Macho-Gehabe im Fußball: Eine Frage der Macht

Heute (25.8.) will Spaniens Fußballverband RFEF über das Verhalten von Präsident Luis Rubiales nach dem WM-Gewinn beraten

Verbandschef Luis Rubiales (li.) und Trainer Jorge Vilda. | FOTO: MANU FERNÁNDEZ/AP/DPA

Verbandschef Luis Rubiales (li.) und Trainer Jorge Vilda. | FOTO: MANU FERNÁNDEZ/AP/DPA / Isa Hoffinger

Isa Hoffinger

Isa Hoffinger

Sexuelle Gewalt ist im Sport nicht ungewöhnlich. Sie ist, wie in anderen sozialen Kontexten, eine Folge von Abhängigkeiten und dient der Demonstration von Macht. In der Sportwelt herrscht zudem der Irrglaube vor, eine hervorragende Leistung könne man nur durch Härte, militärischen Drill oder andere Formen von psychischer Gewalt erreichen. Solche Glaubenssätze begünstigen die Ausübung von Gewalt – oder sie sorgen dafür, dass Aggressionen eher verleugnet oder toleriert werden als in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Gewalt von Trainern

Wie groß das Problem in Deutschland ist, wurde im vergangenen Jahr erstmals durch eine wissenschaftliche Studie der Bundesregierung unter Leitung von Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule in Köln belegt. Enthalten sind in dieser Studie erschütternde Berichte von zerrissenen, blutigen Schlüpfern nach einer Vergewaltigung durch den Trainer, von Beziehungen zwischen 13-Jährigen mit erwachsenen Trainern, von Eltern, die schweigen und Vereinskolleginnen, die wegsehen. Die Mechanismen sind dieselben wie bei bekannt gewordenen Missbrauchsfällen in anderen Institutionen, etwa in der katholischen Kirche: Täter schützen sich durch Seilschaften und Männerbünde, Opfer werden belächelt oder als zimperlich dargestellt. Sexuelle Gewalt hat stets strukturelle Ursachen.

Gefahr für die Gesundheit

Nun wird auf der ganzen Welt viel diskutiert über den Kuss, den der spanische Verbandspräsident Luis Rubiales der Weltmeisterin Jennifer Hermoso beim Jubel über den Titelgewinn aufgedrückt hat. Rubiales hielt dabei – vor aller Augen auf einer Weltbühne – den Kopf einer Frau fest, die elf Jahre jünger ist als er und die im Vorfeld der WM erfahren musste, dass es rein gar nichts bringt, sich gegen mächtige Männer zu wehren: Schon seit September 2022 gab es Vorwürfe gegen Jorge Vilda, den Trainer des spanischen Frauenteams.

In einem gemeinsamen Statement teilten im vergangenen Jahr 15 Nationalspielerinnen dem spanischen Verband mit, dass Jorge Vildas Trainingsführung ihre mentale Gesundheit ernsthaft gefährde. Es gab Hinweise auf übergriffiges Verhalten, Wutanfälle und eine schlechte Kommunikation mit dem Team. Hilfe bekamen die Beschwerdeführerinnen nicht. Im Gegenteil. Die Antwort des spanischen Verbands lautete, keine Spielerin solle sich erlauben, ihren Trainer infrage zu stellen. „The RFEF will not allow the players to question the continuity of the coach“ lautete die Formulierung im englischen Original. Rubiales stellte sich hinter Vilda. Nur drei der Frauen kehrten in den Kader zurück.

Nur ein "Ja" ist ein "Ja"

In Spanien gibt es nun weitgehend einen Konsens. Der Kuss wird verurteilt, die Entschuldigung von Rubiales als zu schwach empfunden. „Was wir gesehen haben, ist inakzeptabel“, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez. „Und die Entschuldigungen von Herrn Rubiales reichen nicht aus, ich würde sie als unangemessen bezeichnen, deshalb muss er weitere Schritte unternehmen, um klarzustellen, was wir alle gesehen haben“, so Sánchez. Die Gleichstellungsministerin Irene Montero bezeichnete den Kuss auf X als „sexuelle Gewalt“. Spanien hatte das Sexualstrafrecht im Oktober 2022 geändert. „Nur ein Ja ist ein Ja“ lautet der Kernsatz. Alles andere gilt als Vergewaltigung, Missbrauch oder Nötigung.

Der Verband RFEF hat in Madrid eine außerordentliche Generalversammlung einberufen. Das Treffen aus Anlass „der Vorfälle bei der Preisverleihung der Frauen-Weltmeisterschaft“ soll am Freitag (25.8) ab 12 Uhr in der spanischen Hauptstadt stattfinden, teilte der RFEF mit. In Spanien fordern viele einen Rücktritt von Rubiales. Am System würde sein Ausscheiden nichts ändern. Jedenfalls nicht, so lange wirksame Kontrollen fehlen und ein paternalistisches betüddelndes Gehabe von Funktionären als fürsorglich gilt.

Schritt-Grabscher kein Einzelfall

Im Verhältnis zu anderen Vorwürfen scheinen die Geste und selbst der Griff von Rubiales an seine Genitalien harmlos. Sambias Trainer wird vorgeworfen, Spielerinnen zum Sex gezwungen zu haben – Konsequenzen für Bruce Mwape gab es bisher keine, der Fall liegt seit September 2022 bei der FIFA. Yves Jean-Bart, der Präsident des Fußballverbandes von Haiti, wurde von der FIFA lebenslang gesperrt, er soll zum Teil minderjährige Spielerinnen sexuell belästigt haben. Der internationale Sportgerichtshof (CAS) hob das Urteil gegen ihn auf, die FIFA legte Einspruch ein.

Schockierend ist nicht der Kuss, sondern der Umgang mit sexueller Gewalt. Der Aufschrei aus der Politik kommt reichlich spät. Bereits während des Turniers gab es Hinweise, dass es den Frauen des spanischen Teams gegenüber zu Übergriffen gekommen sein soll. Das berichtete Felix Haselsteiner von der „Süddeutschen Zeitung“ im „Rasenfunk-Podcast“. Rubiales soll nach dem Halbfinale zwei Spielerinnen ohne deren Zustimmung geküsst haben, während diese sich mit internationalen Journalisten unterhielten. Passiert ist nichts.

Schuld sind gestrige Strukturen

Wie gestrig die Strukturen in Verbänden sind, zeigt die verständnislose Reaktion von Karl-Heinz Rummenigge. Er kenne Rubiales. „Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay.“ Eine anmaßende Aussage. Kein Beobachter kann beurteilen, was „okay“ ist und was nicht. Das kann nur die Frau und die heißt Jennifer Hermoso.

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