Hier nehmen Sie Platz inmitten eines virtuellen Orchesters auf Mallorca

Das CaixaForum in Palma setzt mit einem neuen Angebot neue Standards in Sachen virtuelle Realität

Klassische Musik und virtuelle Realität: Der perfekte Klang einer Geige lässt sich schwer erklären, aber intensiv erleben.

Klassische Musik und virtuelle Realität: Der perfekte Klang einer Geige lässt sich schwer erklären, aber intensiv erleben. / CAIXAFORUM

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Stardirigent Gustavo Dudamel steht auf der Bühne des Gran Teatre de Liceu. Den Hintergrund bildet das ovale Rund der beleuchteten Logen in dem berühmten Opernhaus von Barcelona. „Fertig?“, fragt Dudamel. „Dann beginnen wir.“ Zunächst herrscht Stille. Der Dirigent hebt den Taktstock, wie ein Donnerschlag ertönen die ersten vier Noten von Beethovens Fünfter Sinfonie. Das Fortissimo wirkt noch intensiver, weil die Musiker nicht wie bei einem gewöhnlichen Konzert vor einem, sondern ringsherum sitzen. Der Drehstuhl erlaubt eine Rotation um fast 180 Grad nach links oder rechts und somit einen direkten Blick auf Geiger, Cellisten, Kontrabassisten. Der Zuhörer als Teil des Orchesters.

Das Projekt „Symphony“, das jetzt im CaixaForum in Palma angelaufen ist, setzt neue Standards in Sachen virtuelle Realität. Besucher nehmen mal eben zwischen den Sinfonikern Platz und erleben das Orchester visuell wie akustisch von innen. Nach seiner Premiere im CaixaForum in Barcelona im Frühjahr 2021 ist die Projektion, für deren Aufnahmen eine spezielle 360-Grad-Kamera und 3D-Mikrofone zum Einsatz kamen, nun auch in Palma zu sehen – nicht als permanente Installation wie im Fall des Kulturzentrums in Barcelona, aber im täglichen Programm noch bis Juni kommenden Jahres.

So funktioniert es

Der Raum im dritten Stock des Caixa Forum in Palma ist unspektakulär und schmucklos. In mehreren Reihen stehen ausladende Drehstühle, Mitarbeiter helfen beim Aufsetzen der VR-Brille und der separaten Kopfhörer. Die Technologie mag futuristisch erscheinen, sie führt aber zurück zu den Ursprüngen. „Zu Zeiten Beethovens haben die Menschen seine Musik ausschließlich direkt erleben können“, erklärt Núria Oller, musikalische Leiterin beim CaixaForum und Verantwortliche für das Projekt, dessen Entwicklung ganze vier Jahre in Anspruch nahm.

„Symphony“ soll nach Barcelona in weiteren Städten zu sehen sein.  | FOTO: CAIXAFORUM

„Symphony“ soll nach Barcelona in weiteren Städten zu sehen sein. | FOTO: CAIXAFORUM / Frank Feldmeier

Die Technologie treibt die Unmittelbarkeit dieses Konzerterlebnisses nun auf die Spitze, „sie ermöglicht einen Eindruck, den sonst nur der jeweilige Musiker haben kann.“ Denn je nach Standort der Kamera und Drehwinkel des Stuhls ändert sich auch der Klang, ertönen die gezupften Kontrabasssaiten wie ein dumpfer Herzschlag, schälen sich die hellen Töne der Querflöte heraus, fächern sich Akkorde in jeder Instrumentenfamilie auf. Die Eindrücke sind so intensiv, dass man die Projektion bewusst auf eine Dauer von zwölf Minuten beschränkt habe, erklärt Oller.

Im Innern der Geige

Zumal die virtuelle Reise nach wenigen Minuten von der Bühne weg und in sphärische Welten führt. Hier schweben überdimensionale Instrumente. Zur klassischen Musik gleitet die Kamera durch den Weltraum und über Trompetenventile hinweg, direkt in den Trichter des Instruments hinein. Dann befinden wir uns in der Werkstatt eines Instrumentenbauers, ja sogar im Innern des Korpus einer Geige, der sich mit einem Mal in seine Bestandteile aufzulösen beginnt. Decke, Steg, Saitenhalter – alles schwebt davon, und das Instrument wird auf das Wesentliche reduziert: ein Stück Holz, bearbeitet mit einer Handwerkskunst, die vor rund drei Jahrhunderten zur größten Blüte gelangte und deren Kniffe für den perfekten Klang sich auch heute nicht wirklich erklären lassen, wie eine Stimme auf Spanisch und aus dem Off erzählt.

Regisseur Igor Cordadellas kombiniert klassische Musik mit virtueller Realität.

Regisseur Igor Cordadellas kombiniert klassische Musik mit virtueller Realität. / Frank Feldmeier

Vorfilm auf Panoramaleinwand

Man kann sich gut vorstellen, dass mehr als 250 Personen an dem Projekt beteiligt waren, zumal zunächst ein Vorfilm auf einer Panoramaleinwand in die Orchestermusik einführt. Er porträtiert visuell und akustisch drei Musiker sowie gleichzeitig die so unterschiedlichen Klänge und Rhythmen ihrer Heimatregionen Kolumbien, New York und das Mittelmeer, die sich auf der Konzertbühne der Projektion zu etwas ganz Neuem vereinen.

Visuelle Effekte und digitale Animationen steuerte eine Firma aus Barcelona bei, die virtuelle Realität entwarf eine Firma in London. Die Aufnahmen mit dem Mahler Chamber Orchestra entstanden unter der Regie von Igor Cortadellas mit dem Prototypen einer 360-Grad-Kamera, die besonders intime Aufnahmen der Musiker zuließ. Im Gegensatz zu anderen VR-Projektionen geht der Zuschauer nicht umher, sondern bleibt am Platz. Stattdessen wechselt der Standort der Kamera – mal sitzt man zwischen den Streichinstrumenten, mal direkt vor den Pauken, wenn der Beginn der Ersten Sinfonie von Gustav Mahler, dann der Mambo aus „West Side Story“ von Leonard Bernstein erklingen.

Klassische Musik und virtuelle Realität: Der perfekte Klang einer Geige lässt sich schwer erklären, aber intensiv erleben.  | FOTO: CAIXAFORUM

Klassische Musik und virtuelle Realität: Der perfekte Klang einer Geige lässt sich schwer erklären, aber intensiv erleben. | FOTO: CAIXAFORUM / Frank Feldmeier

Was als Nächstes kommt

Emotionale Tiefe, schmetternde Rhythmen – das Projekt hat auch einen sehr pädagogischen Ansatz und soll Lust auf mehr machen. „Wenn man die Projektion ein zweites Mal anschaut, achtet man auf ganz andere Dinge“, sagt Oller. Im CaixaForum in Barcelona ist nach dem Erfolg bei Publikum und Kritik inzwischen eine zweite Projektion zu sehen, die sich ganz auf den Bolero von Maurice Ravel konzentriert – eine noch intensivere Erfahrung, die angesichts des betörenden Rhythmus des Stücks, seiner raffinierten Klangfarben und des über mehr als 15 Minuten gezogenen Crescendos ganz auf animierte Spielereien verzichtet und sich allein auf die Musiker konzentriert. Auch „Bolero“ werde man in Zukunft in Palma zeigen, verspricht Oller, es gebe aber bislang noch kein Datum.

Eine Reportage über den "Bolero" im CaixaForum in Barcelona lesen Sie im alternativen Städteguide "Barcelona-Abenteuer" des Autoren (externer Link).

Praktische Information

  • Bis 9. Juni 2024
  • ab acht Jahren
  • ca. 40 Minuten
  • 6 Euro
  • Termine und Reservierung online unter: caixaforum.org/es/palma

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