Trendgetränke aus Zuckerrohr: Wie der Anbau der karibischen Pflanze auf Mallorca gelingt

Jeroni Esteva brachte seine Pflanzen aus Kuba mit und setzte sie bei Sant Llorenç ein. Sie gedeihen prächtig – und die Säfte könnten auf der Insel zum Trend werden

Jeroni Esteva

Jeroni Esteva / Nele Bendgens

Zuckerrohr auf Mallorca anbauen, geht das überhaupt? Eine Plantage bei Sant Llorenç des Cardassar beweist, dass das Riesenrohr das Inselklima bestens verträgt. Jeroni Esteva hatte bereits Erfahrungen mit tropischen und subtropischen Bäumen gesammelt, die Früchte wie Avocado, Chirimoya oder Guave liefern, als er sich an das Zuckerrohr (Saccharum officinarum bot., caña de azúcar span., canya de sucre kat.) wagte. Aus der Ferne sieht es dem Schilf, das in den Feuchtgebieten Mallorcas vorkommt, ähnlich. Aus der Nähe sind dann die dicken Rohre zu erkennen, die an Bambus erinnern. Doch anders als der Bambus zählt das Zuckerrohr nicht zu den invasiven Pflanzen. „Es bleibt dort, wo man es hinsetzt“, sagt Jeroni Esteva.

Lolli-Ersatz und Windschutz

Entdeckt hat der Mallorquiner das Zuckerrohr in einem Garten auf Kuba. Er erinnerte sich daran, dass früher auf den Inselhöfen kleine Mengen von cañas de azúcar für die Kinder gepflanzt wurden. Das Rohr schnitt man in kleinen Stücken längs auf, und die Kids lutschten mangels Bonbons so lange daran, bis der süße Saft ausgetreten war.

Doch nicht nur als Lolli-Ersatz taugt das Zuckerrohr. Es ist ein schnell wachsender Sicht- und Windschutz für Gärten und somit eine Alternative zu den Zypressen. Diese wachsen langsamer und ihre Wurzeln nehmen viel Raum in Anspruch. Das Wurzelwerk des Zuckerrohrs beschränkt sich hingegen auf eineinhalb Meter, sodass andere Gewächse in unmittelbarer Nähe wachsen können. Bevorzugt gedeihe das Zuckerrohr in Küstennähe, es sei äußerst widerstandsfähig, so Esteva.

Ernte ist mühsam

Die ersten Pflanzen aus Kuba sind heute knapp drei Meter hoch. Esteva pflanzte sie im Abstand von 15 Zentimetern zwischen Januar und den Sommermonaten. Hier auf der Plantage sind die Pflanzreihen an eine Tröpfchenbewässerung angeschlossen, die Esteva nur den Sommer über nutzt und der er ab und an natürlichen Flüssigdünger beigibt.

Esteva zieht die Pflanzen für Interessenten vor, warnt aber auch: So einfach es ist, eine Hecke aus Zuckerrohr anzulegen, so mühsam gestaltet sich die Ernte und die Vorbereitung der Rohre für die Weiterverarbeitung. Der Mallorquiner führt den Schnitt des harten Rohrs am unteren Ende mit der Machete vor. Das gelingt erst im dritten Versuch. Danach schneidet Esteva das grüne Blattwerk ab. Es sieht aus wie das Ende einer Lauchstange im Großformat. Der Strunk bleibt stehen. Um ihn herum bilden sich junge Triebe. Sie können nach zwei Jahren geerntet werden.

Mit einer Walze wird geschnittener Zuckerrohr zu einem Saft gepresst, den man etwa als "Guarapo" genießt.

Mit einer Walze wird geschnittener Zuckerrohr zu einem Saft gepresst, den man etwa als "Guarapo" genießt. / Nele Bendgens

Araber brachten Zuckerrohr nach Andalusien

Die schwere, mühsame Erntearbeit beeinflusste die Weltgeschichte, wobei die Anfänge harmlos waren. In Indien wurde Zuckerrohr bereits in der Antike angepflanzt. Die Araber brachten es nach Andalusien. Von dort aus breitete es sich in präkolumbischer Zeit im Mittelmeerraum sowie auf den Kanarischen Inseln und Madeira aus. Wahrscheinlich auch auf Mallorca – der Ortsname Canyamel könnte auf den Anbau des süßen Rohrs auf den fruchtbaren Feldern nahe dem Wachturm Torre de Canyamel zurückgehen.

Es soll Kolumbus selbst gewesen sein, der das Zuckerrohr auf seiner zweiten Reise 1473 in seine Kolonie Hispaniola brachte, um es dort von den Siedlern anbauen zu lassen. Was ab dann geschah, ist bekannt. Mit dem Zuckerrohranbau und dem folgenden Zucker- und Rumexport kam die über 400 Jahre währende Verschleppung von Millionen Afrikanern in die Karibik, nach Süd- und später nach Nordamerika in Gang. Später löste die Zuckerrübe als Lieferant für Süßes den Vollrohrzucker ab, und die Maschinen ersetzten die Macheten.

"Guarapo" wird in Lateinamerika als Zaubertrank gesehen, der satt macht und stärkt.

"Guarapo" wird in Lateinamerika als Zaubertrank gesehen, der satt macht und stärkt. / Nele Bendgens

Frisch gepresst: Guarapo

In Lateinamerika ist es nicht in Vergessenheit geraten: An kolumbianischen und venezolanischen Stadtausfahrten trinken Lkw-Fahrer manchmal ein, zwei Gläser sei es des frisch gepressten oder schon leicht gegorenen Saftes. Der Zaubertrank guarapo macht satt und stärkt, sodass sie weite Strecken ohne Pausen zurückzulegen können. Auch Esteva bereitet ihn seit einiger Zeit frisch auf verschiedenen Inseljahrmärkten zu. Er nutzt dafür eine Presse, die beim MZ-Besuch im Gewächshaus mit den Jungbäumen steht.

Bevor die Rohre zermalmt werden, säubert Esteva sie mit dem Hochdruckreiniger und desinfiziert sie. Dann schneidet er von den Stangen Anfang und Ende ab und schlitzt sie der Länge nach mit einem Schneider auf. Ein Rohrteil nach dem anderen kommt in die Maschine, mehrere Walzen zermalmen das Rohr. Während vorne der Saft in eine Glaskanne läuft, spuckt die Maschine hinten platt gedrückte Rohre aus. Esteva füllt zerkleinertes Eis in Gläser, gießt den guarapo ein und gibt Limettenachtel hinzu. Das Getränk schmeckt weniger süß als erwartet, dagegen frisch, fruchtig und richtig gut. Für die Marktbesucher kostet ein Glas vier Euro, mit einem Schuss Havanna-Rum etwas mehr.

Eingekocht: Panela

Weiterverarbeitet wird der Saft vielfach zu panela, wie die Blöcke braunen Vollrohrzuckers in Kolumbien und Venezuela genannt werden (in Andalusien ist von pilón die Rede, in Mexiko von piloncillo). Hergestellt werden sie, indem der Zuckerrohrsaft erhitzt und zu einer Melasse eingedickt wird, die dann in Formen aushärtet. Die auf Mallorca in vielen lateinamerikanischen Geschäften erhältliche panela kann dann, zermahlen oder auch in großen Stücken, in heißem oder kaltem Wasser wieder aufgelöst werden. Mit reichlich Zitronen- oder Limettensaft vermengt, ergibt sich auch so ein erfrischendes Getränk. Guarapo oder agua de panela, beides sind Getränke, die durch ihr karibisches Flair bei Emigranten aus Lateinamerika Heimweh auslösen, bei Weitgereisten kann es als Nebenwirkung zu großem Fernweh kommen.

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