Höherer Mindestlohn in Spanien: Was der Schritt bedeutet und wie die Reaktionen ausfallen

Menschen mit den niedrigsten Gehältern verdienen inzwischen 47 Prozent mehr als vor vier Jahren. Die Opposition reagiert ungewohnt

Arbeiterinnen auf einem Reisfeld in Andalusien: In der Landwirtschaft verdient fast die Hälfte der Angestellten nur den Mindestlohn.  | FOTO: EUROPA PRESS

Arbeiterinnen auf einem Reisfeld in Andalusien: In der Landwirtschaft verdient fast die Hälfte der Angestellten nur den Mindestlohn. | FOTO: EUROPA PRESS / Aus Madrid berichtet Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Die Preisexplosion macht besonders Menschen mit geringeren Einkommen zu schaffen. Nachdem die spanische Regierung bereits die Bezüge der Rentner und Angestellten des öffentlichen Dienstes aufgestockt hatte, wird nun auch der gesetzliche Mindestlohn erneut angehoben. Premier Pedro Sánchez verkündete am Dienstag (31.1.) auf einer Sitzung des Senats etwas überraschend die Anhebung des salario mínimo interprofesional (SMI) um acht Prozent auf 1.080 Euro mit den in Spanien üblichen 14 Monatsraten.

„Die Kaufkraft hat offensichtlich abgenommen. Das ist zum Teil die Verantwortung der Politik, zum Teil aber der großen Unternehmen“, verteidigte der Regierungschef den Schritt. Nach Berechnungen der Gewerkschaften profitieren von der Erhöhung des Mindestlohns etwa 2,5 Millionen Menschen, die auf eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden kommen. Die Linksregierung in Spanien steht mit der Maßnahme in Europa nicht allein dar. In den meisten Ländern wurden die Mindestbezüge angesichts der hohen Inflation zuletzt angehoben, in Deutschland gar um 15 Prozent. Das entspricht den Empfehlungen vieler Volkswirte, auch der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die vor den Folgen des Kaufkraftverlustes der Geringverdiener warnt.

47 Prozent mehr Lohn als vor drei Jahren

Sozialistenchef Sánchez hatte sich die Verbesserung des Mindestlohns auf die Fahnen geschrieben, nachdem er 2018 seinen konservativen Vorgänger Mariano Rajoy durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt hatte. Zusammen mit dem Koalitionspartner, dem Linksbündnis Unidas Podemos, wurde der SMI in mehreren Schritten von 736 Euro in 14 Monatsraten auf nun 1.080 Euro erhöht. Menschen mit den niedrigsten Löhnen erhalten also 47 Prozent mehr als vor vier Jahren.

Die drastische Anhebung des SMI stieß anfangs auf heftige Kritik, nicht nur im Unternehmerlager. Die spanische Notenbank sagte in einer Studie die Zerstörung von Arbeitsplätzen voraus. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Erwerbslosenquote ist trotz der Mehrfachkrisen auf gegenwärtig knapp 13 Prozent gesunken. Die Linksregierung sieht sich in ihrer Politik bestätigt. Arbeitsministerin Yolanda Díaz von Unidas Podemos hatte sich besonders dafür eingesetzt, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Aufstockung des Mindestlohns bis auf 60 Prozent des spanischen Durchschnittverdienstes vor Ende der Legislaturperiode erreicht wird. Nun behielt sich Sánchez die Ankündigung vor, dass man das Ziel erreicht hätte.

Niedriglöhne in Landwirtschaft

Der Aufschlag des SMI kommt besonders Frauen und jüngeren Erwerbstätigen zugute, die überdurchschnittlich im Niedriglohnbereich tätig sind. Hinsichtlich der Branchen ist vor allem die Landwirtschaft betroffen, wo fast die Hälfte des Personals nur den gesetzlichen Mindestlohn verdient. Geografisch schlägt sich die Maßnahme daher vor allem in den südlichen Regionen Andalusien, Extremadura und Murcia wieder, die einen großen Agrarsektor haben, sowie auf den Kanarischen Inseln.

Die Erhöhung des SMI um acht Prozent liegt leicht unter der Inflationsrate, die 2022 in Spanien bei 8,4 Prozent lag – im Januar stiegen die Preise im Jahresvergleich nach vorläufigen Berechnungen um 5,8 Prozent. Die Bezüge der Rentner wurden um 8,5 Prozent erhöht. Die Angestellten des öffentlichen Dienstes dagegen müssen sich mit 3,5 Prozent mehr Gehalt zufrieden geben.

Konservative mit Anhebung einverstanden

Die konservative Volkspartei (PP) war mit der Anhebung des Mindestlohns einverstanden, ein eher seltener Einklang, da der Parteichef Alberto Núñez Feijóo in der Regel gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung wettert. Der Oppositionsführer verlangte im Senat nun einen so pacto de rentas, also eine Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf gemäßigte Lohnerhöhungen und einen Verzicht der Firmen auf hohe Gewinne. Einen solchen Pakt schlagen auch viele Experten vor, um einer Preisspirale entgegenzuwirken.

Doch die Umsetzung dürfte schwer werden. Denn Sánchez hat mit der Anhebung des SMI die Arbeitgeber verprellt. Der Schritt war nur mit den Gewerkschaften abgesprochen. Der Dachverband der Unternehmer (CEOE) erschien am Dienstag (31.1.) aus Protest nicht zu einem Treffen im Arbeitsministerium, wo über den Mindestlohn verhandelt werden sollte. Die Arbeitgeber waren bereit, vier Prozent mehr zu zahlen. Das lag am unteren Rand der Empfehlung einer Expertenkommission, während die letztlich beschlossenen acht Prozent das obere Ende markieren. Man hätte von der Regierung kein offizielles Angebot für die Verhandlungen erhalten, hieß es. Der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands, Antonio Garamendi, wurde später noch deutlicher. „Die Regierung hatte die Erhöhung längst beschlossen. Wir erscheinen nicht, nur um auf dem Foto zu sein“, wetterte der Unternehmerchef.

Knatsch mit Unternehmern

Der Streit um den Mindestlohn hat die Stimmung zwischen Regierung und Arbeitgebern weiter verschlechtert. Dabei pflegte man bis vor einem Jahr einen überraschend guten und konstruktiven Umgang. Zusammen mit den Gewerkschaften hatten sich Linksregierung und CEOE auf mehrere Sofortmaßnahmen während der Corona-Pandemie verständigt und sogar eine tiefgreifende Arbeitsmarktreform auf den Weg gebracht.

Doch zuletzt häuften sich die verbalen Attacken aus dem Kabinett auf die Unternehmen, mehrheitliche von Ministern der Linken, aber auch von Sánchez selbst. Die CEOE sah sich vor Tagen zu dem ungewöhnlichen Schritt gezwungen, in einem Communiqué über eine „Hetzkampagne“ gegen die Privatwirtschaft zu klagen. Diese hätte „kurioserweise mit dem Beginn dieses Wahljahres an Schärfe zugenommen“, hieß es. Im Mai finden landesweit Kommunalwahlen statt, wie auch in der Mehrheit der 17 autonomen Regionen. Zum Jahresende stehen die Wahlen zum spanischen Parlament an.