Klimasünder Privatjets: Mallorca rangiert vor Berlin und München

Reiche Unternehmer, Sportler und Filmstars reisen immer häufiger mit dem Privatflieger auf die Insel, die Preise fallen. Eine gute Nachricht ist das nicht

Ein Pärchen vor einem Privatjet (Symbolfoto).

Ein Pärchen vor einem Privatjet (Symbolfoto). / Extreme Photographer

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Kylian Mbappé kichert, als hätte ihm jemand einen schmutzigen Witz erzählt. Schmutzig ist es tatsächlich, was sein Verein Paris Saint-Germain zu verantworten hat, aber gar nicht witzig. Der Fußball-Erstligist war mit dem Privatjet die 340 Kilometer Luftlinie von Nantes nach Paris gereist. Dabei hätte eine Bahnfahrt keine zwei Stunden gedauert, der französische Schnellzug TGV hätte sogar einen Sonderzug gestellt.

Auf einer Pressekonferenz danach befragt, schauen sich der Trainer Christophe Galtier und Weltstar Mbappé kurz an und prusten los. Man würde für die nächste Auswärtsfahrt ein Segelboot in Betracht ziehen, meint der Trainer ironisch. „Ich denke darüber nicht nach“, sagt der Spieler, als ein Journalist auch seine Meinung zu den umweltschädlichen Jets hören will. Das Video der Pressekonferenz im vergangenen September sorgte für internationale Schlagzeilen.

Mallorcas Flughafen auf dem neunten Platz

Fliegen im Privatjet boomt, vor allem in Frankreich, aber auch auf Mallorca. Laut Daten des Europäischen Verbands für Businessflüge (EBAA) waren 2022 in Europa 793.152 Flüge von Privatjets gemeldet. Im Vorjahr waren es 709.398 Flüge. Das entspricht einem Wachstum von 11,8 Prozent. Mit 60.634 Flügen ist Paris der am meisten frequentierte Flughafen, gefolgt von Nizza auf dem zweiten Platz (39.648). Mallorcas Flughafen ist Neunter und verzeichnet die meisten Flüge im spanischen Raum (19.618). Ibiza ist 13. mit 16.258 Flügen. Direkt darauf folgen Berlin (16.148) und München (15.532).

„Wir haben eine rückwärtstickende Uhr. Wir können zwar noch eine Menge an Kohlenstoffdioxid emittieren, ehe es richtig, richtig brenzlig wird. Aber schon jetzt kommt es auf jede Tonne an“, sagt Stefan Gössling. Der Professor aus Westfalen lehrt an der Linnaeus Universität im schwedischen Kalmar und beschäftigt sich seit 25 Jahren mit den Klimaauswirkungen der Mobilität. „Fünf bis sechs Stunden Flug im Privatjet entsprechen der CO₂-Jahresbilanz eines durchschnittlichen Europäers.“

Stefan Gössling verdeutlich mit Eimern den Kerosin-Verbrauch pro Passagier bei einem neunstündigen Linienflug.

Stefan Gössling verdeutlich mit Eimern den Kerosin-Verbrauch pro Passagier bei einem neunstündigen Linienflug. / Privat

Exklusives Terminal

Die Privatjets haben auf Mallorca seit 1999 ein eigenes Terminal, welches 2011 renoviert wurde. Betrieben wird es von Mallorcair, einem externen Subunternehmen des Flughafenbetreibers Aena. Reinlassen möchte man die MZ nicht. „Wir geben Medien weder Auskünfte noch Interviews“, heißt es auf Nachfrage. Schließlich punktet die Firma mit ihrer Verschwiegenheit bei Kunden wie den Hollywoodstars Nicole Kidman, den Fußballprofis Cristiano Ronaldo und Robert Lewandowski oder dem Unternehmer Richard Branson, die in den vergangenen Monaten hier gelandet sind. Das Terminal befindet sich neben dem Langzeitparkplatz am Ende der südlichen Landebahn. Die nicht selten prominenten Fluggäste können unerkannt aus dem Flieger steigen und werden von dort mit dem Auto weiterbefördert. Auf dem Rollfeld stehen rund 50 Stellplätze für die Jets zur Verfügung.

Privatjets auf dem Rollfeld von Mallorcas Flughafen.

Privatjets auf dem Rollfeld von Mallorcas Flughafen. / Bendgens

Häufig nach Mallorca

In Deutschland hat zuletzt ein Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ und dem „NDR“ diese Klimaschutz-Debatte angefeuert. Die Anzahl an Starts und Landungen von Privatjets sind auch dort extrem gestiegen. Der Report bezieht sich auf die Daten der Europäischen Flugkontroll-Organisation (Eurocontrol). Demzufolge sind 94.000 Privatjets 2022 von deutschen Flughäfen gestartet. 8.000 mehr als 2021 und mehr als jemals zuvor. 813 Privatjets haben ihre Basis in Deutschland, mehr als irgendwo anders in Europa. Erschreckend ist die Anzahl an Kurzstreckenflügen, die als besonders klimaschädlich gelten. Bei neun von zehn Flügen war die zurückgelegte Strecke kürzer als 1.000 Kilometer. Bei sechs von zehn Flügen waren es nicht einmal 300 Kilometer Distanz. Und „bei längeren Flügen war der mit Abstand häufigste Zielort Mallorca“, so der NDR.

Das kostet ein Flug im Privatjet

Das österreichische Unternehmen GlobeAir präsentiert sich auf der eigenen Website als Marktführer in Europa. Mit 20 Privatjets, die über 900 Flughäfen anfliegen, habe man einen Marktanteil von über 50 Prozent, so der Charteranbieter zur MZ. Mallorca sei „ein sehr beliebtes“ Reiseziel, wobei sich das in ihren Statistiken nicht unbedingt niederschlägt.

Das Unternehmen rechnet vor, dass ein Privatjet längst nicht mehr ein Spielzeug der Superreichen ist. Hin- und Rückflug am selben Tag von Zürich nach München würde in der ersten Klasse eines Linienfluges 4.500 Euro kosten, im Privatjet mit 5.200 Euro nur unwesentlich mehr. Da Warteschlangen wegfallen, würde man drei Stunden Zeit einsparen – bei gleicher Flugzeit. Ein Privatjet sei also gar nicht so teuer, wie viele meinten. „Wir haben immer wieder das Phänomen, dass die Erwartungshaltung unserer Kunden – vor allem im deutschsprachigen Raum – bei einem Preis von 15.000 Euro liegt“, so GlobeAir.

Der Luxus im Privatjet.

Der Luxus im Privatjet. / Terrassa

Das aber ist die Größenordnung bei einer längeren Strecke. Der Rechner auf der Website spuckt für einen Flug von Berlin nach Palma für eine Person in einer Cessna Citation Mustang einen Preis von 16.260 Euro aus.

„Ein Business-Meeting in London, Paris oder Berlin und abends pünktlich den Kindern die Gutenachtgeschichte vorlesen. Das ist ein typischer Rhythmus unserer Kunden, zu denen Unternehmer, Spitzensportler und Schauspieler zählen. Sie alle verbindet ein enger Terminkalender“, teilt GlobeAir der MZ mit.

Einen Privatjet teilen

„Vor allem wenn man sich einen Jet teilt, bekommt man Tickets für die Kurzstrecke schon für 1.500 Euro“, sagt Gössling. Das sei einer der Faktoren für den derzeitigen Boom – neben der Pandemie, bei der sich die Reisenden nach einem sicher stattfindenden Flug in einem leeren Flieger sehnten. Im Corona-Jahr 2020 entstand aus dieser Nachfrage heraus das Schweizer Unternehmen Travelcoup Deluxe, das Linienflüge im Privatjet mit bis zu acht Passagieren anbietet. Geflogen wird nur in der Saison von April bis Oktober. Ein Drei-Tages-Mallorca-Trip ab Berlin im April kostet derzeit laut Preisrechner 9.200 Euro pro Person.

Die Charteranbieter punkten mit ihrem Service.

Die Charteranbieter punkten mit ihrem Service. / Terrassa

Eine Frage von Arm und Reich

Da solche Beträge sicherlich kein Ottonormalbürger zahlen kann oder will, ist die Debatte um die Superjets auch eine Frage von Arm und Reich. Der französische Wirtschaftsprofessor Lucas Chancel hat ausgerechnet, dass die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung gerade mal für 16 Prozent aller Treibhausemissionen verantwortlich ist. Die Reichen, die oberen zehn Prozent, verursachen 50 Prozent der Emissionen.

Ein Viertel fällt alleine auf das obere ein Prozent. „Die derzeitigen Krisen haben dafür gesorgt, dass die Reichen noch reicher werden“, sagt auch Gössling. Als Faustregel gilt: Wer mehr Wohlstand hat, emittiert auch mehr. „Der russische Milliardär Roman Abramowitsch nutzt ein kommerzielles Flugzeug privat. Er hat eine CO₂-Bilanz von 30.000 Tonnen pro Jahr. Der globale Durchschnitt liegt bei fünf Tonnen pro Person“, rechnet Gössling vor.

Ignoranz und Flugscham

Wie die Superreichen mit der Problematik umgehen, zeigt das Beispiel Mbappé. Man lacht, man redet sich heraus und ignoriert unangenehme Fragen. „Der Druck in Form von negativer Presse ist allerdings so hoch, dass manche schon verschleiern, wie viel sie in Wirklichkeit unterwegs sind“, sagt Gössling. „Die Branche tut alles, um als umweltfreundlich zu gelten.“ EBAA-Vertreter verweisen darauf, dass sie nur 0,04 Prozent am weltweiten CO₂-Ausstoß zu verantworten haben. Aber das sei beschönigend, sagt Gössling. „Jeder redet seinen Anteil klein, doch Privatjets sind für vier Prozent aller Emissionen der Luftfahrt verantwortlich. Was zählt, ist die Summe der individuellen Aktivitäten.“

Es ist egoistisch und unfair, dass die, die am meisten geben könnten, am wenigsten tun.

Ganz ähnlich sieht das auch Carlos López de la Osa, Spanien-Chef der NGO „Transport and Environment“, die sich für nachhaltigen Verkehr einsetzt. „Die Antwort ist einfach: Von allen Bürgern wird im Kampf gegen den Klimawandel verlangt, einen Beitrag zu leisten. Es ist egoistisch und unfair, dass die, die am meisten geben könnten, am wenigsten tun“, sagte er der Tageszeitung „El País“.

Die Reichen ignorieren oft die Umweltschäden.

Die Privatjet-Nutzer ignorieren oft die Umweltschäden. / Terrassa

GlobeAir hält mit einem Umweltprogramm dagegen. Bei der Buchung des Privatjets können, wie auch bei großen Fluggesellschaften Spenden abgegeben werden, die den CO₂-Fußabdruck des Flugs ausgleichen sollen. Mit 33 Euro pro Flugstunde und Passagier wären die CO₂-Emissionen bereinigt. Das Unternehmen spricht auf MZ-Nachfrage von einem „Meilenstein für die unternehmerische Verantwortung“. Die Spenden gehen an Naturschutzprojekte wie den Schutz des Regenwalds. Wie 165 Euro einen fünfstündigen Flug ausgleichen sollen, der der CO₂-Jahresbilanz eines Durchschnittseuropäers entspricht, bleibt rätselhaft.

Keine Steuern

Eigentlich müssen die Luftfahrtunternehmen in der EU seit 2012 CO₂-Rechte kaufen. Doch für die Privatjets existiert eine Ausnahmeregelung. Gewerbliche Anbieter werden erst ab 10.000 Tonnen im Jahr zur Kasse gebeten, Privatjet-Besitzer ab 1.000 Tonnen. „De facto gibt es keine Steuern“, sagt Gössling. Und falls Beträge bezahlt werden, seien diese lächerlich gering. „Die Steuern müssten um das Zehn- bis 30-fache erhöht werden, um den Klimaschaden aus- zugleichen.“ Ähnlich sieht es Carlos López de la Osa. „Ein Autofahrer zahlt beim Tanken heutzutage mehr Steuern als eine Person, die mit dem Privatjet von Madrid nach Ibiza fliegt.“

Besonders schädlich sind kurze Flüge mit wenigen Passagieren. „Das meiste Kerosin wird beim Start benötigt. Auf eine Mittelstrecke hochgerechnet reduziert sich der Verbrauch“, sagt Gössling. Da unterschiedliche Flugzeugtypen benutzt werden und die Strecken stark variieren, sei es schwierig, einen Durchschnittsverbrauch zu berechnen. „Mit einem Liter Kerosin verbrennt man 3,15 Kilogramm CO₂. Bei meinen Studien haben ich meistens mit einer Emission von 1,4 Tonnen CO₂ pro Flugstunde kalkuliert.“ Wobei das Kohlenstoffdioxid nur ein Drittel der Umweltbelastung darstelle. Stickoxide und Wasserdampf setzen dem Klima auch zu.

Gibt es eine Lösung?

Der Privatjet-Trend dürfte 2023 weitergehen. „Prototypen für Wasserstoffflugzeuge wird es nicht vor 2030 oder 2035 geben. Selbst dann müsste die Infrastruktur an allen Flughäfen umgebaut werden. Was immer kommen mag, es ist zu spät und nicht ausreichend“, sagt Gössling. Stattdessen hat er drei Vorschläge: erstens, die schon erwähnten höheren Steuern. Zweitens: einen höheren Anteil an erneuerbaren Brennstoffen. Bis 2030 müssen die Fluggesellschaften schon jetzt sechs Prozent an Kerosin aus Biomasse oder Ähnlichem nutzen. Wünschenswert wären 100 Prozent bis 2050. Und drittens: Jeder Einzelne muss einfach weniger fliegen.

Abonnieren, um zu lesen