Entrevista | Thilo Schmid Dichter und Co-Geschäftsführer der Verlagsgruppe Oetinger

Wie ein Dichter auf Mallorca nach 20 Jahren wieder zur Lyrik fand

Thilo Schmid zeichnet für die Geschicke der deutschen Verlagsgruppe Oetinger mitverantwortlich. Doch eigentlich schlummert in ihm ein talentierter Lyriker: Die Insel und eine Frau haben ihn nach langer Pause wieder zu einem Gedichtband beflügelt

Thilo Schmid und Julia Bielenberg an ihrem Sehnsuchts- und Lieblingsort zwischen Sóller und Biniaraix.

Thilo Schmid und Julia Bielenberg an ihrem Sehnsuchts- und Lieblingsort zwischen Sóller und Biniaraix. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Die Fahrt geht vorbei an Zitronenbäumen und pittoresken Dorfgassen, der Blick schweift in die Berge von Mallorca: Thilo Schmid nimmt die MZ-Redakteurin auf seiner Vespa mit zu seinem persönlichen Paradies, einem Haus nahe Biniaraix mit fast verwunschen anmutendem Garten. Der 49-jährige Wahl-Hamburger ist heute Co-Geschäftsführer der Verlagsgruppe Oetinger, die unter anderem Kinderbuch-Helden wie Pippi Langstrumpf oder das Sams im Programm hat. Ende der 1990er galt er als vielversprechendes Lyrik-Talent und erhielt für seine Poesie internationale Preise und Stipendien.

Nun hat Schmid erstmals seit über 20 Jahren wieder ein eigenes Buch herausgebracht: den geschenktauglichen Mallorca- Gedichtband „Du bist eine Insel“. Er ist das Ergebnis einer doppelten Liebesgeschichte. Auch das Gespräch, das von der inspirierenden Kraft der Tramuntana bis hin zur aktuellen Kinderliteratur reicht, entwickelt sich zu einem Doppel-Interview. Denn Julia Bielenberg (52), geschäftsführende Verlegerin, Enkelin von Heidi Oetinger und die Frau an seiner Seite, ist auch mit dabei. Beide wirken ineinander vernarrt wie am ersten Tag.

Herr Schmid, "Du bist eine Insel" ist Ihre erste Publikation seit mehr als zwei Jahrzehnten. Wie hat es Mallorca geschafft, Sie nun wieder zum Schreiben zu inspirieren?

Schmid: Eine Frau hat es geschafft, nämlich Julia, die mir Mallorca gezeigt hat. Zuerst war ich in Julia verliebt, und dann habe ich mich vor zwei Jahren zusätzlich noch in die Insel verliebt. Die musste eigentlich gar nicht viel tun: Beide, Frau und Insel, mussten nur so sein, wie sie sind, damit ich beiden verfalle. Auf Mallorca hatte ich vom ersten Moment an das Gefühl, umarmt zu werden. Gerade hier, im Tal der Orangen – das ist für mich der schönste Ort der Welt geworden. Seit dem ersten Urlaub sehne ich mich immer an diesen Kraftort zurück, obwohl wir auch in Hamburg sehr schön leben. Ich fühle mich hier geborgen und sicher. Insofern war ich inspiriert, und die Gedichte sind wieder zu mir zurückgekommen.

Wie begann denn Ihre erste Liebesgeschichte?

Schmid: Wir haben lange bei Oetinger zusammengearbeitet. So haben wir uns immer besser kennengelernt und sind zusammengekommen. Es gab einen Bruch mit unseren alten Leben: Wir waren beide vorher verheiratet – ich zwanzig, Julia fast dreißig Jahre. Natürlich ist auch dieses Erleben in die Gedichte eingeflossen. Es ist nicht so, dass wir darin immer nur hüpfend durch die Zitronenhaine wandeln. Auch so etwas wie Schuld ist dabei. Es war eine existenzielle Erfahrung.

Bielenberg: Mein Herz hat er mit Poesie erobert, das war ein entscheidender Faktor. Er hat angefangen, mir Gedichte zu schreiben. Das ist etwas, was ich unglaublich romantisch und schön fand. Vielleicht ticke ich da noch altmodisch. Aber es war das Letzte, was noch gefehlt hatte, um mich vollends zu überzeugen.

Schmid: Insofern war Julia mein schönster und wichtigster Literaturpreis!

Liebes- und Inselglück: Thilo Schmid und Julia Bielenberg.

Liebes- und Inselglück: Thilo Schmid und Julia Bielenberg. / Nele Bendgens

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Sie sagten einmal, dass Sie Ihre Gedichte bevorzugt nachts schreiben …

Schmid: Ja, denn tagsüber ist die Zeit ein bisschen knapp, weil wir meistens arbeiten müssen. Nachts kommt die Welt zur Ruhe, und ich auch. Dann habe ich am meisten Erde um mich herum, um Gedichte einzupflanzen. Zum Teil habe ich die Mallorca-Gedichte hier im Garten geschrieben, unter einem herrlichen Feigenbaum, der auch in den Texten vorkommt. Ansonsten mache ich mir dauernd Notizen, wenn ich hier unterwegs bin. Manchmal müssen sie reifen, und man braucht etwas Abstand. Ich schreibe die Gedichte nicht spontan herunter, sondern habe einen Einfall, und dann wird daran gefeilt – manchmal monatelang.

Sie finden kraftvolle Bilder für die Orte und Impressionen aus der Natur. Auffällig ist eine Art Macht der Transformation, die Sie der Tramuntana zuschreiben: Einmal sind Sie Zungen im Schlund des Kiefers von Sóller, dann Ziegen auf dem Küstenweg oder Korallenmöwen. Ist das Verschmelzen mit der Natur Ihr Leitmotiv?

Schmid: Ja, wir fühlen uns hier ganz im Einklang – miteinander, mit der Umgebung, den Tieren, dem Wetter und mit allem. Das ist fast etwas Metaphysisches: Ich bin hier richtig und Teil von etwas. Dieses Naturerleben ohne Handys und Einflüsse von außen ist hier eine grundlegende Erfahrung. Das ist toll, weil man sich spürt, andere Gedanken hat und gesundet.

Stichwort Metaphysik: An manchen Stellen bekommt die Insel eine explizit religiöse Symbolik. Sie „taufen sich“ beispielsweise erhitzt im Bach, das Café Es Barranc wird zur Kirche. Was lässt Sie daran so empfinden?

Schmid: Das muss aus meiner Kindheit und Jugend stammen. Ich bin christlich erzogen worden und habe das tief in mir drin, bin aber seit vielen Jahren Atheist. Diese Motive kommen wieder hoch und setzen sich plötzlich zu Metaphern zusammen. Die Gedichte sind alle festzumachen an Dingen, die es hier gibt und die überlagert werden, sodass Bilder, Worte und andere Ebenen hinzukommen.

Die Gedichte sind nebeneinander auf Deutsch und in spanischer Übersetzung zu lesen, es gibt eine spanische Version mit angepasstem Cover. Warum war Ihnen das wichtig?

Schmid: Weil die Gedichte teilweise hier entstanden sind und ich sie gerne mit den Menschen der Insel teilen wollte. Ich hatte das Glück, die beiden Übersetzer Javier Salinas und Angelica Ammar kennenzulernen, die beide auch Lyrik schreiben und gemeinsam um jedes Wort ringen konnten. Es war eine tolle Erfahrung zu sehen, wie die Gedichte dadurch noch einmal transformiert werden. Hinzu kommen als Resonanzkörper auch noch die Bilder der Künstlerin Birte Thurow. Eigentlich sollte sie nur das Cover gestalten. Sie hat aber in kürzester Zeit acht oder zehn Bilder gemalt.

Bielenberg: Die Gedichte haben bei ihr einen Kreativschub ausgelöst.

Schmid: Wir konnten uns gar nicht mehr entscheiden und haben gesagt: Das ist so schön und gibt so eine neue Klangfarbe dazu, dass wir einige Bilder mit reinnehmen. Sie tun den Gedichten unheimlich gut.

Sie haben das Buch beim Selfpublishing-Dienstleister BoD herausgebracht. Warum nicht in der eigenen Verlagsgruppe?

Schmid: Das wollte ich nicht, wir sind auch nicht der richtige Absender dafür. Wir machen Gedichte für Kinder, zum Beispiel von Paul Maar. Nun sind Gedichte nicht gerade bestsellertauglich, das heißt: Es sind kleine Auflagen. Wenn man es dann noch schön gebunden mit Hardcover, einem Lesebändchen und vierfarbigen Bildern möchte, dann ist das für kleinere deutsche Verlage extrem schwierig. Bei BoD dachten wir: Das könnte genau das Richtige sein, die können das nachhaltig machen und in der Qualität, die wir uns wünschen.

Damals hatten Sie als Dichter einen vielverprechenden Karrierestart. Warum haben Sie der Lyrik den Rücken gekehrt?

Schmid: Mir ist das Leben dazwischen gekommen. Während des Studiums konnte ich ein paar Jahre vom Schreiben leben – von Lesungen, Buchverkäufen und Preisgeldern. Aber irgendwann habe ich eine Frau kennengelernt und sieben Kinder bekommen. Dann braucht man einfach ein bisschen mehr Geld. Ich habe mich darauf konzentriert, in der Buchbranche Karriere zu machen, und mich dort sehr wohlgefühlt. Zuerst bin ich Buchhändler geworden. Dann habe ich noch einmal studiert und bin ins Verlagswesen gerutscht. Das finde ich bis heute sehr beglückend. Gerade wir mit den Kinder- und Jugendbüchern haben das Gefühl, noch etwas bewegen zu können und den Kids mit guten Geschichten Werte an die Hand zu geben. Das ist eine sehr befriedigende Sache. Aber letzten Endes war es die Kohle (lacht).

Was muss ein Verlag heute leisten, um Kinder und Jugendliche anzusprechen, und wie haben sich die Geschichten verändert?

Bielenberg: Wir bleiben optimistisch und finden neue Wege, um Geschichten an die Kinder zu bringen – in welcher Form auch immer. Oft sind die Settings heute andere, und die Sprache ist moderner, aber starke Mädchenfiguren gab es zum Beispiel schon immer. Die Geschichten sind natürlich ein Spiegel der Zeit. Es gibt eine Menge Stoff, um Antworten auf die heutige Zeit und auf Ängste zu finden, der Mut macht. Wir merken, dass viele Kinder verunsichert sind und auch dass sie sich vom Lesen entfernen, weil es einfacher ist, sich mit digitalen Geräten zu beschäftigen. Unser Ansatz ist, sie über diesen Umweg wieder zum Buch zu führen. Wir haben etwa die „KoboldKroniken“, mit denen wir lesefaule Kinder abholen, die eine App spielen können. Wenn sie ein Extra-Level erreichen wollen, müssen sie aber ins Buch geguckt haben. Es ist verheerend, dass in Deutschland jedes fünfte Kind nach der Grundschule nicht sinnentnehmend lesen kann. Das hat später unfassbare Folgen für die ganze Gesellschaft.

Wie meistern Sie wirtschaftliche Herausforderungen, gestiegene Papier- und Strompreise? Ist man, wenn man absolute Klassiker im Programm führt, vor dem Schlimmsten gefeit?

Bielenberg: Das ist bestimmt so. Es sind Klassiker, die schon über viele Jahrzehnte funktionieren und oft mehr denn je Aktualität haben. Bestes Beispiel: Pippi Langstrumpf war als Kind auf sich selbst gestellt und kam in eine neue Umgebung. So geht es auch vielen geflüchteten Kindern, die sich ohne Eltern auf den Weg in ein hoffentlich sichereres Europa gemacht haben. Es gibt immer wieder Parallelen.

Schmid: Auch bei Ronja Räubertochter. Da hat man alles drin, worüber wir jetzt gesprochen haben: Naturerleben, Freundschaft, Liebe und nachhaltigen Umgang mit der Natur.

Buchcover "Du bist eine Insel"

Buchcover "Du bist eine Insel" / BoD

Poetisches Inselglück Thilo Schmid, „Du bist eine Insel. Mallorcagedichte / Poemas de Mallorca“, BoD, 92 Seiten, 25 Euro, erhältlich im Buchhandel und unter bit.ly/mallorcagedichte, Instagram: mallorcapoesie.

Drei Mallorca-Gedichte aus dem Buch

ABEND IM PORT DE SÓLLER

Am Abend kandiert die Sonne die Welt.

Das Wasser der Bucht sperrt sie

hinter orangene Stäbe.

Müde legen sich die Gedanken

auf die Pritsche des Horizonts.



Sie wissen um das Geheimnis der Orangen:

An die Bäume gekettet, wachsen sie

zu kleinen Sonnen.

AUTOTOMIE

Unsere Hände sind Geckos,

die über unsere Körper gramseln.

Gedanken fressen.

Entronnene sind wir,

deren Seelenspitzen nachwachsen.



Ein einziges Mal.

BINIARAIX, CAFÉ ES BARRANC

Im Schatten der Gebirgsorgel,

der Dorfplatz mit dem Platanenschiff.

Das Gestühl des Café es Barranc

wartet auf Gläubige.

Jeder Tisch ein Altar,

die Gläser groß wie Taufbecken,

beten sie hier den Nounat.

Die Arme des Patrons

geöffnet zum Kreuz.

Betrittst du aus der Kirche kommend den Platz,

betrittst du eine Kirche.  

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