschend als quasi gottgegeben hinnahmen, pochen viele Passagiere mittlerweile auf die ihnen laut EU-Fluggastverordnung zustehenden Ausgleichszahlungen.

Für die meisten Fluggesellschaften ist das Thema zwar unangenehm, aber derzeit (noch) nicht existenzbedrohend. Anders war das bei Small Planet, Azur Air und Primera Air Nordic, deren Pleiten in diesem Jahr in direktem Zusammenhang mit den hohen Kompensationszahlungen standen, die die Ferienflieger im Sommer 2018 nach massiven Flugverspätungen leisten mussten. Aber auch für so etablierte Global Player wie die Lufthansa-Gruppe stellen die Entschädigungszahlungen zunehmend ein Problem dar. Vor allem durch die zahlreichen Unregelmäßigkeiten bei der Tochter Eurowings, die in diesem Frühjahr massiv expandierte und einen großen Teil der früheren Air-Berlin-Belegschaft sowie der Strecken übernahm, lief einiges an Forderungen auf - gerade auch bei den Mallorca-Strecken. Offiziell kommuniziert die Lufthansa-Gruppe, dass allein in diesem Jahr allein 70 bis 80 Millionen Euro an Entschädigungen gestemmt werden müssen, ihr Vorstandschef Carsten Spohr sprach allerdings auch schon von 350 Millionen Euro. So oder so ist das deutlich mehr als im kompletten Jahr 2017 und nicht zu vergleichen mit den Zahlen von vor fünf Jahren. „Da gab es nur ganz vereinzelt Entschädigungen", sagt Eurowings-Pressesprecher, Matthias Burkard.

Gemeinsam sind wir stark

Was auch daran liegt, dass die Passagiere dazugelernt haben und sich untereinander besser absprechen, wie der unabhängige Luftfahrtexperte Cord Schellenberg aus Hamburg beobachtet. „Die Menschen wissen inzwischen viel besser über ihre Rechte Bescheid und sind auch willens, diese durchzusetzen", sagt er der MZ. Die Passagiere ließen sich längst nicht mehr so einfach von den Fluggesellschaften mit einer Mail abspeisen, dass die Entschädigungszahlung abgelehnt worden sei. „Die Leute, speziell in einem Ferienflieger, sprechen miteinander und sind gut vernetzt. Viele wissen zum Beispiel, dass für die Berechnung der Verspätung nicht der Moment ausschlaggebend ist, in dem das Flugzeug auf dem Boden aufsetzt, sondern der Moment, in dem die Tür zum Aussteigen geöffnet wird." Wer dann die genaue Uhrzeit nachweisen könne, habe später gute Karten bei einer Kompensationszahlung.

Um an diese heranzukommen, gibt es inzwischen mehrere Wege. Pauline Werfel beispielsweise klemmte sich zeitig nach der Rückkehr auf die Insel dahinter und nahm Kontakt zu Laudamotion auf. Die Fluggesellschaft bestätigte den Empfang der E-Mail - und stellte auf Durchzug. Weitere Mails in den darauffolgenden drei Monaten blieben unbeantwortet. Durch Internetrecherche erfuhr Werfel schließlich, dass es offenbar am erfolgversprechendsten sei, wenn sie eine Facebook-Nachricht an Laudamotion schriebe. Und tatsächlich: „Nach nur acht Stunden bekam ich eine Antwort, und gut zwei Monate nach dem Flug ist dann auch die Entschädigung auf dem Konto eingetroffen - 1.200 Euro." Das habe sich gelohnt, auch wenn die Reklamation durchaus zeitintensiv zwar.

Zu den vielen, die sich über Entschädigungen gefreut haben, zählt auch MZ-Leser Hermann Senger. Er schrieb auf Facebook: ­„Super Sache, 3,2 Stunden Verspätung. Nach ­circa 6 Monaten 2 mal 250 Euro Entschädigung. Fast 80 Euro Stundenlohn fürs Nichtstun. Hoffe, es passiert noch oft. Und noch Geld gespart, da am Urlaubsort noch keine Ausgaben."

Wir kümmern uns darum

Noch einfacher geht es, wenn man ­sich an die sogenannten Fluggastentschädiger wendet, von denen in den vergangenen drei Jahren immer mehr entstanden sind. Manche Plattformen werben damit, dass Kunden in zwei Minuten ihren Anspruch prüfen können. Meist muss lediglich die Flugnummer eingegeben werden, dann zeigt die Website bereits automatisch die Verspätung an - und, ob ein Entschädigungsanspruch besteht. Die weiteren Schritte unternimmt dann das Portal.

Von diesen Plattformen gibt es zwei Typen. Da sind die Inkassoanbieter, wie etwa Airhelp.de, Flugrecht.de oder Flug-verspaetet.de. Diese Unternehmen prozessieren vor Gericht für den Kunden. Bekommen sie recht, kassieren sie auch die Entschädigung und zahlen diese abzüglich einer üblicherweise 25- bis 35-prozentigen Provision an den Kunden weiter. Daneben gibt es die sogenannten Sofortentschädiger. Beispiele sind Flightright.de, Euflight.de oder Fairplane.de. Sie überweisen dem Kunden direkt den Anspruch abzüglich einer meist höheren Provision - in manchen Fällen gar bis zu 42 Prozent - und ziehen dann vor Gericht, um die Ansprüche geltend zu machen. Das Risiko liegt in diesem Fall vollständig beim Fluggastentschädiger.

Der Experte Cord Schellenberg ist kein Freund der Internet-Plattformen. „Die Airlines wehren sich aus meiner Sicht zu Recht gegen diese Websites. Ryanair etwa argumentiert, dass die Entschädigung zu 100 Prozent dem Fluggast zusteht. Warum also soll eine Firma dann davon 30 Prozent Provision bekommen?", fragt der Hamburger. Zumal dem Kunden die Arbeit ja auch nicht ganz abgenommen werde. Immer mehr Airlines ließen es inzwischen auf einen Gerichtsprozess ankommen, zu denen dann die Geschädigten anreisen müssen. Und dann sei auf einmal die Entschädigung nicht mehr ganz so verlockend, wenn man davon die Provision an die Website sowie den Aufwand, zu einem Prozess zu erscheinen, abrechnet. „Das machen die Airlines natürlich ganz bewusst, um den Entschädigern wieder ein wenig Wind aus den Flügeln zu nehmen."

Hier wird Ihnen geholfen

Bevor Kunden einen Fluggastentschädiger einschalten, sollten sie laut Schellenberg versuchen, über die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr eine Lösung herbeizuführen. Die sogenannte SÖP gehört zur Bundesregierung und ist prinzipiell für die Flüge zuständig, die von Deutschland aus starten oder nach Deutschland führen. Die Schlichtungsstelle zahlen die Fluggesellschaften, die darin Mitglied sind. Darunter sind die meisten der Airlines, die zwischen Mallorca und Deutschland verkehren, also Easyjet, Euro­wings, Germania, Laudamotion, Ryanair, Condor, Lufthansa, Germanwings, Austrian Airlines, SunExpress Deutschland, Swiss Air, und Tuifly. Nicht Mitglied sind dagegen beispielsweise die spanischen Fluggesellschaften Vueling oder Iberia. Um bei der SÖP gehört zu werden, muss zunächst mit der Fluggesellschaft selbst Kontakt aufgenommen worden sein. Kann der Kunde dann beweisen, dass die Airline nach mindestens zwei Monaten nicht auf die Beschwerde des Kunden eingegangen ist, ist es zulässig, die Schlichtungsstelle einzuschalten. „Und dann tut sich meistens auch etwas, schließlich zahlen die Airlines die Stelle. Ihnen ist etwas daran gelegen, dass die Arbeit funktioniert", sagt Schellenberg.

Das geht so nicht weiter

Allerdings ist vorhersehbar, dass auch die Passagiere demnächst zur Kasse gebeten werden. So hat etwa Lufthansa-Chef Carsten Spohr - nicht nur aufgrund der Entschädigungen, aber auch deshalb - Preiserhöhungen für das kommende Jahr angekündigt. Aus Sicht der Airlines ist das verständlich. Wer für einen Billigflug 25 Euro zahlt und dann mit 400 Euro entschädigt wird, schlägt ein Loch in die Bilanz der Fluggesellschaft.

Auch deshalb soll es demnächst eine Neufassung der EU-Fluggastverordnung geben. Im Gespräch ist, dass es erst für Verspätungen von über fünf Stunden eine Entschädigung geben soll. Dann hätten die Airlines zumindest Zeit, bei einem technischen Defekt eine Ersatzmaschine anzufordern. In drei Stunden funktioniert das selten.

Übrigens hatten es die Airlines einst selbst in der Hand, bei den Entschädigungen günstiger wegzukommen. Ursprünglich war 2004 nämlich eine Regelung wie bei der Bahn vorgesehen: Für eine Stunde Verspätung 25 Prozent des Reisepreises, für zwei Stunden 50 Prozent. Das schien den Fluggesellschaften damals zu riskant. Sie ließen sich auf den derzeit gültigen Kompromiss ein - ohne zu ahnen, dass sie damit so in Bedrängnis geraten würden.