Spanien will die Milliarden aus dem europäischen Wiederaufbaufonds dazu nutzen, sich wirtschaftlich neu aufzustellen. Neben der Energiewende und der Digitalisierung spielt dabei auch der Ausbau der Transportinfrastruktur eine große Rolle. Nun hat ein eigentlich totgesagtes Projekt wieder für Aufmerksamkeit gesorgt. Im Haushaltsplan für 2023 sind, wie bereits im Vorjahr, 750.000 Euro für die staatliche Firma namens Secegsa eingeplant. Das ist nicht viel Geld, und das Unternehmen so gut wie unbekannt.

Doch bei Secegsa – Sociedad Española de Estudios para la Comunicación Fija a través del Estrecho de Gibraltar –, handelt es sich um eine vor 40 Jahren gegründete Körperschaft, die sich, wie der Name besagt, mit dem Bau eines Tunnels unter der Meerenge von Gibraltar von Spanien nach Marokko befasst.

An der engsten Stelle dieses stark frequentierten Zugangs vom Atlantik zum Mittelmeer trennen gerade einmal 14 Kilometer Europa von Afrika. Es herrscht ein reger Fähr- und Frachtverkehr zwischen Tanger und Algeciras, der besonders im Sommer zunimmt, wenn Zehntausende Marokkaner und deren Nachfahren in Europa in die alte Heimat fahren. Der Zuschuss aus dem Haushalt an Secegsa soll dazu dienen, eine Machbarkeitsstudie für dieses Mammutprojekt zu aktualisieren. Denn seit dem letzten Plan sind 15 Jahre verstrichen, und die zwischenzeitlichen technologischen Fortschritte eröffnen neue Perspektiven.

Erste Pläne im Jahr 1869

Die Idee eines Tunnels zur Verbindung der beiden Kontinente ist sehr alt. Schon 1869 hegte der französische Ingenieur Jean Baptiste Berlier erste Pläne, die damals noch utopisch erschienen. In den 1920er-Jahren entnahm man geologische Proben. Doch der Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1936 begrub sämtliche Träume. Später wurde dann sogar die Möglichkeit einer Brücke über die Meerenge von Gibraltar erwogen – und wieder verworfen. Nach dem Ende der Franco-Diktatur 1975 vereinbarten Spanien und Marokko, gemeinsam das Tunnelprojekt auszuloten. Einen Schub bekamen die Pläne vom 1994 eröffneten Eurotunnel unter dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien.

Allerdings sind die natürlichen Bedingungen sehr unterschiedlich. Im Gegensatz zum relativ flachen Ärmelkanal müsste der Tunnel unter der Meerenge von Gibraltar einen Tiefpunkt von 282 Metern unter dem Meeresspiegel überwinden. Außerdem besteht an der Südspitze Europa und dem Maghreb eine nicht unerhebliche Erdbebengefahr. Dennoch wurde das Projekt zu Beginn des Jahrhunderts sehr ernsthaft verfolgt. In den euphorischen Zeiten des Baubooms schien in Spanien schier nichts unmöglich. Dann jedoch platzte 2008 die Immobilienblase, und das Tunnelprojekt verschwand in der Schublade.

Keine Autos durch den Tunnel

Nun ist die alte Idee des Franzosen Berlier wieder auferstanden. Secegsa soll sich zumindest wieder mit dem Bau dieser pharaonischen Infrastruktur befassen. Eine Entscheidung für den Bau bedeute dies bei Weitem noch nicht, bekundeten Regierungskreise gegenüber spanischen Medien. Wie beim Eurotunnel sollen auch im Süden keine Autos durch die Röhre fahren. Passagiere, Fracht und Wagen würden mit Zügen durch die 42 Kilometer lange Infrastruktur von der andalusischen Provinz Cádiz in die marokkanische Region bei Tanger transportiert. Es wurden auch Gespräche mit dem deutschen Familienunternehmen Herrenknecht aufgenommen, einem der weltweit erfahrensten Tunnelbauer.

Den alten Traum von der Verbindung zwischen Europa und Afrika beflügelt besonders die Verbesserung der traditionell angespannten bilateralen Beziehung zwischen den Regierungen in Madrid und Rabat. Im Frühjahr hatte Spaniens Ministerpräsident einen völlig überraschenden, radikalen Kurswechsel in der spanischen Haltung zum langjährigen Konflikt um die Westsahara vollzogen. Die Wende war offenbar nicht einmal mit dem kleinen Koalitionspartner der Sozialisten, dem Linksbündnis Unidas Podemos, abgesprochen und löste andererseits diplomatische Spannungen mit Algerien aus, einem der wichtigsten Gaslieferanten Spaniens.

Sánchez akzeptierte den von Marokko vorgeschlagenen Autonomiestatus für die frühere Kolonie an der Westküste Afrikas als beste Lösung für den Konflikt. Zuvor hatte Spanien auch an dem von der saharauischen Befreiungsbewegung geforderten Referendum über den Status der Westsahara festgehalten. Die Marokkaner sind zufrieden mit dem Kurswechsel – und könnten nun auch beim Tunnelprojekt mitziehen.

Verbesserung des europäischen Transportnetzes

Genaue Berechnungen über die Kosten dieser Infrastruktur gibt es nicht. Doch dürfte es sich zweifellos um eines der teuersten Bauprojekte überhaupt handeln. In Madrid setzt man auf Gelder aus dem europäischen Wiederaufbaufonds nach der Pandemie. Der Tunnel soll Teil eines verbesserten europäischen Transportnetzes werden, dass dann bis nach Afrika reichen würde. Dafür müsste aber der Corredor Mediterráneo, eine moderne Schienenverbindung von den Pyrenäen entlang der Küste bis in die andalusische Hafenstadt Algeciras, erst einmal fertig werden.

Doch zum Verdruss der Anwohner und der Wirtschaft in Katalonien, Valencia, Murcia und Andalusien weist das schon vor Jahren begonnene Projekt immer noch klaffende Lücken auf, und die Bauarbeiten kommen nur schleppend voran. Der Anschluss an den Tunnel wird daher noch lange auf sich warten lassen.