Red Bull-Übernahme, Tour de France-Pläne und Jan Ullrichs Dopinggeständnis: Jetzt spricht Bora-hansgrohes Sportdirektor Rolf Aldag auf Mallorca

Das deutsche Radsportteam weilt zurzeit an der Playa de Palma. Die MZ traf den Ex-Telekom-Profi zum Interview

Rolf Aldag ist seit 2022 Sportdirektor bei Bora-hansgrohe.

Rolf Aldag ist seit 2022 Sportdirektor bei Bora-hansgrohe. / Matthis Waetzel/Bora-hansgrohe

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Paukenschlag in der Radsportwelt: Der österreichische Getränkehersteller Red Bull übernimmt Deutschlands Elite-Rennstall Bora-hansgrohe. Derzeit prüft die Wettbewerbsbehörde den Plan. Mit einer Entscheidung wird Ende Januar gerechnet. Das Radsportteam ist dieser Tage im Trainingslager an der Playa de Palma unterwegs. Sportdirektor Rolf Aldag stellt sich den Fragen der MZ. Der 55-jährige Ex-Profi war früher Teamkollege von Jan Ullrich bei Telekom.

Wie viele Red-Bull-Dosen müssen die Bora-Fahrer künftig vor dem Rennen trinken?

Darum geht es primär nicht. Wenn sie es mögen, ist das natürlich willkommen. Ich persönlich trinke relativ viel davon. Das aber auch schon vor der möglichen Partnerschaft.

Was erhoffen Sie sich vom Red-Bull-Einstieg?

Es existiert das Interesse von Red Bull, im Radsport einzusteigen. Und das nicht nur als Sponsor, der Geld überweist, sondern mit Einfluss. Das ist der Stand der Dinge. Alles andere wäre Spekulation. Wenn Red Bull in einer Sportart aufschlägt, hinterlassen sie einen großen Fußabdruck. Das wird sicher keine kleine Nummer. Da braucht es wenig Fantasie, um das zu sagen.

Die Namensgeber Bora und hansgrohe haben langjährige Verträge. Eine Umbenennung des Teams ist nicht so schnell möglich.

Ich glaube, das ist nicht die Ambition von Red Bull. Das Unternehmen zeigt meist sehr viel Respekt vor der Geschichte des Clubs, den sie übernehmen, und vor den existierenden Partnern. Es gibt auch die Möglichkeit, den Namen zu erweitern.

Im Fußball hat Red Bull aus dem Nichts einen Champions-League-Club geformt. Ist Bora künftig dann auch Weltspitze?

Wir haben schon den Giro d’Italia gewonnen, mit Peter Sagan den WM-Titel geholt und waren Zweiter in der Weltrangliste. Uns fehlt ein vergleichsweise kleiner Schritt. Das ist die Tour de France. Wie schaffen wir den? Mit mehr Know-how und mehr Ressourcen. Damit wird uns Red Bull helfen können. Ein Selbstläufer wird das aber nicht. Da kommt eine Menge Arbeit auf uns zu.

Schon vor den Red-Bull-Millionen ist Bora mit der Verpflichtung von Primož Roglič ein Coup gelungen. Wäre nun alles außer dem Sieg bei der Tour de France eine Enttäuschung?

Alles andere als ein Podiumsplatz wäre eine Enttäuschung. So realistisch und ambitioniert müssen wir sein. Primož war 2020 schon einmal Zweiter und musste sich knapp geschlagen geben, damals war der derzeit große Dominator Vingegaard aber noch nicht so weit. Das ist die große Frage, wie wir den Dänen schlagen wollen. Einen Tadej Pogačar darf man auch nicht vergessen. Und von hinten drängeln viele junge Fahrer. Das wird ein ziemlicher Kampf.

Die Mallorquiner hoffen auf Enric Mas. Wie sehen Sie ihn?

Er ist ein richtig guter Rennfahrer, hat aber hier und da noch ein paar Defizite. Lange Zeit hatte er massive Probleme mit der Bergabfahrt. Das Potenzial, das Podium zu erreichen, ist da. Beim Blick auf die Konkurrenten verlieren wir ihn nicht aus den Augen. Die Frage ist, wie die Mannschaftsstruktur aussehen wird und ob er ausreichend Unterstützung erhält. Mit Nairo Quintana hat er einen starken Helfer an seiner Seite.

Roglič fährt vergleichsweise wenige Rennen im Jahr. Wie kommt das?

Das ist ein allgemeiner Trend im Radsport. Kaum noch ein Fahrer nimmt an 110 bis 115 Rennen im Jahr teil. Der Fokus liegt auf dem Training, wo man die Anstrengung beliebig dosieren kann. In einem Rennen reagiert man hingegen immer auf die anderen Fahrer. Da kann es sein, dass man sich 5.000 Kalorien angefuttert hat, sich aber im Hauptfeld versteckt und dann abends zunimmt, da man nur 2.000 Kalorien verbrannt hat. Zudem wird das Höhentraining immer wichtiger. Mitunter geht es in Höhenhotels, wo der Sauerstoffgehalt schon im Zimmer niedriger ist.

Für welche Rennen neben der Tour ist der Slowene vorgesehen?

Wir müssen Wert darauf legen, eine Mannschaft zu bilden. Die Fahrer müssen sich kennen und mögen. Seine Teamkollegen müssen für ihn durchs Feuer gehen wollen. Es ist mehr als nur ein Job. Paris–Nizza wird für das Teambuildung ein Meilenstein sein, wo wir mit dem Großteil der Tourtruppe antreten. Danach rotieren wir ein wenig. Primož wird auf jeden Fall noch die Dauphiné und die Vuelta fahren und den Giro aussetzen. Bei der Mallorca Challenge sehen wir ihn nicht. Er hat übrigens früher ein paar Monate auf der Insel gewohnt und mag sie sehr.

Welche Bedeutung hat die Challenge für Sie?

Wir sind auch deswegen hier im Trainingslager. Das geht Hand in Hand. Wir fühlen uns auf Mallorca wie zu Hause und kennen die Insel auswendig. Bei den Strecken gibt es keine Überraschungen für uns. Aleksandr Vlásov und Lennard Kämna werden unsere beiden Speerspitzen sein, wenn es um Siege geht.

Haben Sie die Doku mit dem Dopinggeständnis von Jan Ullrich gesehen?

Das musste ich nicht. Ich war schließlich damals dabei. Für mich sind das keine Neuigkeiten. Ich wünsche Jan, dass das Thema nun durch ist, er keine Leichen im Keller mehr hat und er mit erhobenem Blick nach vorne schauen kann. Alle, die ihn kennen, wissen, was er für ein Mensch ist. Die Szenen mit Aggressionen, Drogen und Alkohol – das ist nicht Jan. Für uns Beteiligte hat er brutal viel getan. Vor seiner Ankunft stand das Team Telekom vor der Auflösung. Als Rennfahrer haben wir ihm viel zu verdanken und dürfen ihn daher nicht verteufeln.

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