Orangen von Mallorca: Warum die Bauern aus Sóller auf ein EU-Zertifikat verzichten

Die Landwirte des traditionellen Anbaugebiets verzichten auf ein EU-Zertifikat für die erstklassigen Zitrusfrüchte. Die Probleme lägen woanders, sagen sie

Orangen aus Sóller

Orangen aus Sóller / Nele Bendgens

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Dass die Orangen aus Sóller kommen, steht auf Pappkarten zwischen den Früchten in den Kisten. Aber auch so wissen die Kunden auf dem Mercat de Pere Garau, was sie kaufen: Man kennt sich, hinter dem Stand stehen die Bauern aus dem Orangental, die ihre Ernte am frühen Morgen nach Palma gebracht haben. „Zum Essen oder Saftmachen?“, fragt Xisco einen Kunden, bevor er ihm die canoneta abwiegt. „Beste Qualität, gestern gepflückt.“ Die berühmte Saftorange aus Sóller gibt es heute das Kilo für 1,20 Euro, fünf Kilo fünf Euro. „Wie wäre es noch mit Zitronen, für den Gin Tonic?“, fragt Xisco.

Der Handel mit den Zitrusfrüchten aus Sóller ist eine recht übersichtliche Sache: Die Produktion ist klein, die Betriebe und die Plantagen sind es meist auch. Um dieses Erbe zu bewahren und ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern, sollte deswegen auch die Europäische Union helfen, mit sogenannten geschützten geografischen Angaben für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel. Doch nun hat die Kooperative in Sóller entschieden, diese IGP (für „Indicaciones Geográficas Protegidas“) doch nicht zu beantragen. Die Mehrheit der Teilhaber entschied, das Projekt einzustellen.

„Der gesetzliche Rahmen ist sehr rigide“, erklärt Miquel Gual, Präsident der Kooperative Sant Bartomeu, im Gespräch mit der MZ. So gebe es strenge Vorgaben zur Optik und Größe der Früchte, was zur Folge gehabt hätte, dass etwas mehr als die Hälfte der Ernte gar nicht mit der IGP hätte ausgezeichnet werden dürfen. Das habe man in einer einjährigen Versuchsphase festgestellt. Der Geschmack dagegen, der die Sóller-Orange auszeichne, lasse sich mit dem Label überhaupt nicht abbilden. Hinzu kommt: Auch die weiterverarbeiteten Produkte – vor allem Saft und Marmelade – wären nicht geschützt gewesen. Alles in allem ergebe ein Antrag in Brüssel deswegen keinen Sinn.

Abnehmer auf der Insel und in Deutschland: Kisten mit Orangen werden in der Kooperative für den Vertrieb vorbereitet.  | FOTO: PERE JOAN OLIVER

Abnehmer auf der Insel und in Deutschland: Kisten mit Orangen werden in der Kooperative für den Vertrieb vorbereitet. / Pere Joan Oliver

Geringe Produktionsmenge

Orange = Sóller – diese Formel ist in vielen Köpfen verankert. Aber auch wenn der Anbau der Zitrusfrüchte fast schon automatisch in dem Tal mit seinem Mikroklima zwischen den Tausender-Gipfeln verortet wird, steuert dieses heutzutage nur etwa rund 15 Prozent der Gesamtproduktion auf der Insel bei. Beim Konsum rangieren die Sóller-Früchte mit nur rund zwei Prozent gar unter ferner liefen. Wie auch in anderen landwirtschaftlichen Bereichen wird ein Großteil der Orangen, die auf Mallorca verzehrt werden, vom spanischen Festland oder aus dem Ausland importiert.

Woanders größere Fincas

Die Sóller-Orange steht eben für Tradition und Qualität, aber nicht für Quantität. Anderswo auf Mallorca, vor allem in den Gemeinden Muro, Santa Margalida oder Inca, werden die Früchte großflächig und kostengünstiger angebaut. „Es gibt dort eine Finca, die allein rund 2,5 Millionen Kilo abwirft“, sagt Gual. Das sei rund eine Million mehr als die gesamte Produktion der eigenen Kooperative. Früher, im 19. Jahrhundert, als Sóller die Zitrusfrüchte in rauen Mengen nach Frankreich exportierte, habe man vom im Tal verfügbaren Wasser profitiert, heute lasse sich eine Plantage auch woanders bewässern.

Dass die Produktion immer geringer geworden sei, erklärt Gual mit der Ausdehnung des Ortskerns von Sóller auf Kosten der Anbaufläche, aber auch mit dem geringeren Ertrag kleiner und oft schwer zugänglicher Grundstücke. Wie solle man die Ernte mechanisieren, wenn schon die Anfahrt mit dem Auto zur Finca keine einfache Sache sei? Derzeit verkaufe man die Zitrusfrüchte 25 bis 30 Prozent teurer als die auf Palmas Großmarkt Mercapalma.

Vererbtes Orangenwissen

Der Anbau in Sóller ist „nicht so produktiv, aber sehr effektiv“, sagt der deutsche Unternehmer Franz Kraus, der mit seiner Firma Fet a Sóller einen Teil der Sóller-Orangen sowie Erzeugnisse daraus vertreibt. Rund 60 Prozent der frisch geernteten Produktion finden nach Angaben der Kooperative ihren Weg nach Deutschland. Ein integraler Anbau oder gar Bio-Anbau in Mischplantagen, Bewässerung mit Quellwasser, ein gesundes Bodenklima ohne Herbizide und vor allem eine generationenübergreifende Erfahrung mit den Zitrusfrüchten charakterisierten das Zitrus-Business in Sóller. „Die Menschen hier sind mit dem Orangenbaum groß geworden“, sagt Kraus, „das geht in die DNA rein.

Erleben kann man das am Stand von Jaume Soler und Cati Genestra auf dem Mercat de Pere Garau, die an diesem Donnerstag (6.4.) zusammen mit der Schwiegertochter die Kunden bedienen. Ihr Tag hat um 4.30 Uhr begonnen, wie sie berichten. Auf dem Markt angelangt, sähen sie, welcher Preis aktuell sei – und übernähmen ihn, um nicht auf zu teurer Ware sitzen zu bleiben. Die Preise seien recht stabil, nur im Sommer stiegen sie wegen des höheren Wasserbedarfs ein wenig. Reich werden könne man von den Einnahmen nicht, der Anbau sei gerade mal kostendeckend, sagen sie, aber die Tradition der Sóller-Orange wolle man auf jeden Fall erhalten.

Etikettenschwindel in manchen Geschäften

Verständlich, dass sich auch manch anderer Produzent mit diesem Image schmücken will. Einen solchen Etikettenschwindel könne man ab und an in kleineren Geschäften in Palma beobachten, meint Gual, der darauf setzt, dass sich die Herkunft in Zukunft auch ohne Siegel der EU schützen lässt. Neben der eingetragenen Marke „Vall dels Tarongers“ (Tal der Orangenbäume) gebe es seit diesem Jahr auch die vom Inselrat geschaffene Marke „Serra de Tramuntana“. Diese böten nicht nur den Vorteil, dass keine Früchte wegen optischer und damit für den Geschmack irrelevanter Kriterien außen vor blieben. Auch der Orangensaft sowie andere Erzeugnisse seien eingeschlossen.

Wird dann auch Verkäufer Xisco seine einfachen Pappschilder durch ein schickes Herkunftsetikett austauschen? Wohl eher nicht. „Das sind Marketingkampagnen“, so der Orangenbauer auf die Frage, was er von der Debatte hält. Angesichts der Tatsache, dass rund die Hälfte der Plantagen in Sóller aufgegeben worden sei, sollte die Erwerbssituation der Bauern im Mittelpunkt stehen und nicht das touristische Image einer Region.

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