„¡Joder!“, flucht Juan Rodríguez am Steuer des Krankenwagens. Ein langsam fahrendes Auto blockiert dem Sanitäter den Weg. Wertvolle Sekunden gehen verloren. „Baustelle, Explosion“, lautete der knappe Alarm wenige Augenblicke zuvor. Die Ruhe, die am Morgen noch herrschte, ist vorbei. Die Hektik ist nun praktisch greifbar. Rodríguez tritt aufs Gaspedal. Die Sirene heult vor sich hin. Die MZ begleitet ein Team von Samu 061 auf einer Schicht. Seit nunmehr 30 Jahren gibt es den Rettungsdienst.

Neben Juan Rodríguez bilden der Arzt Josep Recio und die Krankenschwester Ana Ruiz das lebensrettende Dreigespann im Soporte Vital Avanzado (SVA), dem Krankenwagen, der sowohl vom Personal als auch vom Material her für alle möglichen Notfälle ausgerüstet ist. Bei kleineren Notfällen wird ein Krankenwagen mit Krankenschwester und Sanitäter (SVAE) oder nur zwei Sanitätern (SVB) geschickt.

Ausgangspunkt ist an diesem Morgen ein Parkplatz neben dem alten Krankenhaus Son Dureta in Palma, der größten der sieben Basen des Rettungsdienstes. Außer dem Krankenhaus Son Llàtzer verfügt kein öffentliches (aktives) Krankenhaus über eine Ambulanz. „Palma ist in drei Zonen unterteilt“, sagt Juan Aparicio, der Krankenpfleger und zugleich Pressesprecher ist. „Von Son Dureta aus fahren wir unter anderem nach Valldemossa und Sóller.“ Weitere Stützpunkte gibt es in Palmanova, Manacor, Inca, Campos und im Sommer in Can Picafort.

Die Notrufe gehen in der Leitzentrale im Gewerbegebiet Can Valero ein. | FOTO: BENDGENS

Fehlalarm

8 Uhr, Schichtbeginn. Es vergeht keine Minute, ehe das Telefon von Rodríguez das erste Mal klingelt. Er erhält auf dem Handy den Alarm und muss sein Team zusammentrommeln. „Es dauert weniger als zwei Minuten, bis wir den Hof verlassen“, hatte uns zuvor Juan Aparicio erklärt. Eine überfahrene Person, lautet die Einsatzbeschreibung. Ehe das Team in den Krankenwagen steigt, klingelt das Telefon erneut. „Falscher Alarm“, sagt Rodríguez.

Umso mehr Zeit bleibt, um das Material noch einmal zu überprüfen. Eine kleine Glasampulle ist kaputt, Ruiz tauscht sie aus. Alles Nötige für den Einsatz ist auf vier farbige Rucksäcke verteilt: „Im roten sind Medikamente und Gerätschaften für das Herz-Kreislauf-System. Blau steht für das Atemsystem. Gelb für die Pädiatrie, und im Grünen ist ein bisschen von allem“, erklärt die Krankenschwester. „Die sind ordentlich schwer. Stellen Sie sich vor, Sie müssen damit in den fünften Stock ohne Aufzug.“ Inmitten der Geräte lugt ein kleines Heft vor. Darin sind Spickzettel. „Es beruhigt mich, wenn ich auf der Fahrt zum Beispiel noch mal schaue, welche Medikamentenmenge je nach Gewichtsklasse bei Kindern angebracht ist.“ Ab acht Jahren werden die Kleinen bereits wie Erwachsene behandelt.

Acht bis zehn Fahrten pro Schicht

Die Zeit vergeht, Warten ist angesagt. Mit Ausnahme des Fahrers – der „nur“ zwölf Stunden arbeitet – erwartet das Rettungsteam eine 24-Stunden-Schicht. „Die Grundregel ist: Schlaf, iss und geh pinkeln, wann immer sich eine Möglichkeit bietet“, sagt Josep Recio. Im Schnitt sind es acht bis zehn Fahrten pro Schicht. Jeder Einsatz dauert etwa anderthalb Stunden. In der Wartezeit – falls sie existiert – darf geschlafen werden.

9.13 Uhr, das Telefon klingelt wieder. Patientin mit Atemnot, es scheint aber keine Lebensgefahr zu bestehen. Der Arzt Josep Recio steigt eher gemächlich in den Krankenwagen ein. „Im Durchschnitt brauchen wir elf Minuten bis zum Einsatzort. Das Maximum sind 25 Minuten, wenn es zum Beispiel nach Sa Calobra geht“, hatte Sprecher Aparicio zuvor gesagt.

Ana Ruiz und Josep Recio (Mi.) bereiten den Krankenwagen vor. Bendgens

Das dreiköpfige Rettungspersonal sitzt vorne, die MZ wird im Laderaum neben der Trage platziert. Der Stuhl wackelt, durch die abgeklebten Scheiben dringt kaum Licht. Eine kleine Luke in den Fahrerraum ist die einzige Blickmöglichkeit nach draußen. Darüber ist ein Schild angebracht: Für Beschwerden sind Reklamationsformulare vorhanden. Es wirkt surreal an diesem Ort. In jüngster Zeit komme es vermehrt zu Angriffen auf die Sanitäter, hatte Aparicio betont. „Es ist nicht alltäglich, aber schon ein Problem. Den Leuten fehlt der Respekt, oft sind es Drogensüchtige“, so der Sprecher. Das Personal ist insofern geschützt, dass ein Angriff auf einen Arzt von der Justiz mit gleichem Maß wie ein Schlag gegen einen Polizisten bestraft wird.

Nur mit Erlaubnis

Zwölf Minuten später kommt der Krankenwagen zum Stehen. Es gab eine kleine Verzögerung, da die Schranke zur Einfahrt in den Hafen Port Calanova sich zuerst nicht öffnete. Einsatzort ist ein Wohnheim für junge Leistungssportler. Da es sich um eine öffentliche Einrichtung handelt, darf die MZ ohne beantragte Erlaubnis nicht mit hinein. Eine reichliche halbe Stunde ist das Rettungsteam im Einsatz. „Tragischer Fall“, wird Recio später erklären. „Eine junge Frau, deren Mutter Krebs im Endstadium hat. Sie hatte einen Nervenzusammenbruch und infolgedessen Atemprobleme.“ Der Arzt verabreichte ihr ein Beruhigungsmittel und gab ihr eine Krankschreibung für den Tag, damit sie die Mama besuchen kann.

Einsatz auf der Baustelle

Kaum ist das Team eingestiegen, klingelt wieder das Telefon. Es ist die eingangs erwähnte Explosion. Keine fünf Minuten später parkt der Krankenwagen in einer Nebenstraße in der Nähe des Sa Riera-Parks. Anwohner stehen trotz Regen mit Pyjama und Hausschuhen auf der Straße. Ein Betonmischer dröhnt, das Baumaterial wird über einen Kran in das obere Stockwerk der Baustelle gepumpt. Mit Bauarbeiterhelmen ausgerüstet macht sich das Rettungsteam an die Arbeit und verschwindet in einem Baugerüst.

In dem Krankenwagen des Rettungsdienstes 061, Nele Bendgens

Auf dem Fußweg hat sich eine Menschentraube gebildet. „Diese Baustelle war mir schon immer suspekt“, sagt eine Frau. Es wird eifrig gemutmaßt, was passiert ist. Ist die Ladung des Krans abgestürzt? Oder gar eine Maschine explodiert? „Ich habe den Knall im Badezimmer gehört. Madre mía “, sagt eine Anwohnerin. „Vom Fenster aus habe ich den jungen Kerl liegen sehen. Er hat sich nicht bewegt. Das sah gar nicht gut aus.“ Immer mehr Leute gesellen sich hinzu. „No me fucking importa“ (Es interessiert mich, verdammt noch mal, nicht) steht auf dem T-Shirt eines Mannes, der interessiert aus einem Fenster gafft.

Die Schaulustigen stoppen

Eine Viertelstunde später kommt die Feuerwehr mit drei Fahrzeugen, später auch noch die Policía Nacional. Unter den Blicken der Schaulustigen wird der Mann auf einer Trage per Kran vom Dach auf die Straße gehoben. Eine Frau hält mit ihrem Handy aus nächster Nähe drauf, ein Polizisten rastet aus. „Machen Sie gefälligst das Handy aus. Der Mann wäre beinahe gestorben“, erhebt er die Stimme. Die Passantin bleibt stur und fängt an zu diskutieren.

Etwa eine Stunde nach dem Eintreffen ist der Patient transportbereit im Krankenwagen. So schnell die Menschenmenge aufgetaucht ist, so schnell hat sie sich wieder verzogen. „Es ist alles halb so wild“, sagt Sanitäter Rodríguez. „Vom Betonmischer hat sich ein Rohr gelöst und ihn am Kopf getroffen. Er war fürchterlich aufgeregt.“ Einzelheiten soll die Computertomografie zeigen, gebrochen ist wohl aber nichts. Der Mann hat auch keine äußere Wunde.

Keine Reanimation während der Fahrt

„Da es sich um einen Arbeitsunfall handelt und der Mann versichert ist, bringen wir ihn in ein Privatkrankenhaus“, erklärt der Arzt Josep Recio. Ebenso wird in der Regel bei Touristen und leichten Verletzungen verfahren, um das öffentliche System zu entlasten.

„Es ist alles gut, entspann dich, wir sind gleich da“, reden Krankenschwester und Arzt auf den Verunglückten auf dem Weg in die Juaneda-Klinik ein. Während der Fahrt können die Sanitäter mal einen Schlauch neu legen oder ein Medikament verabreichen, wenn dem Patienten schlecht wird. Dass wie im Film eifrig reanimiert wird, kommt aber nicht vor. „Dafür müssen wir anhalten“, sagt Josep Recio.

Kein Verständnis für Gaffer

Der Patient ist abgeladen, der Krankenwagen desinfiziert. „Ich achte schon gar nicht mehr auf die Gaffer“, sagt Rodríguez auf die Menschenmenge angesprochen. „Es tut mir für die Kranken und Verletzten leid. Die Videos landen am Ende in den sozialen Netzwerken. Da sie aber auf öffentlichem Grund aufgenommen wurden, kann man nicht viel dagegen tun.“

Ist es nicht schwierig, schwere Verletzungen und Todesfälle emotional zu verarbeiten? „Bei Kindern fällt es mir sehr schwer. Diese Fälle bleiben ein Leben lang im Hinterkopf hängen“, sagt der Arzt Josep Recio. „Ansonsten geht es darum, eine emotionale Barriere aufzubauen.“ Schließlich muss das Team beim nächsten Einsatz wieder funktionieren. Wobei der Job auf die Persönlichkeit abfärbe. „Mit meinen Kindern bin ich meist ungeduldig. Zudem hat mich die Pandemie ziemlich abgestumpft“, sagt der Arzt. „Zuerst applaudieren uns die Leute zu. Dann gehen sie auf Privatpartys, als die Regeln gelockert wurden. Wir flicken sie ja schon wieder zusammen.“

Abstecher in die Notrufzentrale

Nach der Aufregung folgt ein Abstecher in die Notrufzentrale. Sie befindet sich im Gewerbegebiet Can Valero, wohin auch in anderthalb Monaten die Basis Son Dureta ziehen wird. 18 Personen sitzen hier am Telefon. Wer die 112 oder 061 wählt, kommt dort raus. „Alle unsere Mitarbeiter sprechen Spanisch, Katalanisch und Englisch“, sagt Pressesprecher Aparicio. Einige auch Deutsch, wobei die Leitstelle zudem mit einem Übersetzer zusammenarbeitet, der dann in die Telefonleitung zugeschaltet wird. „Eine Telefonistin schätzt mit Standardfragen die Lage ein und leitet dann, wenn nötig, den Anruf an einen Arzt weiter.“ In der Zwischenzeit wird jedoch schon der Krankenwagen alarmiert. Wenn der Arzt dann entscheidet, dass doch keine Hilfe notwendig ist, wird der Alarm zurückgenommen. Das war an diesem Morgen der Fall. 2.000 Anrufe gehen in der Leitzentrale täglich ein. Zum Anfang der Pandemie waren es an die 8.000 pro Tag. Ein Koordinator entscheidet, welches Einsatzteam losgeschickt wird.

Das Telefon in der Zentrale klingelt. Ein älterer Mann hat Atemprobleme. In weiser Voraussicht geht des Rettungsteam um Recio schon mal zum Krankenwagen. Kurz darauf folgt der Einsatzbefehl, und die Sirene geht wieder an.