Lippe, fleischiger oberer oder unterer Rand des Mundes

Die Funktionen unserer Lippen sind vielfältig, sie dienen unter anderem zur Mimik, Lautbildung, Tastorgan, Nahrungsaufnahme. Nicht zuletzt wegen ihrer symbolischen Bedeutung der Sinnlichkeit ist der Griff zum Lippenstift und mittlerweile auch zum Skalpell beinahe zu einer reinen Routineangelegenheit geworden. Dass Leidenschaft kein Rentenalter kennt, brachte der Philosoph Manfred Hinrich auf den Punkt: „Auch welke Lippen dürsten.“ Im Mallorquinischen dient das vom Lateinischen labium abgeleitete Wort häufig zur Verdeutlichung von grundlegenden Eigenschaften.

So etwa wird von einer sehr jungen Person gesagt, sie „habe immer noch Milch an den Lippen“ (Encara duu sa llet á nes morros) – dem bayrischen Milchbua entsprechend. Einem sturen Zeitgenossen wird das Prädikat verliehen, „über starke Lippen zu verfügen“ (Esser fort de morros) – eine zweifelhafte Ehre, da mehr auf Uneinsichtigkeit als auf Standvermögen Bezug genommen wird. Toxische Beziehungen sind oft der Anfang von Frustration und psychologischer Behandlung, so der Aphoristiker Manfred Poisel: „Es gibt Lippen, die sind der Eingang zur Hölle.“

Die Antwort auf die Frage, warum menschliche Lippen eine intensive rote Farbe vorweisen, lässt sich mit deren Feinheit begründen: Mit drei bis fünf Zellschichten ist ihre Haut im Vergleich zu den bis zu 16 Zellschichten der übrigen Gesichtshaut sehr dünn. Dadurch scheint das Blut der darunterliegenden Blutgefäße stärker hindurch als bei der restlichen Gesichtshaut und führt zu einer deutlichen Rotfärbung der Lippen. In manch kritischer Lebenssituationen kann Vorsorge nicht schaden, man weiß ja nie: „Das Beten bringt die Lippen nicht zum Schmerzen“ (Es resar no fa mal de morros). Ein israelischer Sinnspruch empfiehlt die genaue Trennung bezüglich einer Art der sinnlichen Dreifaltigkeit: „Das Ohr leih jedem, die Hand dem Freunde, die Lippen der Frau!“