Es ist ein bisschen wie „Big Brother“, nur dass man statt C-Promis beim Balzverhalten Kunst in ihrem natürlichen Habitat beobachten kann – und je nach Tageszeit auch einen umherwuselnden Galeristen. Luis de Diego (63) hat mit seiner neu eröffneten NX Art Gallery ein Pionierprojekt gestartet: Der Raum im alten Industriegebäude in Portocolom ist mit hochkarätigen, aus China importierten 8k-Kameras ausgestattet. Auf nxartgallery.com kann man sich online bei einem Livestream zuschalten, in 360 Grad und in Echtzeit durch die Ausstellung bewegen. „Das Ganze ist so neu, wir sind noch in der Experimentierphase“, sagt de Diego beim MZ-Ferngespräch, das zugleich als Praxistest für das Konzept herhalten soll. „Aber ich glaube, es ist ein Projekt mit Zukunft. Fast wie ein ‚Star Trek‘-Film.“

Der Galerist, der Sätze wie „Technik hat etwas von Magie“ fallen lässt, war während des Lockdowns auf die innovative Idee gekommen. Eigentlich sei eine ganz normale Galerie geplant gewesen. Dann kam die Pandemie und zwang de Diego zu einem Kurswechsel. Er selbst sei eigentlich „total analog“, aber neugierig und aufgeschlossen für Neues. Die Entscheidung, auf die Investition in ein Modell quasi ohne Vorbilder zu setzen, kann durchaus als gewagt bezeichnet werden. „Es ist völlig verrückt“, räumt der Galerist unverblümt ein. „Wir haben viel Geld investiert und ein Jahr daran gearbeitet. Ich hatte oft Albträume.“

Der Galerist Luis de Diego (63) Toni Pastor

Eine Million technische Probleme

Nachdem es anfangs auch „eine Million Probleme mit der Technik“ gegeben habe, lässt sich nun in der Praxis Erfreuliches vermelden: Nach dem Neuladen funktioniert der Livestream reibungslos. Der Galerist schaltet Extra-Beleuchtung ein, sodass man die aktuell präsentierten, interaktiven Bilder von D. Villamediana, die das Verhalten des Lichts auf der Wasseroberfläche untersuchen, in vollem Glanz betrachten kann.

Auf der Website ist ein Plan mit Zeiten vermerkt, zu denen man sich aus verschiedenen Ländern zuschalten kann. „Wir wollen das Gefühl vermitteln, dass es keinen Unterschied zu den Kunden gibt, die bei uns zur Tür hereinkommen“, erklärt der Galerist. Um die ganze Spanne abzudecken und um 4 Uhr morgens für einen Sammler aus Singapur erreichbar zu sein, bräuchte es einen Nachtdienst. Den gibt es in diesen ersten Tagen zwar noch nicht, er soll aber noch folgen.

Konkret bewährt habe sich das Angebot schon in mehreren Fällen: De Diego erzählt etwa von einem Käufer aus Hamburg, der sich zuerst virtuell ein Bild vom Bild seiner Wahl machen wollte und später mit einem Campingbus anreiste, um es selbst heimzutransportieren – seine Hauptklientel stamme übrigens aus Deutschland.

Auch eine bekannte spanische Sängerin und Schauspielerin habe sich einmal aus Neugier zugeschaltet und dann direkten Kontakt aufgenommen. „Ich sagte ihr, wenn sie auf Mallorca sei, könne sie gern auf einen Wein vorbeikommen“, so Luis de Diego. Die Antwort der berühmten Dame: Sie halte sich gerade tatsächlich nur zwei Straßen entfernt auf, wolle aber kein Aufsehen erregen. Auch für diskrete Interessenten ist der Stream also offenbar reizvoll.

Sehen und gesehen werden per Skype

Die Kehrseite: Man kann damit zwar sehen, aber nicht gesehen werden. Um mit dem Galeristen zu sprechen, sollte man über ein Formular auf der Website ein Skype-Gespräch vereinbaren, bei dem eine der Super-Kameras direkt auf ein Bild gerichtet wird. Nachdem das Interview bisher am Telefon stattfand, gehen auch wir nun zum Skypen über. „Wir können jetzt direkt vor dem Kunstwerk ein Gespräch darüber führen“, sagt der Galerist. Zur Demonstration springt der Techniker Toni Pastor mit charmanter Showmaster-Geste ins Bild und winkt.

Dann positioniert sich de Diego vor der Kamera und erklärt, warum diese Art des Kontakts aus seiner Sicht besser ist als eine Onlinegalerie. „Ein Bild ist keine Waschmaschine, sondern eine Investition fürs Leben. Wie soll man solch eine Entscheidung nur anhand eines Fotos treffen können?“, sagt er.

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Luis de Diego vertritt die Ansicht: Man kauft Kunst nicht aus Kalkül, sondern aus Liebe. Auch zu Stammkunden pflege er ein sehr persönliches Verhältnis. „Drei von fünf Kunden werden bei mir zu Freunden. Das wird man auch niemals ersetzen können. Aber unser Streaming-Projekt ist eine gute Ergänzung.“ Quasi eine weitere Möglichkeit, um Käufer (und Freunde) aus aller Welt zu gewinnen.

Am 15. September soll eine neue Ausstellung starten. Außerdem plant de Diego Kulturevents, von Konzerten bis hin zu Performances. Auch die Veranstaltungen können natürlich per Livestream verfolgt werden. Die teuren Kameras werden dann allerdings an der Decke montiert, damit die Besucher vor Ort bloß nicht darüber stolpern.