Ausstellung in Palma de Mallorca: Warum die deutsche Künstlerin Jorinde Voigt den Körperkontakt mit ihren Bildern sucht

Mit „Inmerso“ zeigt sie ihre erste Einzelausstellung bei der Galería Pelaires in Palma de Mallorca

Jorinde Voigt mit einer ihrer mehrteiligen Holz-Skulpturen aus ihrer im Spätherbst 2022 begonnenen neuen Serie.

Jorinde Voigt mit einer ihrer mehrteiligen Holz-Skulpturen aus ihrer im Spätherbst 2022 begonnenen neuen Serie. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

In den komplexen Kosmos der Arbeiten von Jorinde Voigt (Frankfurt, 1977) einzutauchen, ist fordernd, doch horizonterweiternd: Die international renommierte Künstlerin und Professorin entwickelte ihre ganz eigene „Schreibweise“ für die Wirklichkeit und die Wahrnehmung kontinuierlich weiter.

Bei Voigts Solo-Ausstellung „Inmerso“ in der Galería Pelaires in Palma de Mallorca ziehen das dramatisch gehängte, performativ kreierte Werk „The Match III“ und die umliegenden Arbeiten die Besucher in ihre Welt hinein. Der zugelassene Zufall malt bei diesem Zyklus mit: Voigt zieht zunächst Baumwollpapiere durch ein Tintenbad, färbt sie so und lässt sie dann trocknen. „Dadurch habe ich einen heterogenen Zustand, mit dem ich starte. Wir kommen nie in eine oder aus einer neutralen Situation. Auf einem weißen Papier zu beginnen, ist wie eine Konvention, ‚das unbeschriebene Blatt‘. Das gibt es aber im Leben nie“, erklärt die Künstlerin.

Etwas extrem Reales schaffen

Die Farbe bildet die Grundlage, auf die dann bestimmte, direkt von der Realität abgeleitete Handlungsabläufe folgen – „fast wie meditative Vorgänge, aber auch beobachtend“, so Voigt. „Letztendlich geht es darum, etwas extrem Reales zu schaffen.“ Erster Schritt: Die Künstlerin steht in der Mitte des Papiers und markiert, wohin sie mit dem Stift in der Hand kommt. So entstehen blaue Linien, die ihre maximale Reichweite und zugleich ihre Begrenzung benennen. „Da entsteht mit einem Strich schon etwas sehr Gegensätzliches“, sagt die 46-Jährige.

Links: "The Match III" von Jorinde Voigt.

Links: "The Match III" von Jorinde Voigt. / Nele Bendgens

Als zweites notiert sie ihre „Positionen“ auf dem Blatt: Abdrücke von Knien, Füßen, Waden, Händen, Armen. Nachdenken und Sich-Erinnern hält sie mit weißer Kreide fest. „Das Notieren, wo man das Papier berührt, ist die Thematisierung davon, dass es den Körper nicht ohne Kontext, den Kontakt zu etwas und die Beziehung zur Umgebung gibt“, so Voigt. Aus der Dokumentation dieses Faktes ergeben sich Formen. Weitere Elemente sind Beschriftungen, die zeitliche Ebenen einbringen – von heute bis unendlich, immer wieder – und Flächen aus Blattgold. „Gold ist einerseits extrem reflektierend, andererseits extrem hermetisch. Was darunter liegt, ist nicht mehr sichtbar.“

Wie ein Beat in der Musik

Tiefblau und voller Rhythmus: „Pacientia-Studie 5 und 6“ von 2020.

Tiefblau und voller Rhythmus: „Pacientia-Studie 5 und 6“ von 2020. / Nele Bendgens

Auch bei ihren Werken mit blauem Grund gibt es „Kontaktstellen“. Die Zeichnungen hier erzählen von einer Body-Scan-Meditation, bei der mental abgetastet wird, ob alles mit dem Körper in Ordnung ist. Die Striche darüber sind rhythmisch, tanzend, pulsierend. „Wie ein Beat in der Musik“, sagt Voigt. Bei den roten Arbeiten taucht der Torus auf, eine Donut-Form, die die Künstlerin mathematisch interessant findet, weil jeder Punkt des Objekts zugleich Inneres und Äußeres ist. „Und ich finde es ein tolles Modell für die Wahrnehmung: Wenn wir die Welt wahrnehmen, sind es Vorgänge in uns, die uns dieses Bild erschaffen.“

Der Donut als Modell: „Immersion Crepuscule  Study X“, 2018.

Der Donut als Modell: „Immersion Crepuscule Study X“, 2018. / Nele Bendgens

Eine Sprache für schwer greifbare Empfindungen findet Voigt auch bei einer Arbeit, die mit Tausenden von Federn gespickt ist, tiefschwarz und zugleich weich: Voigt assoziiert damit eine Art „prachtvolle Trauer“. Es geht um das Beschreiben einer Matrix, um Orientierung und Bewegung, auch um das Thema Fliegen, in dem sich der Wunsch manifestiert, der Schwere zu entfliehen: „Das ist wie ein vererbter Traum der Menschheit, schon seit Ikarus“, sagt die Künstlerin. Zudem untersuchte sie das individuell wie kollektiv erlebte Gefühl, dass durch Generationen hindurch etwas „in uns hineinreicht“, das nicht von uns kommt und sich immer entzieht, wenn man hinsieht, quasi „im toten Winkel stattfindet“.

Arbeit mit schwarzen Federn: „Synchronicity III“ von 2015 (Detail).

Arbeit mit schwarzen Federn: „Synchronicity III“ von 2015 (Detail). / Nele Bendgens

Eine neue Dimension

Ganz plastisch hingegen zeigen sich die Skulpturen aus Cortenstahl oder aus Holz, eine neue Serie von Voigt. Das Prinzip: frei Hand gezeichnete Formen, die miteinander verschränkt sind – „Zeichnungen, die Grenzen überschreiten und in die Skulptur münden“, sagt sie. Jene aus Holz sind an der Seite gefeilt, innen weich und rund, und nicht fest verbunden, sondern nur lose ineinander geschoben. Sie bilden Kombinationen wie Beziehungen oder Familien: Bestimmte Teile halten gut und stabil zusammen – und gewinnen erst in der Verbundenheit eine neue Dimension hinzu.

Jorinde Voigt, „Inmerso“ Ausstellung bis 31. Mai, Galería Pelaires, Carrer Can Verí 3, Palma, Di.–Fr. 10.30–18.30 Uhr, Sa. 10.30–13.30 Uhr, weitere Informationen unter: pelaires.com, jorindevoigt.com

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