Entrevista | Francina Armengol Ministerpräsidentin der Balearen

Ministerpräsidentin Francina Armengol auf Mallorca: „Tourismus ist Demokratie –schließlich will jeder reisen“

Gut vier Monate vor den Wahlen grenzt sich Ministerpräsidentin Francina Armengol nach Links und Rechts ab. Ein Gespräch über das Geschäft mit den Urlaubern, Beschränkungen im Immobilienkauf und fehlende Wohnungen

Die balearische Ministerpräsidentin Francina Armengol

Die balearische Ministerpräsidentin Francina Armengol / B.RAMON

Miquel Adrover, Guillem Porcel

Seit acht Jahren ist die Sozialistin Francina Armengol bereits balearische Ministerpräsidentin. Bei den Regionalwahlen am 28. Mai will sie erneut antreten. Auszüge aus einem langen Gespräch mit der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“.

Brauchen die Balearen eine Höchstgrenze für Touristen, um die Überfüllung zu vermeiden?

Als Ministerpräsidentin der Balearen habe ich die Verantwortung, den Bürgern zu sagen, was realistisch ist und was nicht. Es gibt keinen Flughafen auf der Welt, an dem es heißt: Hier kommt keiner mehr rein. Das Thema Tourismus will gut durchdacht sein, unsere Schlussfolgerung ist, dass wir auf Diversifizierung setzen müssen. Um auf eine andere Art und Weise zu wachsen, stärken wir weitere Branchen, die zu einer größeren Stabilität und zu besseren Jobs beitragen können. Unser Tourismusgesetz friert die Zahl der Gästebetten ein und sieht eine schrittweise Reduzierung vor. Wenn es weniger Gästebetten gibt, sind es auch weniger Menschen. Wir wollen im Tourismus weiter federführend sein, und er wird auch weiterhin der Wirtschaftsmotor unserer Inseln sein, aber wir wollen den Druck im Sommer verringern. Wir haben es geschafft, die Saison zu verlängern und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Der im Tarifvertrag vereinbarte Anstieg der Gehälter um 17 Prozent ist der höchste in ganz Spanien.

Haben Sie auch persönlich die Überfüllung der Insel zu spüren bekommen?

Ich glaube nicht, dass es irgendein führendes Reiseziel auf der Welt gibt, das nicht zeitweise von Touristen überlaufen ist. Wenn Sie einmal nach Venedig, Barcelona, Paris, auf die Kanarischen Inseln oder in die Karibik gereist sind, werden Sie das wissen. Früher reisten nur Leute mit Geld, heute gibt es immer mehr Reisende. Tourismus ist Demokratie, schließlich will jeder reisen. Gleichzeitig will man aber nicht, dass alle bei einem zu Hause einfallen. Ich bin mir der Nachteile des Tourismus bewusst, aber keine andere Regierung, außer der unseren, hat die Ankunft von Kreuzfahrtschiffen begrenzt, Gästebetten eingefroren, sich klar gegen den Partytourismus ausgesprochen oder eine Übernachtungssteuer eingeführt, gegen die die gesamte mediale, politische und wirtschaftliche Rechte mobil gemacht hat. Wir besteuern den Tourismus, um seinen ökologischen Fußabdruck auf den Inseln zu beseitigen.

Aber die Ressourcen der Insel sind nun einmal begrenzt.

Das ist richtig. Als die Pandemie ausbrach und wir den Tourismus einstellen mussten, baten uns alle, dafür zu werben, damit Urlauber kommen, denn die Balearen haben ein Wirtschaftsmodell, das immer noch sehr stark auf den intensiven Tourismus ausgerichtet ist, von dem etwa 200.000 Familien direkt und noch viele mehr indirekt leben.

Manche kritisieren, dies sei die Regierung der Hoteliers.

Wir sind eine seriöse und rigorose Regierung. Wir geben den Menschen Vertrauen und sie wissen, dass sie uns vertrauen können. Wir haben acht Jahre lang unter den schlimmsten Bedingungen der Geschichte regiert, mit einer schrecklichen Pandemie. Wir haben Familien, Arbeitnehmer und Unternehmer geschützt. Wir wissen, wie man einen Dialog führt und einen Konsens erzielt, und wir sind uns über unser Modell zur Umgestaltung und Verbesserung dieser Inseln im Klaren.

Ministerpräsidentin Francina Armengol an einem Fenster des Regierungssitzes Consolat de Mar in Palma.  | FOTO: B. RAMON

Ministerpräsidentin Francina Armengol an einem Fenster des Regierungssitzes Consolat de Mar in Palma. | FOTO: B. RAMON / Miquel adrover, guillem Porcel

undefined

Ist die Beschränkung des Immobilienerwerbs für Nicht-Residenten ein Rohrkrepierer?

Inseln sind nun einmal ein idyllischer Ort zum Leben. Wir führen diese Debatte seit Langem auf europäischer Ebene im Rahmen eines Statuts für besiedelte Inseln, das eine andere Sichtweise auf Gebiete wie das unsere ermöglichen soll. Die europäischen Vorschriften sollten den Beschränkungen Rechnung tragen, die Inseln haben. Wir beabsichtigen, die spanische EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um dieses Statut zu erlangen und zu prüfen, ob konkrete Entscheidungen über den Erwerb von Wohnraum durch Nicht-Residenten getroffen werden können. Das hängt von der EU ab. Es ist keine Angelegenheit, die unmittelbar anliegt, aber es ist ein Weg, den wir beschreiten müssen. Wir erstellen eine Diagnose, um festzustellen, wie viel Prozent der Käufer aus dem Ausland oder aus Europa kommen, wer zu Spekulationszwecken kauft und wer einen Zweitwohnsitz erwirbt. Wir brauchen konkrete Daten, um auf europäischer Ebene einen Vorschlag zu unterbreiten. Aber wir brauchen auch die spanische Zentralregierung, damit sie sich unsere Forderungen zu eigen macht und mit Europa verhandelt. Es ist ein langer Weg.

Beim Thema Wohnen ist ohnehin noch viel zu tun, oder?

Es ist eine der wichtigsten Herausforderungen, die wir als Gesellschaft haben. Wir sind uns bewusst, dass unser Gebiet begrenzt ist, dass die Grundstückspreise sehr hoch sind, dass die Bevölkerung jedes Jahr zunimmt und dass der Zugang zu Wohnraum dadurch eindeutig ein Problem ist. Seit 2015 haben wir begonnen, der Wohnungspolitik auf den Balearen Priorität einzuräumen, denn wir kamen aus einer Zeit, in der absolut nichts getan worden war. Die Lösung des Wohnungsproblems kann nicht nur durch eine einzige Maßnahme erfolgen, sondern ist sehr breit angelegt. Wir haben mehr Sozialwohnungen gebaut als in der gesamten demokratischen Geschichte der Balearen. Wir werden diese Legislaturperiode mit 72 Prozent mehr beenden. Solange der öffentliche Wohnungsbestand nicht mit dem anderer europäischer Länder vergleichbar ist, werden wir den Marktpreis nicht senken können. Von nun an werden alle Sozialwohnungen, die wir bauen, öffentlich sein, weil wir das Gesetz geändert haben. Vorher wurde viel spekuliert. Wir haben mit privaten Bauträgern vereinbart, Wohnungen mit einer Preisobergrenze zu bauen, wir haben die Mietzuschüsse erhöht und die Mietzuschüsse für junge Menschen eingeführt.

Das Projekt der Zugstrecke im Inselosten und die Straßenbahn von Palmas Zentrum zum Flughafen haben Sie erst kürzlich angestoßen. Warum nicht schon 2015?

In diesen acht Jahren hatten wir Gelegenheit, die Dinge zu durchdenken und zu planen. Wir haben eine U-Bahn geerbt, die Jaume Matas (zuletzt 2003–2007 Ministerpräsident der PP, Anm. d. Red.) ohne Rücksprache mit dem Stadtrat von Palma bauen wollte – eine ineffiziente Art und Weise, mit öffentlichen Geldern und mit der Planung des Infrastrukturbedarfs Politik zu machen. Als wir anfingen, hatten wir einen Zug, der mit Diesel betrieben wurde, und einen erheblichen Busbedarf. Jetzt sind wir die einzige spanische Region, in der das gesamte Landverkehrsnetz mit Gas oder Elektroantrieb betrieben wird, mit neuen, zugänglichen und gut ausgestatteten Bussen. Wir haben die Projekte Tren de Llevant und die Straßenbahn in Palma als vorrangig eingestuft, verfügten aber dafür nicht über die notwendigen Mittel. Dann kam Corona, und wir mussten erneut umdisponieren. Dass die Straßenbahn in Palma mit zentralstaatlichen Mitteln gebaut werden muss, haben wir immer gesagt – sonst wäre sie angesichts von Pandemie und dem Rückgang des Wirtschaftswachstums nicht zu finanzieren.

Die Steuereinnahmen befinden sich auf Rekordniveau. Haben Sie jemals daran gedacht, Steuern zu senken, wie es die Oppositionsparteien fordern?

Die Situation auf den Balearen unterscheidet sich von der anderer Regionen Spaniens. Wir sind nicht Kastilien-La Mancha oder Extremadura. Wir haben eine andere Realität. Wir waren die einzige Gemeinschaft, die, als der Krieg in der Ukraine ausbrach, einen Aktionsplan aufstellte und den Verkehrs- und Transportsektor unterstützte. Wir haben einen Lastwagenfahrer-Streik vermieden, weil wir wissen, was dann hier passieren würde, und weil wir mit den Menschen reden. Wir kennen ihre Bedürfnisse. Wir waren der Meinung, dass die schwierige Phase nicht die Hochsaison sein würde, weil es dank der Arbeitsmarktreform eine gute Beschäftigung und eine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt geben würde, sondern dass die Schwierigkeiten im Winter kommen würden. Daher waren Steuersenkungen nicht sinnvoll. Wir entschieden uns dazu, mehr Steuerabzüge als je zuvor zu ermöglichen, insbesondere für die Familien, die es am meisten brauchen. Die von den Rechten geforderten wahllosen Steuersenkungen unabhängig vom Einkommen, und vor allem die Senkung der Vermögenssteuer für die Reichsten und der Grunderwerbssteuer, wo wir doch ein Wohnungsproblem haben, halte ich für die Balearen für ungeeignet.

Was sagen Sie zu den Menschen, die finanziell nicht über die Runden kommen und hören, dass die Landesregierung dem Gesundheitspersonal 1.900 Euro für einen Bereitschaftsdienst an Weihnachten zahlt?

In einer Gesellschaft wie der unseren gibt es immer noch Ungleichheiten, und ich bin in der Politik, um sie zu beseitigen. Die Beschäftigten des Gesundheitswesens müssen ein angemessenes Gehalt erhalten, um mit einem Gesundheitssystem zurechtzukommen, das einige Probleme hat, und ich glaube, dass dies nur fair ist. Wir haben mit den Gewerkschaften wichtige Vereinbarungen getroffen. Wir müssen eine gute öffentliche Gesundheitsversorgung, gute Sozialleistungen und eine gute Bildung garantieren. Was würde passieren, wenn sich die Menschen eine Herzoperation nicht leisten könnten oder wenn sie für eine öffentliche Schule bezahlen müssten? Dank des sozialen Dialogs gibt es auf den Balearen keinen Gesundheitsstreik. Vor 2015 gab es eine Demonstration nach der anderen. Jetzt haben wir sozialen Frieden.