„Es besteht Grund zur Panik“, hatte Wolfgang Cramer schon im Oktober 2019 im MZ-Interview gewarnt. Ende vergangener Woche erhielt der renommierte deutsche Geograf und Ökologe, der als Forschungsdirektor am Mediterranen Institut für Biodiversität und Ökologie in Frankreich arbeitet, den Nord-Süd-Preis des Europarats, zusammen mit seinem Kollegen Joël Guiot. Die beiden haben in den vergangenen sechs Jahren im Rahmen des Forschungsnetzwerks MedECC 190 Wissenschaftler verschiedener Länder koordiniert, die mehr als 3.800 wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Klima und Umweltwandel im Mittelmeerraum veröffentlichten.

Der Preis wird für außergewöhnliche Leistungen auf dem Feld der Menschenrechte, Demokratie und der Diplomatie zwischen Nord und Süd verliehen. Was hat das mit Ihrer Arbeit zu tun?

Wir freuen uns gerade aus dem Grund, dass es kein Wissenschaftspreis ist, sondern dass es genau um die Frage Nord-Süd geht. Denn unser MedECC-Netzwerk interessiert sich für das gesamte Mittelmeerbecken, insbesondere auch für die Länder im Süden und Osten, die im wissenschaftlichen Kontext oft unzureichend vorkommen, weil dort nicht so viel geforscht wird. Wir haben enorme Anstrengungen unternommen, um Kollegen aus dem Süden und Osten mit einzubeziehen und so weit wie möglich Daten aus dem gesamten Mittelmeerraum aufzunehmen. Und genau das fand die Jury offensichtlich gut.

"Es gibt Untersuchungen, die sagen, dass die Leute ab 40 Grad nicht mehr so gerne kommen."

Was bedeutet der Preis für Ihre Arbeit?

Wir freuen uns, dass sich jetzt auch mehr Journalisten dafür interessieren. Es geht uns darum, der Politik deutlich zu machen, dass in Richtung Nachhaltigkeit viel mehr unternommen werden muss. Denn alles in allem sind die Anstrengungen der Anrainerstaaten völlig unzureichend. So, wie im Moment Klima- und Umweltpolitik gemacht wird, werden wirklich schwere Konsequenzen im Mittelmeer und auch an anderen Orten nicht zu verhindern sein. Wir sehen uns als ein Netzwerk, das auf wissenschaftlicher Basis genau das deutlich macht: dass die Situation kritisch ist, dass wir eine andere Politik brauchen für Landwirtschaft und Fischerei, aber auch in den Bereichen Transport und Energie, dass wir die Küsten schützen müssen und dass die Gesundheit der Menschen auf dem Spiel steht. Wir sind keine Aktivisten-Organisation, sondern machen eine Synthese der wissenschaftlichen Literatur, die verdeutlicht, welche Risiken objektiv bestehen. Diese bereiten wir so auf, dass sie für Politik, aber auch für die interessierte Öffentlichkeit verständlich ist.

MedECC wurde 2015 gegründet. Haben Sie die Politik seither wirklich erreicht?

Das muss man auf einem sehr bescheidenen Niveau betrachten. In den verschiedenen Ländern ist das Interesse sehr unterschiedlich. In unserer Wahrnehmung ist Spanien eines der Länder, das am stärksten auch auf Regierungsebene reagiert hat. Das hat etwas damit zu tun, dass die spanische Umweltministerin eine Wissenschaftlerin ist, die wirklich versteht, worum es geht. In Tunesien und Marokko ist das Interesse groß, Marokko ist ja auch sehr fortschrittlich, was erneuerbare Energien angeht. Eine große Leerstelle ist leider Frankreich, wo gerne etwas deklariert wird, aber in Wirklichkeit nicht genug unternommen wird. Wir bedauern das sehr – wir haben schließlich unseren Sitz in Frankreich. Und ich schaue natürlich auch immer mal wieder nach Deutschland und frage mich, wie engagiert die deutschen Regierungen sind, und bisher war die Politik für den Schutz von Klima und Biodiversität auch dort unzureichend. Natürlich werden sich durch den Regierungswechsel jetzt verschiedene Dinge ändern, und sicherlich wird es eine bessere Klimapolitik geben als vorher, aber ob die Probleme des Mittelmeerraums auf der Liste stehen, das wissen wir natürlich noch gar nicht. Der Weg ist weit.

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"Es ist ein viel zu langsamer Wettlauf mit einem sich viel zu schnell verändernden Klima."

Stichwort Klimakonferenz in Glasgow. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Wie es eine Kollegin von mir ausgedrückt hat: Es ist ein viel zu langsamer Wettlauf mit einem sich viel zu schnell verändernden Klima. Das einzig Positive, das in Glasgow herauskam, ist, dass man jetzt ein Regelwerk verabschiedet hat durch das genau dokumentiert wird, inwieweit jeder Staat sich engagiert. Aber die erreichten Vereinbarungen dazu, wie das Engagement konkret sein wird, sind leider immer noch unzureichend.

Kurz resümiert: Wie wird der Mittelmeerraum vom Klimawandel betroffen sein?

Der erste Punkt ist zunehmende Wasserknappheit, vor allem im Süden. Der zweite Punkt sind die Hitzewellen, die vor allem Alte, Kranke, Kinder und Menschen, die in schlecht isolierten Räumlichkeiten wohnen, stark beeinträchtigen werden. Der dritte Punkt ist der Anstieg des Meeresspiegels. Anders als an der Nordsee, wo die Gezeiten herrschen, sind Infrastruktur und Städte am Mittelmeer oft direkt an der Küste errichtet. Viele Städte und auch Küstenökosysteme werden bis zum Jahr 2100 erhebliche Probleme damit bekommen. Und manche Orte werden im Jahr 2300 nur dann noch existieren, wenn jetzt eine grundlegende Wende in der Klimapolitik kommt.

Was betrifft konkret Mallorca?

Es wird zusätzliche Wasserknappheit geben, wobei durch das Gebirge vergleichsweise viel Regen niederfällt. Das größte Problem werden Hitzewellen sein. Es ist unter Wissenschaftlern umstritten, inwieweit und ob der Tourismus auf Dauer unter steigenden Temperaturen leiden wird oder nicht. Es gibt Untersuchungen, die sagen, dass die Leute ab 40 Grad nicht mehr so gerne kommen. Und: Wenn wir ernsthaft Reduktionen der Treibhausgase erreichen, dann werden wir nicht umhinkommen, unsere Transportsysteme radikal zu ändern. Der schnelle Mallorca-Flug fürs Wochenende ist einfach nicht mit den notwendigen Klimazielen vereinbar. Und es ist nicht absehbar, dass wir in Kürze ausreichende Mengen aus erneuerbaren Energien gewonnene synthetische Brennstoffe als Kraftstoff für die Flugzeuge haben. Ähnliches gilt für den Kreuzfahrttourismus. Wenn diese beiden Faktoren – steigende Temperaturen vor Ort und Reduktion der Emissionen – vor dem Hintergrund der zwingend notwendigen Klimapolitik gesehen werden, ist das aktuelle Wirtschaftsmodell der Balearen nicht zukunftsfähig.