Wer die Ausmaße von Mallorcas Müllstadt Son Reus nördlich von Palma abschätzen will, steigt am besten auf die Aufstiegsplattform des Recyclingparks. Von der Terrasse des kubusförmigen Bauwerks aus haben Besucher praktisch alle Gebäude im Blick: direkt nebenan die Recyclinganlage, die den Inhalt von Mallorcas Wertstoffcontainern sortiert, die Kompostanlage, die Anlage zur solarthermischen Trocknung von Klärschlamm. Vor der Kulisse der Tramuntana zeichnen sich die zwei Komplexe mit den Verbrennungsöfen ab, wobei man genauer hinschauen muss: Die Kamine der neueren der beiden Anlagen sind fast vollständig hinter der Fassade kaschiert, und man kann die Öfen leicht mit dem Heizkraftwerk von Endesa links dahinter verwechseln.

Hingegen hält man ohne Erfolg nach der Mülldeponie Ausschau, die hier früher in Betrieb war. Sie ist begraben unter den mehrere Stockwerke hohen Hügeln hinter den Verbrennungsöfen. Und auch die Möwen, die hier früher in großen Scharen fast den Himmel verdeckten, sind längst verschwunden. Kein Wunder, für die Vögel ist hier futtertechnisch nichts mehr zu holen.

Die endgültige Deponieschließung im Jahr 2010 – hier in Son Reus sowie überall auf Mallorca – sei denn auch das wichtigste Ereignis in der 30-jährigen Geschichte von Tirme, sagt Unternehmenssprecher Joan Mateu. Seitdem ist die Konzessionsfirma dafür verantwortlich, dass der gesamte auf der Insel anfallende Müll, der nicht wiederverwertet wird, in den Verbrennungsöfen landet. Im vergangenen Jahr waren das gut 450.000 Tonnen – pandemiebedingt gut 100.000 Tonnen weniger als im Jahr 2019.

Die Wertstoffe aus dem gelben Container werden sortiert und zu Ballen gepresst. | FOTO: BENDGENS

An der Anlage arbeiten sich seit Jahren Umweltschutzverbände ab. Mallorca hängt beim Recycling noch immer hinterher, und neben der nachlässigen Mülltrennung der Haushalte wird dafür die Logik des Systems verantwortlich gemacht. Die Infrastruktur müsse mit jährlich aktualisierten Gebühren finanziert werden, und die Rentabilität steige mit der Müllmenge, aus deren Verbrennung Energie gewonnen wird, so das Argument. Bei Tirme sieht man das anders: Es liege in der Hand der Politik und der Bevölkerung, dafür zu sorgen, die Wertstoffcontainer maximal zu füllen und die Menge des Restmülls zu reduzieren, der schließlich verbrannt werden muss. Und angesichts der Wahl zwischen Deponie und Ofen sei Verbrennung immer noch die bessere Alternative.

Das System Son Reus

Die Weichen für das heutige Modell hatte der Inselrat 1990 gestellt, der damalige Masterplan sah erstmals die Verbrennung vor. Zwei Jahre später wurde die Konzession für Bau und Betrieb an Tirme vergeben. Die erste Anlage mit einer jährlichen Kapazität von 300.000 Tonnen entstand zwischen 1994 bis 1996, die zweite Anlage für weitere 420.000 Tonnen ging dann 2011 in Betrieb. Zum System gehören zudem dezentrale Stellen in den Gemeinden Alcúdia, Binissalem, Campos, Manacor und Calvià, wo der Müll vor dem Transport nach Son Reus zwischengelagert und komprimiert wird. Rund 300 Mitarbeiter sind heute bei Tirme beschäftigt. Die Konzession läuft bis 2041, die Zahl der Inspektoren des Inselrats, die über den Vertrag wachen, wurde jetzt um fünf auf sechs erhöht.

Die Langzeitstatistik spiegelt deutlich Wirtschafts- und Coronakrise wider. Und der Restmüll macht mit Abstand den größten Anteil aus. | GRAFIK: TIRME Frank Feldmeier

Leichtverpackungen aus dem gelben Wertstoffcontainer werden seit inzwischen 20 Jahren in Son Reus sortiert. Für die Kosten des Recyclings der Wertstoffe mit dem Grünen Punkt kommt das spanische Unternehmen Ecoembes auf, es ist vergleichbar mit dem Dualen System in Deutschland: Die Hersteller führen eine pauschale Gebühr für die Entsorgung von Verpackungen ab, die den Grünen Punkt tragen.

Für die Verbrennung des Restmülls dagegen zahlen die Gemeinden, und zwar für jede Tonne, die sie nach Son Reus karren lassen. Was einmal im Restmüll-Container gelandet ist, wird nicht mehr sortiert, sondern wandert direkt in den Ofen. Jetzt in der Nebensaison sind nur zwei der vier Verbrennungslinien in Betrieb, beim MZ-Besuch wird die neuere Anlage gerade gewartet. Vom Arbeitsplatz des Kranführers reicht der Blick in den Abfallbunker mehrere Stockwerke nach unten. Die zwei überdimensionalen Krakengreifer, die den Müll normalerweise in den Ofenschacht hieven, sind außer Betrieb, es finden Schweißarbeiten statt.

Blick in den Abfallbunker des Verbrennungsofens, der gerade gewartet wird. | FOTO: BENDGENS Frank Feldmeier

Müllaufkommen zwischen Haupt- und Nebensaison

Eigentlich hat der Inselrat das Ziel ausgegeben, die Recyclingquoten rasch zu steigern und die zwei älteren Linien ganz abzuschalten. Doch während jetzt im Februar die Hälfte der Kapazitäten locker ausreicht, fällt der meiste Müll zur Hauptsaison an. Die gesetzlich festgelegten Konditionen für die Teilabschaltung sind nicht leicht zu erfüllen. Im Entsorgungsplan des Inselrats von 2019 heißt es, dass zunächst drei Jahre am Stück der monatlich anfallende Restmüll die Marke von 40.000 Tonnen nicht überschreiten darf und auch die jährlich nötigen Wartungsarbeiten gesichert sein müssen. Zuletzt waren es im August 2021 trotz schwacher Corona-Saison knapp 46.000 Tonnen. „Fiele der Müll gleichmäßig über das ganze Jahr an, bräuchten wir keine vier Linien“, so Mateu.

Um das Ziel der Teilabschaltung zu erreichen, setzt der Inselrat jetzt vor allem auf den Biomüll, bislang Stiefkind in der Abfallwirtschaft Mallorcas. Rund 40 Prozent des Restmülls, der verbrannt wird, seien eigentlich Biomüll, so Umweltdezernentin Aurora Ribot im MZ-Gespräch. Die Pläne sehen vor, möglichst mithilfe von EU-Hilfen fünf Kompostieranlagen auf der Insel zu errichten, neben Son Reus in den Gemeinden Calvià, Llucmajor, Santa Margalida und Felanitx. Zwar gibt es schon Anlagen in Felanitx und Calvià, sie verarbeiten aber Klärschlamm. Die geplanten Investitionen belaufen sich auf rund 200 Millionen Euro.

Von außen ein grüner Hügel: Hier wird die bei der Müllverbrennung zurückbleibende Asche eingelagert (re.). | FOTO: BENDGENS Frank Feldmeier

„Wir werden das mit oder ohne EU stemmen“, stellt Ribot klar, „der Kompost spielt eine Schlüsselrolle.“ Die Nachfrage in Mallorcas Landschaft sei enorm, Kompost müsse bislang teuer importiert werden. Und es sei der einzige Recyclingkreislauf, der sich auf der Insel schließen lasse – alle anderen Wertstoffe werden aufs Festland verschifft. Ihre Hausaufgaben erledigen müssen dabei allerdings auch die Gemeinden, indem sie den Biomüll der Haushalte flächendeckend und getrennt abholen. Bislang entsteht Kompost in Son Reus lediglich in kleinem Maßstab in zwei Hallen im dortigen Recyclingpark – vergangenes Jahr wurden 27.600 Tonnen Biomüll verarbeitet. Der Geruch der dampfenden Komposthügeln dringt durch Zugfenster und Atemmaske hindurch, als die Hochbahn hier vorbeifährt. Der Parcours soll Besuchergruppen Einblicke in die Müllverarbeitung gewähren.

Von Pet bis Tetra

In die Biogas-Anlage nebenan lässt sich von der Hochbahn aus nicht hineinschauen, aber ein Blickfang an anderer Stelle die gefühlt kilometerlangen Fließbänder voller PET-Flaschen, Konserven und Tetrapacks, die automatisch und von Hand getrennt sowie zu Ballen gepresst werden. Auch hier ist noch Luft nach oben: Den Ausschuss, den Umweltschützer vor zwei Jahren mit knapp 40 Prozent bezifferten, gibt Sprecher Mateu mit derzeit rund 25 Prozent an – vor allem Material ohne grünen Punkt, das nach wie vor falsch im gelben Container entsorgt werde. Zudem sei nun mal ein gewisser Prozentsatz maschinenbedingt nicht zu verhindern. Inwieweit sich problematische Verpackungen wie Verbundstoffe überhaupt recyceln lassen, müsse man die Firmen fragen, an die man die Ballen liefere.

Getrennte Wertstoffe inklusive Kompost machten im vergangenen Jahr 25,8 Prozent des auf Mallorca entsorgten Siedlungsmülls aus. Das ist der Input des Entsorgungssystems. Aber auch die Recyclingquote – was also tatsächlich wiederverwertet wird – hat mit 21,8 inzwischen die von der EU geforderte Marke von 20 Prozent erreicht. Die Statistik: Wertstoffe 16,2 Prozent, Kompost 5,6 Prozent, Verbrennung 78,2 Prozent.

Eine Rolle bei der Planung spielt auch das Pfandsystem, das jetzt in einem Pilotprojekt auf Formentera getestet werden soll. Man mache sich bereits Gedanken über eine neue Recyclinganlage in Son Reus, die die bisherige ersetzen und auch für die Einführung eines Pfandsystems geeignet sein soll, so die Dezernentin. Entscheidend sei dafür aber auch der weitere Kurs der spanischen Zentralregierung.

Derzeit aber geht den Müllöfen von Son Reus der Brennstoff noch nicht aus – und auch die zurückbleibende Schlacke muss aufbereitet werden. Ein kleinerer Teil kann als Metallschrott verwertet werden, außerdem wird die Schlacke zu Granulat für den Unterbau von Mallorcas Straßen verarbeitet. Die zurückbleibende toxische Asche, die mit Wasser und Zement vermischt wird, fahren Lkw in ein Depot nebenan. Es liegt versteckt innerhalb eines begrünten Hügels. Auch beim Blick von der Aussichtsplattform kann man ihn leicht übersehen.

Statistik 2021: Mehr Recycling, mehr Restmüll

Auch in der Abfallwirtschaft spiegelt sich die Pandemie wider: Die Menge an Restmüll und Wertstoffen ging 2020 deutlich zurück, im vergangenen Jahr nahm sie wieder leicht zu. In Zahlen: 27.600 Tonnen Biomüll, 21.900 Tonnen Grünabfälle, 24.000 Tonnen Leichtverpackungen, 26.000 Tonnen Glas, 30.100 Tonnen Papier und Karton. 130.000 Tonnen Wertstoffe stehen 372.700 Tonnen Restmüll gegenüber. Das ist der Siedlungsmüll – hinzu kommen Bauschutt und weiterer Unrat, der in Son Reus verbrannt wird.