Die meisten denken beim Stichwort Feuchtgebiete auf Mallorca wohl an S’Albufera im Norden der Insel. Mit 2.036 Hektar ist sie mit Abstand größte zona húmeda. Seit 1988 ist sie offiziell ein Naturschutzgebiet, mit Spazierwegen, Ausschilderungen, Ausgucken und einem Infozentrum. Hierhin zieht es die Vogelfreunde, die Forscher und die Familien zum Sonntagsausflug. Und natürlich zahlreiche Vogelarten, die in den Lagunen Schutz suchen. Und vielleicht ist auch noch das Salzwasser-Feuchtgebiet Salobrar de Campos mit seinen Salinen einigen bekannt.

Selbst in einer Übersichtskarte der Behörden ist nur die Albufera gelb markiert. Dabei gibt es noch 30 weitere Feuchtgebiete, die das balearische Umweltministerium als solche dokumentiert. Auf der Karte sind sie zwar eingezeichnet, aber leicht zu übersehen. Sie alle zusammen machen 3.124 Hektar aus – das sind nur knapp 0,9 Prozent der Gesamtfläche der Insel.

Wildgänse im Erholungsmodus

Die eine schlummert im Halbschatten am Ufer, die andere putzt ihr Gefieder, die dritte treibt lautlos durchs Wasser. Kein Geschnatter, keine Aufbruchstimmung. Ganz klar: Die Wildgänse im Mini-Feuchtgebiet Estany de Canyamel sind im Erholungs-Modus. Und sie nehmen gelassen zur Kenntnis, dass ihr Rastplatz mitten in einem Touristenort liegt. Links an das Gewässer grenzen unmittelbar die Häuser und Straßen von Canyamel an, rechts erstreckt sich ein Golfplatz. Vermutlich sind sie die Nähe zu Menschen gewohnt – notgedrungen. Denn eine allzu große Auswahl an Feuchtgebieten, die Zugvögeln auf ihrem Weg in den Süden und zurück in den Norden als Stopps dienen, haben sie auf Mallorca nicht. Und die, die es gibt, sind häufig in Gefahr.

Das wenig bekannte Feuchgebiet Sa Porrassa bei Magaluf Viada / WWF

Der Estany de Canyamel, auf dem die Wildgänse rasten, ist kein großer Hingucker. Er ist nicht viel mehr als ein breiter Wildbach, der direkt am Küstenort ins Meer mündet. Wie wichtig er dennoch für die Tierwelt ist, erkennen nur aufmerksame Beobachter: Neben den Wildgänsen sind zahlreiche Entenarten angesiedelt, auch mehrere Reiher haben sich auf einem Ast im Wasser niedergelassen. Und unter der Oberfläche wimmelt es nur so von Fischen.

Raritäten im Mittelmeerraum

„Feuchtgebiete sind für die Fauna von sehr großer Bedeutung. Vor allem Süßwasservögel können nur dort entsprechendes Futter finden und sich niederlassen“, erklärt Toni Muñoz. Er ist Biologe und Aktivist in der Umwelt- und Vogelschutzorganisation GOB. Sein Lieblingsfeuchtgebiet: der Torrent de Son Real an der Nordküste Mallorcas. „In Regionen wie Nordeuropa oder Skandinavien, in denen ohnehin zahlreiche Flüsse und Seen zu finden sind und es mehr regnet, ist die Auswahl ungleich größer als hier im Mittelmeerraum. Entsprechend groß ist die Bedeutung der wenigen Feuchtgebiete auf Mallorca“, so Muñoz.

Dabei sind es bei Weitem nicht nur die Vögel, die davon profitieren. Jaume Vinyas, Sprecher des balearischen Umweltministeriums, kennt eine lange Liste weiterer Vorteile: „Feuchtgebiete fördern die Artenvielfalt, sie nehmen CO2 auf, und sie dienen als natürliche Barrieren gegen die Erosion, grade bei starken Unwettern. Auch bei großen Überschwemmungen dienen sie als Bremse. Und sie filtern das Grundwasser, wodurch sie entscheidend zur Wasserqualität beitragen können.“ Im Mittelmeerraum seien Feuchtgebiete die Ökosysteme mit der höchsten Produktivität.

Einst hieß es austrocknen

Dabei sollten die humedales, wie die Feuchtgebiete im Spanischen auch genannt werden, einst verschwinden. Noch vor 100 Jahren galt es, die Feuchtgebiete so weit wie möglich auszutrocknen, zumal sie als Brutgebiete von Mücken galten, die die Fieberkrankheit Malaria übertragen können.

Es waren zunächst die Landwirte, die – mit staatlicher Unterstützung – im 19. und 20. Jahrhundert immer mehr Feuchtgebiete trockenlegten, um sie als Ackerland zu nutzen. Auch bei der Besiedlung war der feuchte Untergrund lästig. In einem Baugesetz von 1877 wurden Feuchtgebiete in unmittelbarer Nähe zu Dörfern verboten.

Weitgehend ausgetrocknet wurde etwa die Tiefebene Sant Jordi, in der Umgebung des heutigen Flughafens. Noch immer erinnern die zahlreichen, teils verfallenen, teils hübsch anzusehenden Windmühlen an die Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals waren sie zentrales Hilfsmittel, um die als Sumpfgebiet abgestempelte Zone zu entwässern. Die Konsequenz: Heute ist von Feuchtigkeit in der Tiefebene kaum noch etwas zu spüren, nur noch ein kleiner Teil wird weiter als zona húmeda ausgeschrieben. „Ähnlich erging es vielen anderen Gebieten, auf denen heute Landwirtschaft betrieben wird oder Wohnhäuser stehen. An die Tier- und Pflanzenwelt dachte damals niemand“, so Umweltschützer Toni Muñoz.

Bis in die 1960er-Jahre. Da wich die Politik erstmals vom strengen Kurs des Trockenlegens ab, und begann, die Säuberungen der Feuchtgebiete und ihre Integration in die Landschaft zu fördern. Anfang der 80er-Jahre kam dann der entscheidende Wendepunkt: Erstmals wurde ein gesetzlicher Rahmen geschaffen, der es möglich machte, die noch verbliebenen Feuchtgebiete zu schützen.

Die Albufera ist das mit Abstand größte und bekannteste Feuchtgebiet auf Mallorca. CAIB

Schutz als Herausforderung

Und heute? „Die Balearen sind sehr gut aufgestellt, was die öffentlichen Schutzmaßnahmen betrifft“, sagt Toni Muñoz von der Umweltschutzorganisation GOB. Gerade in den vergangenen Jahren habe die Landesregierung viel dafür getan. „Die Albufera wurde erweitert und Es Trenc als Schutzgebiet ausgewiesen. Beides sind bedeutsame Fortschritte“, findet er. Aber es ist kein uneingeschränktes Lob – es hapere noch immer an der Verwaltung der Schutzzonen. „Es gibt keine mittelfristigen Pläne, keine Strategien, sprich: kein klar definiertes Ziel, wohin man will. Stattdessen ist der Schutz der Feuchtgebiete sehr improvisiert und entsprechend lückenhaft und findet nur so weit statt, wie im Haushalt Geld übrig ist.“

Und dann ist da ja auch noch der Klimawandel. „Grundsätzlich sind Feuchtgebiete sehr widerstandsfähige Ökosysteme, doch die globale Klimakrise macht ihnen zu schaffen“, bestätigt Jaume Vinyas vom balearischen Umweltministerium. Die zunehmende Wasserknappheit und der Temperaturanstieg bedrohten die zonas húmedas.

„Hinzu kommt der Anstieg des Salzgehalts in den Gewässern, gerade bei den Feuchtgebieten in Küstennähe, aber auch in der Albufera.“ Dieser Anstieg des Salzgehalts sei auf geringere Niederschlagsmengen zurückzuführen, aber auch auf zu hohen Wasserkonsum der Menschen – sei es durch Landwirte, die ihre Felder nicht vorschriftsgemäß bewässern, oder durch die Tourismuswirtschaft. „Letztlich ist jeder Einzelne, der Wasser verbraucht, mitverantwortlich“, sagt Jaume Vinyas. Die Gefahr, dass die Gewässer umkippen – sprich: dass sich Algen zu schnell vermehren und durch ihre Abbauprozesse den Sauerstoffgehalt des Wassers so stark senken, dass andere Lebewesen darin sterben –, sei unter solchen Bedingungen ungleich höher. „Und dann ist es wiederum viel schwieriger, die Feuchtgebiete zu pflegen und zu reaktivieren.“

Hoffnung für die kleinen

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Leicht sei es nicht, politisch gegen die Missstände in Mallorcas Feuchtgebieten vorzugehen, lamentiert der Sprecher des Umweltministeriums. Einerseits, weil die Kompetenzen teils bei der zentralspanischen Küstenbehörde liegen, andererseits, weil das Thema Wasser auf der Insel generell für viel Kopfzerbrechen bei den Behörden sorgt, Stichwort: veraltete Kläranlagen und leckende Leitungen. „Wir kämpfen da an zwei Fronten“, so Vinyas.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer aber gibt es: das Projekt „Aguas y biodiversidad“, an dem die Landesregierung derzeit gemeinsam mit der Naturschutzorganisation WWF arbeitet. Noch ist man in der Planungsphase. Doch bald sollen sowohl bestehende Feuchtgebiete besser geschützt als auch trockengelegte neu aktiviert werden. Es ist der Versuch, dem globalen Trend entgegenzuhalten. Auch die kleinen Feuchtzonen sollen davon profitieren. „Wir erarbeiten eine Strategie für insgesamt 359 Orte“, sagt Vinyas. „Einige davon sind nicht einmal 0,1 Hektar groß.“