Wohlhabende Ausländer, verfehlte Baupolitik: Wie kommt es zu der Wohnungsnot auf Mallorca?

Der Soziologe David Abril von der Balearen-Universität hat in einer Studie untersucht, wie es zu der angespannten Immobilienlage auf der Insel kommen konnte

Nichts Besonderes – und dennoch für viele auf Mallorca unbezahlbar: einfache Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus in Palma.

Nichts Besonderes – und dennoch für viele auf Mallorca unbezahlbar: einfache Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus in Palma. / ISAAC BUJ/EP

Johannes Krayer

Johannes Krayer

Da ist die Geschichte von Milagros: Die 54-jährige Andalusierin kam im Jahr 1997 gemeinsam mit ihrem Partner nach Ibiza, um hier im Tourismus zu arbeiten. Das Paar bekam vier Kinder, eines davon schwerbehindert. Heute lebt Milagros mit dem erwachsenen Sohn, der ständig auf Betreuung angewiesen ist, sowie zwei 17-jährigen Zwillingen in einem Ein-Zimmer-Apartment auf Ibiza. Eine erwachsene Tochter ist inzwischen ausgezogen.

Milagros denkt nun ernsthaft darüber nach, wieder mit ihrem Ex-Mann zusammenzuziehen. Dieser muss demnächst aus seiner Wohnung, weil der Besitzer Eigenbedarf geltend macht. Und das alles auf 50 Quadratmetern.

Verfehlte Wohnungspolitik

Ihren Alltag erzählt hat Milagros dem Soziologen David Abril, der an der Balearen-Universität (UIB) lehrt und forscht. Gemeinsam mit seiner Kollegin Isabel Nadal und einem Team weiterer Wissenschaftler hat er eine Studie zur Wohnungsnot auf den Balearen vorgelegt. Milagros ist eine von 14 befragten Betroffenen der Wohnungskrise, die auf den Balearen herrscht und die nach Einschätzung von Abril inzwischen der wichtigste Grund dafür ist, dass Menschen sozial isoliert sind. Die Ergebnisse der Studie lassen auf eine verfehlte Wohnungspolitik der Verantwortlichen in Spanien wie auch auf den Inseln schließen – und das bereits seit einigen Jahrzehnten, sagt Abril im Gespräch mit der MZ.

Ibiza ist sicher der Ort auf den Balearen, an dem die Lage auf dem Wohnungsmarkt am angespanntesten ist. Aber Mallorca sei nicht mehr weit entfernt davon, sagt der Soziologe. Hier sei es nicht selten, dass eine Familie oder eine Einzelperson zwischen 60 und 70 Prozent des verfügbaren Einkommens für eine Wohnung ausgeben müsse, sei es für die Miete oder eine Hypothek. „Da hilft es in vielen Fällen nur, sich zusammenzutun und etwa als Single in eine WG zu ziehen, auch im Alter von 40 oder 50“, erklärt Abril. Auch getrennte Partner müssten samt ihrer Kinder häufig noch zusammenleben, wie etwa Milagros.

Die Rolle der Ausländer

Dabei sei diese Situation keineswegs nur ein Resultat der vergangenen Jahre, in denen die Balearen zunehmend als Zweitwohnsitz für wohlhabende Europäer interessant wurden. „Wir sind zum Schluss gekommen, dass der Einfluss reicher Zweitimmobilienbesitzer auf die Wohnungsnot und die hohen Preise eher gering einzuschätzen ist“, so Abril.

Auch wenn Abril eine Vergangenheit als Politiker der Linkspartei Més hat, die eine Beschränkung der Immobilienverkäufe an Ausländer befürwortet, hat der Wissenschaftler keine Anzeichen dafür gefunden, dass sich damit das Problem auch nur annähernd in den Griff bekommen ließe. Schließlich seien die Ausländer zumeist in anderen Preiskategorien unterwegs als die arbeitende Inselbevölkerung – ein Argument, das auch Immobilienunternehmen anführen, die Zweitwohnsitze verkaufen.

Ursachen schon im Franco-Regime zu suchen

Nein, die Ursachen für die Krise auf dem Wohnungsmarkt seien schon viel älter und unter anderem im Franco-Regime zu suchen, so Abril. Während der Diktatur (1939–1975) habe es praktisch keine Wohnungspolitik gegeben. Der erste Wohnungsminister unter Franco habe gesagt: „Wir wollen kein Spanien der Proletarier, wir wollen ein Spanien der Eigentümer.“

In der Franco-Zeit wurden zwar Sozialwohnungen gebaut, in Palma etwa in den Vierteln Son Roca oder Son Cladera. Doch diese verloren nach 25 Jahren den Status als Sozialwohnung und kamen auf den freien Markt. „Das hat man in anderen Ländern wie Deutschland besser gelöst, indem die Wohnungen nach Ende des Status als Sozialwohnung in den Besitz etwa von Kooperativen übergegangen sind“, sagt Abril.

Die Verantwortlichen präsentieren die Studie der Öffentlichkeit. In der Mitte David Abril.

Die Verantwortlichen präsentieren die Studie der Öffentlichkeit. In der Mitte David Abril. / Nair Cuéllar

Zwangsräumungen schnellen in die Höhe

2008 dann, mit Beginn der Finanzkrise, sei die Zahl der Zwangsräumungen stark gestiegen, wobei ab diesem Moment auch die Zahl der Immobilienunternehmen auf den Inseln deutlich zunahm. Abril berichtet von rund 3.700 Büros 2008. Im Jahr 2022 seien es bereits rund doppelt so viele gewesen. „Und bei so vielen Zwischenhändlern merkt man schon, dass sich in der Branche viel Geld verdienen lässt.“ Ein großes Problem sind laut Abril vor allem die internationalen Fonds, die auf den Balearen in Immobilien investieren. „Hier gibt es überhaupt keine belastbaren Statistiken, wir haben keine Ahnung, wie viele Wohnungen sie auf den Inseln kontrollieren.“

Für Abril sind nicht die Gehälter das Problem auf Mallorca, sondern das quasi inexistente Angebot an bezahlbarem Wohnraum. Niedrige Gehälter gebe es auch in anderen Teilen Spaniens, doch die Immobilienpreise auf Mallorca seien für Normalverdiener deutlich zu hoch.

Das lässt sich gut aus einer Statistik in der Studie ersehen. Demnach lag der durchschnittliche Preis für eine Mietwohnung auf den Balearen im Jahr 2021 bei rund 640 Euro pro Person und damit mindestens 200 Euro höher als in den meisten anderen Regionen, mit Ausnahme von Katalonien und Madrid. Inzwischen sind die Preise auf den Inseln noch weiter gestiegen. Hinzu kommt: Wer heute über einen Mietvertrag verfüge und beispielsweise 800 Euro für eine Wohnung zahle, habe keinerlei Garantie, dass nicht morgen der Vermieter komme und die Miete kurzerhand auf 1.200 Euro hochsetze oder etwa Eigenbedarf anmelde.

Bündel an Maßnahmen

Die Folgen für Menschen, die äußerst beengt oder mit ihrem Ex-Partner zusammenleben müssten, seien auch psychischer Natur, sagt David Abril. Für ihn gibt es nicht die eine Lösung, die den Menschen auf Mallorca wieder einen Zugang zu bezahlbaren Wohnungen ermöglicht. „Da ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen nötig.“ Angefangen von deutlich mehr Sozialwohnungen, die gebaut werden müssten, über die Umwandlung von Gewerberäumen in Wohnungen bis hin zu einer effektiveren Kontrolle der leer stehenden Wohnimmobilien und einer engmaschigen Überwachung der Aktivitäten von Immobilienfonds.

„Wir haben gesehen, dass es nicht gut geht, wenn allein der Markt alles regelt“, sagt David Abril. „Die Menschen haben in Spanien einen Anspruch auf eine würdige Bleibe.“

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