Fridays-for-future-Aktivist auf Mallorca: „Wir hegen keinen Hass gegen den Tourismus“

Vor dem EU-Gipfel findet in Palma ein Gegengipfel statt. Pere Joan Femenia von Fridays for Future über die geplanten Aktionen, die Forderungen für Mallorca und sein eigenes Verständnis von Urlaub

„Reisen ist ein Privileg, das wir für selbstverständlich halten“: Pere Joan Femenia auf der Plaça Major in Palma.

„Reisen ist ein Privileg, das wir für selbstverständlich halten“: Pere Joan Femenia auf der Plaça Major in Palma. / Manu Mielniezuk

Johannes Krayer

Johannes Krayer

Bevor sich die EU-Tourismusminister oder deren Vertreter auf Mallorca zum Gipfel treffen, veranstalten Aktivisten mehrere Tage lang in Palma einen Gegengipfel. Damit wollen sie auf die negativen Folgen des Tourismus aufmerksam machen. Einer der Initiatoren ist Pere Joan Femenia (24) von der Initiative Juventud x el clima-Fridays for Future.

Wie war es für Sie, auf der Touristeninsel Mallorca aufzuwachsen?

Als ich geboren wurde, war die Insel bereits überlaufen. Da nimmt man den Unterschied zu vorher schwer wahr. Meine Eltern und Großeltern haben mir aber erzählt, wie sich die Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, wie leer die Strände früher waren. Der Tourismus beeinflusst unsere Lebensqualität, man spürt deutlich seine Auswirkungen auf die Insel. Die Branche hat Mallorca lange Zeit viele positive Dinge gebracht. Aber in der jüngeren Vergangenheit sehen wir eher die negativen Auswirkungen auf Landschaft und Bevölkerung.

Reisen Sie selbst denn gerne?

Nicht besonders. Ab und zu treffe ich mich mit anderen Aktivisten auf dem spanischen Festland. Ich sehe Urlaub eher als eine Art Gruppenzwang: Jeder tut es, aber wenn man ehrlich ist, besteht nicht wirklich die Notwendigkeit. Ich studiere Geschichte und Kunst. Manchmal reise ich in historisch interessante Städte mit Museen, die wir hier nicht haben.

Was war Ihre letzte Reise?

Vor vier, fünf Jahren war ich in Madrid. Und im vergangenen Jahr war ich in Italien mit dem Erasmus-Programm. Dort habe ich mich vor allem mit dem Zug und dem öffentlichen Nahverkehr fortbewegt.

Aber nach Italien sind Sie geflogen?

Ja, das schon. Vor Ort greife ich aber auf nachhaltigere Verkehrsmittel zurück.

Reisen hat auch etwas Demokratisches. Sollte nicht jeder das Recht dazu haben?

Die meisten sind in einem irrigen System gefangen und glauben, sie müssten das ganze Jahr über arbeiten. Deshalb glauben sie, sie haben das Recht auf Urlaub. Wir wollen diese Wahrnehmung verändern. Arbeitstage mit weniger Stunden, mehr das wertschätzen, was man vor Ort hat. Klar ist Reisen wichtig, aber nicht, weil man es eben so macht. Und vor allem sind nicht viele Kurzurlaube im Jahr nötig. Lieber reist man einmal länger. 50 Prozent der Menschen haben nie ein Flugzeug bestiegen. Und zehn Prozent sorgen für die Hälfte der Emissionen. Das heißt: Reisen ist ein Privileg, das wir für selbstverständlich halten.

Reisen werden nicht mehr genossen

Wie passt es eigentlich zusammen, dass einerseits die Bevölkerung sich der Folgen des Klimawandels bewusster ist als früher, gleichzeitig aber die Reisetätigkeit immer weiter zunimmt?

Das liegt an unserem Lebensstil. Wir glauben, möglichst viel in kurzer Zeit erleben zu müssen. Davon haben eigentlich auch die Urlauber wenig, weil sie in zwei Tagen nicht dieselben Eindrücke gewinnen wie in einer Woche. Man genießt die Reise nicht mehr wirklich.

Mit welcher Strategie wollen Sie Ihre Argumente beim Gegengipfel verdeutlichen?

Die Politiker haben ja inzwischen gemerkt, dass der Massentourismus beträchtliche Auswirkungen auf die Zielgebiete hat. Wir kritisieren schon seit Langem nicht den Tourismus selbst, sondern dessen Modell auf Mallorca. Je mehr die Zahl der Urlauber zugenommen hat, desto mehr verschlechterte sich die Lebensqualität der Einwohner Mallorcas. Wir brauchen einen Gegenevent zum Gipfel, weil die Politiker ohnehin nicht auf uns hören.

Was wird konkret passieren?

Wir veranstalten drei Tage lang mit Experten Diskussionsrunden, bei denen wir über die Folgen des Tourismus auf Mallorca sprechen, über den Kreuzfahrttourismus, die sozialen Auswirkungen oder auch die Folgen des Klimawandels. Am 30. Oktober gibt es dann eine Demonstration zum Paseo del Borne. In den sozialen Medien kann man sich unter @ContraCimera über unsere Veranstaltungen informieren.

Sind auch provokante Aktionen geplant?

Nein, wir werden lediglich einen Demonstrationszug organisieren, mit Percussion und traditionellen Dudelsäcken.

Auf Mallorca ticken Uhren anders

Anderswo kleben sich Aktivisten auf der Straße fest oder werfen Farbe auf Gemälde.

Auf Mallorca ticken die Uhren etwas anders. Der soziale Kontext hier ist anders.

Sie fürchten das Unverständnis der Menschen bei krasseren Aktionen?

Klar. Wenn man eine Straße sperrt, nervt das die Menschen. Und wir wollen nicht übermäßig in ihr Leben eingreifen. Wir glauben, dass hier auf Mallorca eine gewöhnliche Demonstration zielführender ist.

Welche Erwartungen haben Sie an den offiziellen Tourismusgipfel?

Keine großen. Der Tourismus wird bei diesen Events eher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten diskutiert. Experten, die den Fokus verschieben könnten, kommen nicht.

Während der Corona-Pandemie war für alle spürbar, wie sehr die Urlauber der Balearen-Wirtschaft gefehlt haben.

Mallorca lebt fast ausschließlich vom Tourismus, und das macht uns verwundbar. Wir haben sofort eine schwere Krise, wenn die Urlauber ausbleiben. Das ist negativ für die gesamte Insel. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass sich die Umwelt in kurzer Zeit erholt hat, als die Urlauber ausblieben.

Die Vertreter der Tourismusbranche verweisen darauf, für wie viel Wohlstand und Beschäftigung ihre Branche gesorgt hat.

Man muss aber auch die Art der geschaffenen Beschäftigung sehen. Dieses Jahr werden wir mit rund 17 Millionen Urlaubern einen neuen Rekord aufstellen. Gleichzeitig nimmt die soziale Ungleichheit in der Bevölkerung immer weiter zu. Der Wohlstand der meisten Menschen nimmt ab, viele können sich keine Wohnung mehr leisten. Und schon gar nicht reisen, was ja paradox ist.

Massentourismus und Qualitätstourismus sind austauschbar

Ist Ihnen der Massentourismus oder der sogenannte Qualitätstourismus lieber?

Ich halte die beiden Urlaubertypen für austauschbar. Darum darf es auch nicht gehen, sondern vielmehr darum, dass die Mallorca-Urlauber stets respektvoll gegenüber der Insel und der Natur sind.

Und das wäre bei welchem Urlaubertyp am ehesten gegeben?

Eher beim Kultururlauber. Der Strandurlaub ist ausgereizt. Qualitätsurlauber, die mehr Ressourcen verschwenden, braucht hier niemand.

Wie viele Urlauber kann Mallorca verkraften?

Seit vielen Jahren fordern wir eine Studie zu dieser Frage. Aber das scheint die Politik nicht zu interessieren. Mit einer solchen Studie könnte man feststellen, wo die Grenzen der Insel wirklich liegen und Konsequenzen für den Ausbau des Flughafens ziehen.

Das Thema Flugscham wurde vor Corona viel diskutiert. Welche Rolle spielt es jetzt?

Das Thema ist womöglich ein wenig aus dem Blickfeld geraten. Und nach Mallorca muss man nun einmal fliegen. Man sollte dabei aber nicht das Maß verlieren. Wir vertreten bei diesem Thema keinen radikalen Standpunkt, auch wenn uns das die Politiker vorwerfen. Wir hegen keinen Hass gegen den Tourismus. Wir fordern konkrete Schritte, um wieder zu einem Tourismusmodell wie vor einigen Jahren zurückzukehren, etwa mithilfe einer Studie zur Obergrenze der Touristenzahl.

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