Warum Mallorcas aktivste Umweltschutzaktivisten kurz vor den Wahlen hinschmeißen

In den acht Jahren ihres Bestehens ging Terraferida aggressiver vor als andere Umweltschutzgruppen

„Verletzte Erde“: eine Hommage an Terraferida von Künstler Miquel Barceló.  | FOTO: DM

„Verletzte Erde“: eine Hommage an Terraferida von Künstler Miquel Barceló. | FOTO: DM / Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Wenn Terraferida einen Tweet absetzte, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass daraus eine Schlagzeile in der Presse wurde. Kaum einer Lobby gelang es in den vergangenen Jahren so erfolgreich, ihre Inhalte eins zu eins in der öffentlichen Debatte zu platzieren – und damit in aller Regel die Linkskoalition in Landesregierung oder Inselrat unter Druck zu setzen. Jetzt ist damit Schluss. Die Aktivisten von Terraferida – der Name heißt übersetzt „verletzte Erde“ – haben Ende vergangener Woche angekündigt, ihre Aktivitäten auf unbestimmte Zeit auszusetzen.

An fehlendem Zündstoff liegt es jedenfalls nicht. Fotos, Videos, Dokumente – beständig sei man über Missstände informiert worden, so Jaume Adrover, Sprecher der Initiative, im Gespräch mit der MZ. Schwarzbauten, Zersiedelung auf dem Land, Wasserverschwendung, Abwasserprobleme, Müllkippen, illegale Ferienvermietung, Overbooking, Ärger mit Quads, überfüllte Strände, zu große Yachten in Naturbuchten – „die Menschen haben über uns all das kanalisiert, was Angriffe auf die Umwelt und die Landschaft dokumentiert“, sagt Jaume Adrover.

Unendlich viel Material

Diese Fülle an Einsendungen sei einer der Gründe für das vorläufige Aus von Terraferida. Es fehlten Zeit und Ressourcen, um Anzeigen zu erstatten, Kampagnen vorzubereiten und Presseanfragen zu beantworten. Keiner der knapp zwei Dutzend aktiven Mitglieder ist schließlich hauptberuflich für die Initiative im Einsatz. In den acht Jahren ihres Bestehens gingen die Umweltaktivisten aggressiver vor als andere Umweltschutzgruppen wie Gob, Amics de la Terra oder Oceana. Sie nannten mutmaßliche Umweltsünder beim Namen und lieferten umfangreiches Zahlen- und Fotomaterial gleich mit.

Bemerkenswert an dem Phänomen Terraferida ist, dass die Aktivität ziemlich genau mit den zwei Legislaturperioden der Regierung Armengol zusammenfällt. Die Linksregierung hatte sich mehr Nachhaltigkeit im Tourismus und mehr Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben. Und jetzt, da für Ende Mai Regionalwahlen anstehen und die Linksregierung um ihre Wiederwahl zittert, stellt Terraferida die Aktivität ein – nicht ohne eine miese Bilanz zu ziehen. Zwar hätten die linken Parteien eine größere Sensibilität für Umweltfragen als andere Parteien, dennoch sei man auf verschlossene Türen gestoßen. Es sei immer dasselbe: In Tourismusfragen werde keine Entscheidung getroffen, die nicht im Sinne der Hoteliers sei. Im Bereich der Stadtplanung würden die Erwartungen der Immobilienbranche nicht abgewiesen, heißt es in der Abschlusserklärung.

Die Reaktion in der Politik

Es ist eine Kritik, die Ministerpräsidentin Francina Armengol nicht auf sich sitzen lässt. Keine Regierung auf den Balearen habe Umweltschutz und Nachhaltigkeit so vehement vorangetrieben wie die jetzige Linksregierung, erwiderte sie – von der Touristensteuer über die Ausweitung der Schutzgebiete bis hin zum Limit für Kreuzfahrtschiffe. Und wenn man offen mit Politikern der Linksregierung spricht, stellen diese ihrerseits die Gesprächsbereitschaft von Initiativen wie Terraferida infrage.

Warum jetzt?

Auf Nachfrage bleibt Adrover bei der pauschalen Politikschelte. Kompromisse seien ja schön und gut, aber man dürfe bei Abkommen nicht nur die Interessen der Tourismus- und Kreuzfahrtkonzerne bedienen. Gleichzeitig beteuert der Aktivist, dass es keinen Zusammenhang mit dem Wahldatum gebe. „Wir wollten bereits Ende 2022 aufhören.“ Aber es sei noch ein Projekt mit Luftaufnahmen zwischen 2015 und 2021 am Laufen gewesen, eine Analyse über die Zunahme der Besiedlung. „Diese Arbeit hat ein Jahr gedauert, wir konnten die Ergebnisse erst im Februar vorstellen.“

Andererseits habe das Wahldatum aber auch nicht wirklich zum Weitermachen ermutigt, so Adrover. Man habe sich nur schwer zu den vor einem Urnengang üblichen Treffen mit den Parteien aufraffen können. „Die allermeisten Vorschläge, die wir bei früheren Treffen gemacht haben, sind weiterhin Vorschläge.“ Wenn man kein Ziel erreiche, verliere man die Motivation. „Die sozialen Bewegungen müssen manchmal ihre Ziele erreichen können, das ist der Sinn ihres Daseins.“

Nicht auch noch die Energiewende vergeigen

Ohnehin stehe und falle letztendlich alles mit einem Limit für die Gästebetten und einem Moratorium für die Bebauung. „Warum gibt es so lange Wartelisten im Gesundheitssystem? Warum ist der Es-Trenc-Strand überfüllt? Warum leben so viele Menschen in prekären Verhältnissen? Das sind alles Facetten desselben Problems.“ Die Umweltfragen verbinden sich bei Terraferida mit einer offenen Kritik am bestehenden Wirtschaftssystem. Wenn gegen Solarparks protestiert wird, geht es nicht nur um den Landschaftsschutz, sondern stets auch um die Frage, warum man das Land internationalen Investoren statt etwa einer Kooperative überlasse. Adrover: „Wir haben auf Mallorca schon so viele Dinge schlecht gemacht, wir können nicht auch noch die Energiewende vergeigen.“

Es bleibt wohl eine offene Frage, wie Terraferida mit einer konservativen Regierung umgegangen wäre. Bei den jetzigen Oppositionsparteien seien ohnehin Hopfen und Malz verloren, so Adrover. Sie seien stets gegen alle Vorschläge von Umweltschützern, auch wenn sie dies mit ihrem Diskurs geschickt zu tarnen wüssten.

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