Zukunft ohne Emissionen: So funktioniert Europas größte Produktionsstätte für grünen Wasserstoff in Spanien

Eine Anlage für grünen Wasserstoff in Kastilien-La Mancha ist erstmals über die Versuchsphase hinaus. Ein Ortsbesuch

Die Anlage in Puertollano wurde im Mai 2022 von König Felipe VI. eingeweiht.  | FOTO: THILO SCHÄFER

Die Anlage in Puertollano wurde im Mai 2022 von König Felipe VI. eingeweiht. | FOTO: THILO SCHÄFER / Aus Puertollano berichtet Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Die Szenerie wirkt wie aus einem Film über die Klimaapokalypse. Über dem riesigen Industriegebiet in einem Tal bei Puertollano in Kastilien-La Mancha, im Herzen Spaniens, brennt die Sonne Mitte April schon stark. Aus den silbernen Schloten der Raffinerie des Erdölkonzerns Repsol, einer der größten Anlagen des Landes, schießen Flammen in den stahlblauen Himmel. Die Fabrik des Düngemittelherstellers Fertiberia nebenan verbreitet ungewohnte Düfte über dem Terrain. In einer Ecke des Industriegebietes steht ein neues, in Grün und Weiß gehaltenes Gebäude neben schlanken hohen Depots, auf denen die chemische Formel „H₂“ prangt. Hier, in der derzeit größten Produktionsstätte für grünen Wasserstoff in Europa, wird an der Grundlage für eine Zukunft ohne Emissionen gearbeitet.

„Wir erleben hier einen unglaublich schnellen Lernprozess. Was wir heute über grünen Wasserstoff wissen, hat mit dem Stand von vor drei Jahres nichts zu tun“, sagt Javier Plaza, Spezialist für die Zukunftstechnologie bei Iberdrola, Spaniens größtem Energieversorger. Die Anlage des Konzerns in der alten Kohlestadt Puertollano wurde im Mai vergangenen Jahres von König Felipe VI. eingeweiht. Überall in Europa sprießen Anlagen für die Produktion und den Gebrauch von Wasserstoff aus dem Boden, die meisten davon befinden sich jedoch eher in der Erprobungsphase. Das Projekt von Iberdrola in der dünn besiedelten Mancha hat dagegen bereits industrielle Ausmaße, wenn auch noch kleine.

Grüne Energie für Düngemittel

Ein großer Solarpark mit einer Kapazität von 100 Megawatt wenige Kilometer vom Industriegebiet entfernt liefert den Strom, mit dem im Werk das Wasser in Wasserstoff (H₂) und Sauerstoff (O₂) geteilt wird. Die 16 Elektrolyseure können 3.000 Tonnen H₂ im Jahr produzieren, was nach Angaben von Iberdrola 78.000 Tonnen Kohlendioxid einspart. Der grüne Wasserstoff wird ausschließlich und direkt an die Düngemittelfabrik von Fertiberia nebenan geliefert. Theoretisch könnte man zehn Prozent des Energiebedarfs des Kunden decken, doch in der Praxis sind es derzeit weniger. Die Initiative für dieses Projekt ging von Fertiberia aus, das seine Produkte für die Landwirtschaft zunehmend als emissionsfrei verkaufen möchte. Der Plan ist, dass Iberdrola in einigen Jahren den kompletten Energiebedarf in Puertollano deckt und so den aus Erdgas gewonnenen Wasserstoff, der bislang verwendet wird, durch grünen H₂ ersetzt.

Die Möglichkeiten dieser aus Ökostrom und ganz normalem Wasser gewonnenen Energiequelle elektrisiert seit geraumer Zeit die Politik in Europa, erst recht nach der Explosion der Erdgaspreise infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine. Denn nicht alle Bereiche lassen sich mit Wind- und Solarkraft elektrisieren. Die Schwerindustrie, wie Stahl oder die Düngemittel von Fertiberia, muss Gas verbrennen, um extrem hohe Temperaturen zu erreichen. Da kommt H₂ ins Spiel, das auch für den Schwertransport infrage kommt.

Bislang wird der überwiegende Teil des Wasserstoffs in Europa mit Strom aus fossilen Energieträgern oder Atomkraft produziert, was die Umweltbilanz nicht wesentlich aufbessert. Daher setzen die Europäische Kommission und die nationalen Regierungen auf grünen Wasserstoff. Spanien will dank des natürlichen Potenzials für die Stromgewinnung aus Wind und Sonne zu einem „europäischen Hub“ für grünen H₂ werden, wie Ministerpräsident Pedro Sánchez oft bekräftigt. Zu diesem Zweck vereinbarte man vergangenes Jahr mit Frankreich, Portugal und Deutschland den Bau einer Unterseepipeline von Barcelona nach Marseille, durch die Spanien einmal Mitteleuropa versorgen soll.

Dekarbonisierung fördern

In Puertollano begrüßt man zwar die hehren Pläne der Politik. Doch werden hier erst einmal kleinere Brötchen gebacken. „Wir wollen nahe an unseren Kunden Wasserstoff produzieren, um die Dekarbonisierung zu fördern“, erklärt Eduardo González von der Presseabteilung von Iberdrola beim Besuch des Werks in der Mancha für eine Gruppe ausländischer Journalisten am 18. April. Wie hier mit Fertiberia, kann grüner Wasserstoff auch anderswo die Schwerindustrie mit emissionsfreier Energie versorgen.

Auch im Spanischen Zentrum für Grünen Wasserstoff (CNH2) warnt man trotz dem allgemeinem Optimismus vor den Problemen. „Wir haben die technologische Machbarkeit für grünen Wasserstoff bewiesen. Aber nun geht es darum, eine industrielle Reichweite zu haben“, kommentiert Miguel Ángel Fernández Sánchez, der Leiter des CNH2, beim Besuch in Puertollano. Probleme bereiten die Lieferketten, etwa für Solaranlagen, sowie bürokratische Hürden. Außerdem klagt Fernández Sánchez über den Mangel an Fachkräften. Der Industrie-Ingenieur stammt selbst aus Puertollano, in dessen Ortsmitte ein alter Förderturm an die früheren Zeiten als Bergarbeiterstadt erinnert. Sein Großvater arbeitete in den Kohleminen, sein Vater in der Raffinerie von Repsol, und er selbst widmet sich nun ganz dem grünen Wasserstoff.

Warten auf EU-Gelder

Das Zentrum, das dem spanischen Wirtschaftsministerium unterstellt ist, arbeitet eng mit Privatunternehmen zusammen und ist an sechs EU-Projekten beteiligt. Darunter auch Green Hysland auf Mallorca, einem Wasserstoffwerk, das Busse, ein Hotel und ein Terminal in Palmas Hafen mit H₂ versorgen soll.

Bei Iberdrola verweist man ebenfalls auf die Probleme mit der Regulierung dieser neuen Technologie. Und man drängt darauf, dass die versprochenen Subventionen aus Brüssel bald ankommen. „Ohne Zuschüsse ist dieses Projekt wirtschaftlich nicht tragbar“, meint Plaza von Iberdrola. Denn noch liegt der Preis für grünen Wasserstoff über dem H₂, das aus fossilen Quellen erzeugt wird. Allerdings hat der Krieg in der Ukraine dem neuen Energieträger einen strategischen Vorteil in der politischen Planung gegeben, versichert der Leiter des CNH2: „Grüner Wasserstoff ermöglicht die Eigenständigkeit, da man nicht mehr auf Gasimporte angewiesen wäre.“

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