Tränen, Ansturm, Hilflosigkeit: Auf Mallorca scheitern längst nicht nur Senioren an der Digitalisierung

Immer mehr Behördengänge auf der Insel werden ins Internet verlegt. Doch statt die Prozesse zu vereinfachen, verkompliziert die teils fehlerhafte Technik sie oft. Und das nicht nur bei Senioren ohne viel Online-Erfahrung

Mit Smartphone und Computer vertraut, und doch teilweise aufgeschmissen: Auch jüngere Leute scheitern an der Technik.

Mit Smartphone und Computer vertraut, und doch teilweise aufgeschmissen: Auch jüngere Leute scheitern an der Technik. / J. Cebollada / Efe

M. Elena Vallés

„Error inesperat. No s’ha pogut realitzar l’operació. Esperau uns minuts i intentau-ho de nou.“ (Unerwarteter Fehler. Die Operation konnte nicht durchgeführt werden. Warten Sie einige Minuten und versuchen Sie es erneut.)

Es ist der 4. Januar und die Fehlermeldung, die immer wieder auf dem Bildschirm auftaucht, treibt mich fast in den Wahnsinn. Mehrere Stunden haben mein Partner und ich bereits mit dem Versuch zugebracht, eine Subvention der Landesregierung zu beantragen. Ich in den kostbaren Abendstunden, in denen unser Kind endlich schlief, um sämtliche Formulare immer wieder online auszufüllen – und festzustellen, dass noch Dokumente fehlen. Er tagsüber, teils während der Arbeitszeit, um ebenjene beim Rathaus ausstellen zu lassen. Morgen läuft die Frist ab. Wir haben alles zusammen, doch die Technik spinnt. Wenn es jetzt nicht klappt, können wir die 200 Euro, die wir beantragen wollen – ein Zuschuss der Landesregierung für außerschulische Aktivitäten unseres Kindes – abhaken. Wieder fülle ich alle Dokumente aus. Warte. Wieder erscheint die Fehlermeldung. Wir scheitern an der Technik – dabei sind wir weder alt noch ungebildet noch digitale Vollnieten.

Ansturm auf Behörden

Und wir sind damit nicht allein. Um den Jahreswechsel herum kam es bei den Behörden, allen voran in den Servicebüros des balearischen Sozialministeriums, zu einem regelrechten Ansturm an Menschen, die vor allem eins wollten: einen persönlichen Termin, mit greifbaren Ansprechpartnern, um ihre Anträge abzuwickeln. Schließlich hatte die Regierung im Zuge der Krisenbewältigung gleich mehrere Töpfe an Hilfsgeldern bereitgestellt: neben dem Zuschuss zu außerschulischen Aktivitäten etwa auch Wohngeld für Geringverdiener oder Erstattungen der Semestergebühren an der Balearen-Uni. Wenn man sie denn frist- und vor allem formgemäß beantragte.

Man könnte meinen, das sei kein Problem, in Zeiten, in denen Smartphones, Tablets und Co. ein ständiger Begleiter sind, und vieles auch auf digitalem Wege erledigt werden kann. Und doch entscheiden sich viele Menschen für den persönlichen Kontakt mit den Sachbearbeitern. Nicht nur – wie in unserem Fall – wegen offensichtlicher technischer Fehler im System, sondern auch, weil für den Online-Behördengang erst einmal ein analoger Behördengang notwendig ist.

Denn um Anträge im Netz zu stellen, reicht es nicht, routinierter Internetnutzer zu sein. Stattdessen muss der Antragsteller über ein digitales Identifizierungsprofil, die sogenannte „Cl@ve permanente“ verfügen (oder auch, im Falle der Spanier, über eine „DNI electrónico“). Anfang Dezember 2022 war das laut balearischem Gesundheitsministerium nur bei rund zwei Prozent der Balearen-Bevölkerung der Fall, die Anzahl der Neunutzer stieg seitdem aber „nennenswert“ an, heißt es auf MZ-Anfrage aus dem Sozialministerium – weil viele von den Hilfsgeldern profitieren wollten. Um die Online-Identifizierung anlegen zu lassen, die auch andere bürokratische Wege erleichtern soll – beispielsweise die Online-Einsicht in die Krankenakten bei IB-Salut– muss man sich zunächst persönlich in einer Behörde vorstellen. Doch in vielen Ämtern sind die Öffnungszeiten begrenzt, die Wartezeiten auf einen Termin oft lang – und wegen des großen Andrangs zum Jahresende sogar vielerorts länger, als es die Antragsfristen für die Subventionen erlaubten.

Ich hatte Glück: Mein Partner gehört zu jenen wenigen, die sich die „Cl@ve permanente“ bereits vor längerer Zeit haben einrichten lassen – vor dem großen Run also. Ein „sicheres System“, das Prozesse „vereinfacht“, wirbt die spanische Zentralregierung. Daher auch unser anfänglicher Optimismus, „mal eben“ das Hilfsgeld zu beantragen. Weit gefehlt.

Tränen im Rathaus

Sylvie Paulette hat diese Zuversicht in Bezug auf Computernutzung schon lange verloren. Die 75-jährige Französin lebt seit 55 Jahren in Palma und fühlt sich mehr und mehr digital abgehängt. „Die Behördengänge werden für uns Senioren, die das Internet nicht verstehen, immer komplizierter“, beklagt die Rentnerin. Schon die Online-Vereinbarung eines persönlichen Termins beim Arzt oder einer Behörde sei kaum zu bewältigen. Vom Umgang mit digitalen Identifizierungsformen ganz zu schweigen. „Meine Kinder wohnen nicht auf der Insel und können mir nicht immer helfen. Neulich musste ich jemanden dafür bezahlen, dass er mir online einen Termin machte, damit ich meinen Pass erneuern kann“, so die Residentin, die immer viel Wert darauf gelegt hat, ihre Papiere in Ordnung zu halten. Natürlich habe sie es zunächst telefonisch versucht, so Paulette. „Aber da war immer nur eine Maschine dran.“ Als auch noch der Versuch scheiterte, ein Knöllchen zu bezahlen, brach die Französin schließlich im Warteraum von Palmas Rathaus verzweifelt in Tränen aus –ein gütiger Sachbearbeiter nahm sich dann doch noch außerplanmäßig der hilf- und terminlosen Rentnerin an.

"Hilflos und alleingelassen"

Dass die digitale Kluft gerade der älteren Generation immer mehr zusetzt, ist kein Geheimnis. Zahlreiche Institutionen bieten seit Jahren Erwachsenen-Einsteigerkurse für Smartphone- und Internetnutzung an. Doch häufig sind auch hier die Wartelisten lang – und nicht selten erfolgt die Anmeldung ebenfalls online. Sylvie Paulette jedenfalls hat noch keinen freien Platz ergattern können. „Man fühlt sich wirklich hilflos und alleingelassen“, sagt die 75-Jährige.

Ich, die erst 34 ist, kann sie gut verstehen. Am 5. Januar, dem Stichtag, versuche ich – frustriert von den Fehlermeldungen am Vorabend – einen technischen Mitarbeiter der Cl@ve-Servicestelle ans Telefon zu bekommen. Um nachzuvollziehen, warum unser Online-Antrag immer wieder scheitert. Auch das: aussichtslos. Eine Roboterstimme bittet mich gefühlt stundenlang, noch „etwas Geduld“ zu haben. Doch die ist am Ende, beim besten Willen. Nicht nur 200 Euro haben wir verloren, sondern auch jede Menge Nerven.

Hilfe für Senioren im Kampf gegen die digitale Kluft

Um gerade älteren Menschen den Umgang mit neuen Technologien zu erleichtern, subventionieren der Inselrat und das balearische Verbraucherministe-rium gemeinsam Einsteigerkurse für Erwachsene. Sie sollen die digitale Kluft verringern. In Manacor beispielsweise gibt es seit Jahren derlei Angebote. Meist ist die Nachfrage groß, die Wartelisten sind lang.

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