Während Deutschland versucht, vom Erdgas unabhängiger zu werden, ist dessen Anteil im balearischen Energiemix zuletzt massiv gestiegen. Satte 67 Prozent trugen die Gas-Dampf-Kombi-Kraftwerke seit Beginn des Jahres zum Gesamtverbrauch auf den Inseln bei. Im gleichen Zeitraum vor drei Jahren, als in etwa genauso viel Energie auf den Balearen verbraucht wurde, waren es weniger als 20 Prozent. Es ist eine Steigerung um mehr als 300 Prozent, wie sich aus Zahlen des spanischen Netzwerkbetreibers REE ergibt.

Erdgas für Spanien

Das in den Kraftwerken Cas Tresorer und Son Reus zur Stromerzeugung genutzte Erdgas gelangt per Pipeline vom Festland nach Mallorca. Woher es stammt, lässt sich nicht nachvollziehen: Laut Statistik des Pipeline-Betreibers Enagás lieferten im vergangenen Jahr 14 Länder Erdgas nach Spanien – was wohin fließt, wird nicht beziffert. Das Land hat seine Importe seit Jahresbeginn sogar gesteigert, wobei eine Ausnahmeregelung für den Gaspreis gilt. Fast drei Viertel kommen als Flüssiggas aus den USA. Russland folgt an vierter Stelle mit einem Anteil von knapp elf Prozent im ersten Halbjahr 2022 – und einem Plus von zwölf Prozent.

Dass der Gas-Anteil auf der Insel gestiegen ist, während im Rest Europas sein Anteil wegen des Konflikts mit Russland massiv gedrückt wird, hat seinen Grund vor allem in einer Verzerrung des Marktes, wie Vertreter der Energiebranche gegenüber der MZ erklären. Denn trotz der Liberalisierung der Strompreise sind Teile des Marktes auf den Balearen wegen der Insellage weiterhin reguliert. Und die konkreten Vorgaben dieser Regulierung stammen aus der Zeit niedriger Gaspreise. Eine Anpassung an die jetzige Ausnahmesituation auf dem Energiemarkt stehe noch aus, heißt es.

Erneuerbare Energien

Der Energiemix auf den Inseln hat sich in den vergangenen drei Jahren ohnehin massiv verändert. Da wäre zum einen das Kohlekraftwerk Es Murterar in der Nähe von Alcúdia, das seit Beginn des Jahres 2020 nur noch auf Sparflamme läuft – die meisten Tage im Jahr ist es ganz abgeschaltet. Da wären die erneuerbaren Energien, die ihren Anteil auf niedrigem Niveau verdoppelt haben – im August wurde mit 42 Gigawattstunden Produktion auf den Balearen ein neuer Rekord aufgestellt. Und da wären die Generatoren, die auf Menorca und Ibiza zur Stromerzeugung genutzt werden. Sie sind jetzt umweltfreundlicher, da sie schrittweise und schließlich im Sommer komplett von Heizöl auf Erdgas umgestellt wurden.

Zum vollständigen Bild gehört außerdem, dass auch ein Teil der Müllverwertung in Son Reus – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen dortigen Kraftwerk – zum Teil den erneuerbaren Energien zugerechnet werden kann, Stichwort Biogas und Biomasse. Die Kraftwerke Cas Tresoror und Son Reus verfügen zudem neben Gas- auch über separate Dampfturbinen, dank denen der Wirkungsgrad von 33 auf rund 50 Prozent steigt.

Beim Energiemix ist auf Mallorca wegen der Insellage alles ein bisschen anders. Hier gibt es weder Atom- noch Wasserkraft. Große Solarparks und Windkraft sind weitgehend verpönt. Und die Anbindung ans restliche spanische Stromnetz über das Unterseekabel liefert einen Mix, der nicht nur nachhaltiger ist als die Produktion auf den Balearen, sondern die Inseln auch vor den früher häufigen Stromausfällen absichert. Dass dieses Jahr weniger Strom auf die Inseln fließt, dürfte indes auch an den niedrigen Pegelständen der Wasserreservoirs auf dem Festland liegen.

Zweites Stromkabel

In den kommenden Jahren wird sich der Energiemix weiter stark wandeln, nicht nur wegen der Fotovoltaikanlagen, die nach und nach ans Netz gehen. REE plant die Verlegung eines zweiten Stromkabels zum Festland. Es soll bis 2026 zwischen Fadell in der Region Valencia und Mallorca installiert werden. Im Gegensatz zum ersten Kabel wird es nicht bis zur Küste von Santa Ponça im Südwesten, sondern bis zum Umspannwerk Sant Martí in der Gemeinde Alcúdia verlegt. Denn hier kann die bestehende Leitungsinfrastruktur von Es Murterar genutzt werden.

In der Gemeinde fürchtet man allerdings in erster Linie den Bau neuer Hochspannungsleitungen an der Küste und wirft der balearischen Landesregierung fehlende Transparenz bei der Umsetzung vor. Parteiübergreifend beschloss das Rathaus vergangene Woche, gegen die Planungen von REE Klage vor dem Verwaltungsgericht in Madrid einzureichen.

Warum ist der Strom in Spanien so viel günstiger als in Deutschland?

Wenn die Strompreise in Spanien im Vergleich zum Rest Europas und insbesondere Deutschland derzeit nur mäßig steigen, liegt das vor allem an der Deckelung auf der iberischen Halbinsel des Preises von Gas, das zur Stromerzeugung genutzt wird. Die von der EU genehmigte Ausnahmeregelung auf dem spanischen Stromgroßmarkt ist seit Juni in Kraft und sorgt dafür, dass Großverbraucher nur rund ein Drittel des in Deutschland fälligen Preises zahlen müssen. Viele Betriebe in Deutschland fürchten angesichts der Preisexplosion um ihre Existenz. Finanziert wird das Modell über eine Ausgleichsabgabe.

Für Verbraucher im regulierten Markt – zu erkennen am Tarif PVPC (Precio Voluntario al Pequeño Consumidor) – waren die Folgen sofort spürbar, da dieser Tarif an die Strombörsen gebunden wurde. Er ist spanienweit gleich hoch, es gibt keine Preisunterschiede zwischen Festland- und Inselmärkten. Aber auch im freien Markt, wo der mit dem Stromanbieter vertraglich vereinbarte, fixe Tarif gilt, macht sich die Entlastung indirekt bemerkbar. Die Preise sind hier in der Regel niedriger, Verbraucher haben aber keinen Anspruch auf den staatlichen Sozialtarif (bono social).

Hinzu kommen großzügige Steuersenkungen. Madrid reduzierte die Mehrwertsteuer (IVA) auf Strom im Juli von 10 auf 5 Prozent. Anfang Oktober trat eine Senkung der IVA auf Gas von 21 auf 5 Prozent in Kraft.

Die Regierung greift damit massiv in einen Markt ein, in dem das sogenannte Merit-Order-Prinzip gilt: Den Preis bestimmt das teuerste Kraftwerk, das gerade noch benötigt wird, um die Nachfrage zu bedienen. Schließlich ist Strom ein einheitliches Produkt, für das auch ein einheitlicher Preis gilt. Da just die Gaskraftwerke als flexible Energiequelle die Spitzenlasten bedienen, stiegen die Kosten für Verbraucher, aber auch die Gewinne für Produzenten zuletzt über Gebühr. Das ist denn auch das Argument für einer „Kriegsgewinnsteuer“ für die begünstigten Konzerne.