Holger Gehrke kann ein harter Hund sein. „Das ist nur ein bisschen Blut. Jetzt hab dich nicht so“, ruft er Torhüter Jonas Brendieck zu. „Hoch mit dir. Robert Lewandowski steht vor dir.“ Brendieck ist ein 22-jähriger, derzeit arbeitsloser Torhüter. Ebenso wie der 17-jährige US-Amerikaner Finn Fenske lässt er sich gerade in Cala Millor vom deutschen Ex-Profi Holger Gehrke trainieren.

Der 61-jährige Gehrke spielte für Blau-Weiß 90 Berlin, Schalke 04 und den MSV Duisburg in der Bundesliga. Dabei startete der West-Berliner als Feldspieler und rückte erst mit 16 Jahren zwischen die Pfosten. „Da hatte ich gar keinen Bock drauf. Doch mein Trainer hatte gebetsmühlenartig auf mich eingeredet.“ Dass er auch mit dem Ball am Fuß umgehen konnte – was damals bei Torhütern eher selten war – brachte ihn einen entscheidenden Vorteil. 1992 wurde die Rückpassregel eingeführt, die es den Torwärtern verbot, mit dem Fuß gespielte Pässe der Mitspieler mit den Händen aufzunehmen. Leute wie Gehrke, die den Ball dann ruhig weiterspielen konnten, waren gefragt. „So habe ich sogar Jens Lehmann bei Schalke auf die Bank verdrängt.“

Erfolgreicher in der Karriere als Trainer

Große Pokale hat der lange Schlaks nicht in der Vitrine stehen. „Da muss ich ehrlich sein. Wesentlich erfolgreicher war meine Karriere als Trainer“, sagt Gehrke. Der 1,96 Meter große Hüne gehörte zum Trainerstab von Huub Stevens und folgte ihm von Schalke über Hertha BSC Berlin bis nach Köln. Er stand als Co-Trainer an der Seite, als Schalke zum Meister der Herzen wurde und in letzter Sekunde den Bundesliga-Titel an die Bayern verlor. Zwei DFB-Pokalsiege feierte er in Gelsenkirchen. „Auch einfach nur die Champions League erleben zu dürfen, war etwas Besonderes.“

Gehrke schloss die Ausbildung zum Fußballlehrer als Lehrgangsbester ab. Dennoch saß er fast nie auf dem Chefsessel. „Ich habe die Trainer immer leiden sehen. Klar werden sie gut bezahlt, aber sie werden auch öffentlich durchs Dorf gejagt. Ich habe gesehen, wie dreckig es ihnen dann geht. Da bin ich lieber in der zweiten Reihe geblieben und konnte ruhig schlafen.“

Nur in Köln war der 61-Jährige für drei Wochen interimsmäßig Chef. „Das war schon stressig genug.“ Nach der Bundesligakarriere wurde Gehrke zum Weltenbummler, trainierte als Torwarttrainer Fenerbahçe Istanbul, die Nationalmannschaft von Kasachstan und zuletzt bis 2019 die Ungarn.

Lebensmittelpunkt Mallorca

Dabei reiste er aber wie die Nationalspieler nur an, wenn Turniere oder Trainingslager anstanden. „Mir war relativ früh schon klar, dass mein Lebensmittelpunkt eines Tages auf Mallorca liegen wird.“ 1994 war er mit dem MSV Duisburg im Trainingslager in Cala Ratjada und verguckte sich in den bei Deutschen beliebten Ort im Nordosten. Sechs Jahre später legte er sich eine Wohnung auf der Insel zu.

Den Vereinsalltag vermisst er nicht. „Ich fühle mich hier sauwohl und bin beschäftigt. Ich habe zwar keine Reichtümer angehäuft, muss mir aber auch keine Sorgen machen. Nur wenn Jürgen Klopp anrufen würde, käme ich ins Grübeln“, sagt Gehrke. Mit dem Trainer vom FC Liverpool hat er zwar nie zusammengearbeitet, er fühlt sich aber als ein ähnlicher Hitzkopf. „Wir sind außerdem seit Langem zu einem Paddle Match verabredet. Ich spiele seit sechs Jahren, bin in der Veteranen-Nationalmannschaft und deutscher Meister der Veteranen.“

Seit zweieinhalb Jahren trainiert Gehrke Kinder im Fussicamp. „Meinen Namen kennt da keiner. Ich sage aber immer, ihr kennt die, mit denen ich zusammengearbeitet habe: Lukas Podolski, Leon Goretzka, Leroy Sané.“ Im vergangenen Jahr hat sich der Ex-Profi zudem der International Soccer Academy angeschlossen. Diese trainiert junge Fußballer in Gelsenkirchen – in Kooperation mit Schalke – und auf Mallorca. „Das sind 16- bis 19-jährige Spieler aus den USA, die den Schritt nach Europa schaffen wollen.“ Bislang am weitesten geschafft hat es Ty Walker, der bei Kaiserslautern in der U19-Bundesliga spielt.

Baseball zu langweilig, Football zu hart

Auch Finn Fenske ist über die Soccer Academy auf Gehrke aufmerksam geworden und schürft sich nun auf dem Kunstrasen in Cala Millor den Körper auf. Der Texaner mit deutschen Eltern kommt aus der Jugendabteilung von Houston Dynamo, die in der MLS, der höchsten Spielklasse in den USA, spielen. „Baseball war mir zu langweilig, American Football zu hart und Fußball einfach die nächste Option“, sagt der 17-Jährige, der im vergangenen Sommer nach Deutschland zum Fünftligisten FC Schermbeck wechselte. „Die Schule habe ich abgeschlossen. Meine Eltern sind in den Staaten geblieben, und ich wohne im Hotel.“

Gehrke bereitet den Torwart nun auf ein Probetraining für die Junioren-Bundesliga vor. „Er hat einen deutschen Pass. Das macht alles viel einfacher“, so der 61-Jährige, der mit seinen Kontakten hilft, damit der Traum vom Profifußball klappt. „Wenn es in Deutschland nichts wird, versuche ich mich bei den Collegemannschaften in den USA,“ sagt Fenske.

Von der Bundesliga berichten kann auch Jonas Brendieck. Der 22-Jährige hat die Jugendmannschaften vom MSV Duisburg durchlaufen und saß bei den Herren in der zweiten und dritten Bundesliga auf der Bank. Im Sommer bekam er keinen neuen Vertrag. „Holger Gehrke ist mir von vielen Kollegen empfohlen werden“, sagt Brendieck. Der erfahrene Trainer soll dem jungen Profi wieder auf die Beine helfen. „Ich schaue mich auch im Ausland nach einem Verein um“, sagt Brendieck. Bis der nächste Job kommt, hält er die Bälle, die Torwarttrainer Gehrke schießt. Auch wenn der Untergrund Schmerzen bereitet.