„Solo sí es sí“ („Nur ein Ja bedeutet Ja“) lautet einer der Slogans der mächtigen Bewegung für Frauenrechte und gegen sexualisierte Gewalt. Der Satz bringt die Wut über mehrere milde Gerichtsurteile für Straftäter zum Ausdruck und ist daher auch der inoffizielle Name einer Reform des Strafrechtes.

Das im Oktober in Kraft getretene „Gesetz zur vollständigen Garantie der sexuellen Freiheit“ soll klar festlegen, was sexuelle Übergriffe ohne Einverständnis sind. Doch herrscht derzeit Verwirrung über das Strafmaß. Die Justiz fühlt sich von der Regierung zu Unrecht angegriffen, und die Hauptverantwortliche des Gesetzesprojekts, die Ministerin für Gleichberechtigung Irene Montero, steht unter Beschuss wegen möglicher handwerkliche Fehler.

Anlass war Skandal um "La Manada"

Anlass für das neue Gesetz war der Skandal um „La Manada“. Als „Rudel“ beschrieben sich selbst fünf junge Männer, die 2016 auf den weltbekannten San-Fermín-Feiern in Pamplona eine 18-jährige Frau nachts in einem Hauseingang vergewaltigten. Der folgende Prozess wurde zum Medienereignis, das Urteil zum Skandal.

Zwei regionale Gerichte der Region Navarra verurteilten die fünf Männer zu neun Jahren Haft wegen sexuellen Missbrauchs („abuso sexual“), aber nicht wegen sexueller Nötigung („agresión sexual“), für die höhere Strafen vorgesehen sind. Anhand der Videos der Vergewaltigung, die die Täter mit ihren Handys filmten, kamen die Richter zu dem Schluss, dass das Opfer sehr passiv bei den wiederholten Penetrationen geblieben sei und keinen Widerstand geleistet hätte. Eine Vergewaltigung oder Nötigung setze jedoch die Anwendung von körperlicher Gewalt voraus, so die Gerichte in Navarra.

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Demo in Palma gegen das Urteil im Fall "La Manada" Diario de Mallorca

Sturm der Entrüstung

Das Urteil löste einen Sturm der Entrüstung im Lande aus. Spaniens Oberster Gerichtshof revidierte die Entscheidung aus Navarra und verurteile die fünf Männer zu 15 Jahren Haft wegen sexueller Nötigung, da Gewalt ausgeübt worden sei. Was soll eine 18-Jährige umringt von fünf Männern schon an Widerstand leisten, fragten sich die obersten Richter.

Die damalige konservative Regierung erwog aufgrund des Skandals um „La Manada“ eine Gesetzreform, auch um internationalen Verpflichtungen des Istanbuler Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt gerecht zu werden. Für Ministerin Montero vom Linksbündnis Unidas Podemos wurde die Gesetzreform zur Priorität. Das Regelwerk hebt nun die Unterscheidung zwischen Missbrauch und Nötigung auf. Entscheidend für die Definition eines Sexualdelikts ist nicht mehr, ob Gewalt im Spiel war, sondern ob es ein Einverständnis für sexuelle Beziehungen gab. Eben nur ein Ja bedeutet Ja.

Inhaftierte Sexualverbrecher kommen frei

Doch das neue Gesetz hat nun unerwartete Auswirkungen. Mehrere Gerichte im Land revidierten die Strafen für bereits verurteilte und inhaftierte Sexualverbrecher und reduzierten das Strafmaß. Denn dieses ist in dem neuen Gesetz teilweise niedriger. Ein Mann in Madrid, der wegen sexuellen Missbrauchs seiner minderjährigen Stieftochter zur Mindeststrafe von acht Jahren Gefängnis verurteilt worden war, so wie es das alte Gesetz vorsah,erhielt nun das Minimum von sechs Jahren nach den neuen Regeln. Auch auf den Balearen gibt es Fälle. Der Anwalt eines der fünf Verurteilten von „La Manada“ will mit den neuen Regeln ebenfalls eine Minderung für seinen Mandanten herausholen.

In Spanien gilt wie in vielen anderen Ländern die Regel, dass Strafrechtsreformen rückwirkend nur dann angewendet werden können, wenn sie für den Verurteilten zum Vorteil sind. Im Gegensatz zu den Gerichten in Madrid, Mallorca und andernorts sahen die Richter in der Provinz La Rioja jedoch keine Grundlage, um die Strafen der bereits verurteilten Sexualverbrecher zu reduzieren.

Ministerin wettert gegen Justiz

Ministerin Montero wetterte erbost gegen den machismo der Richter, die ihrer Meinung nach das Gesetz absichtlich falsch auslegen würden. „Die UNO hat uns bereits davor gewarnt, dass Stereotypen und machismo die Unabhängigkeit und Integrität unseres Justizsystems beeinträchtigen können“, so Montero. Sie verlangte, dass sich einige Richter in Sachen Gendergleichheit schulen lassen müssten. Ein Vorwurf, den sich die Robenträger nicht gefallen lassen. Das Selbstverwaltungsorgan der Justiz, CGPJ, forderte den Rücktritt der Ministerin, ebenso die konservative Opposition. Doch auch progressiv orientierte Vereinigungen von Richtern wiesen den Vorwurf des machismo zurück.

Regierung stark unter Druck

Nicht nur wegen des verbalen Angriffs auf die Justiz, auch wegen des Verdachts handwerklicher Fehler in dem Gesetz sind Ministerin Montero und ihre Kollegen unter starken Druck geraten. So hätte man die Reform mit einer Übergangsbestimmung (disposición transitoria) ausstatten sollen, die ausdrücklich eine rückwirkende Anwendung ausschließe. Der CPGJ erklärte, man hätte im Vorfeld vor der Möglichkeit, dass die Strafen revidiert werden könnten, gewarnt. Im Ministerium bestreitet man dies jedoch. Keine der Institutionen, die konsultiert worden seien, habe Einwände geäußert, erklärte die Staatssekretärin Victoria Rosell, die selbst Richterin war. Eine Nachbesserung des Gesetzes hält sie daher nicht für nötig.

Ministerpräsident Pedro Sánchez versucht unterdessen, die Wogen zu glätten. „Die Gerichte und die Staatsanwaltschaft müssen nun zu einer einheitlichen Doktrin kommen“, sagte der Sozialist. Die Hauptrolle kommt dem Obersten Gerichtshof Spaniens zu. Diese Instanz muss nun über den Einspruch gegen die Urteile für Sexualverbrecher entscheiden und damit festlegen, ob die Reform rückwirkend strafmindernd angewendet werden kann.

In Palma kommen zwei verurteilte Straftäter frei

Das Oberlandesgericht der Balearen hat die „sofortige Freilassung“ von zwei verurteilten Sexualstraftätern angeordnet. Grund dafür ist das neue Strafmaß. Die beiden Männer wurden wegen sexueller Nötigung ohne Penetration zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach dem „Nur Ja heißt Ja“-Gesetz ist ihre Haftstrafe allerdings geringer, weswegen die Männer ihre Strafe in Theorie bereits abgesessen haben. Auch im Fall der Vergewaltigung einer 14-Jährigen in Pollença könnte das Strafmaß verringert werden. Die Richter des Landgerichts wollen nun die Kriterien für die Anwendung der Gesetzesänderung vereinheitlichen.