Die mäßige Sommersaison ist vorbei, die Schlangen vor den Essensausgabestellen für Bedürftige werden wieder länger. Dass die Corona-Pandemie die Armut auf der Insel verschlimmert hat, ist bekannt. Welche konkreten Ausprägungen die Armut hat, wen sie betrifft und wie es weitergehen könnte, hat jetzt das Netzwerk Xarxa per la Inclusió Social (EAPN) in einem detaillierten Bericht zusammengefasst. Darin wird auch das Wirtschaftsmodell infrage gestellt.

Indikator für Armut

Hinter dem Netzwerk stehen mehrere soziale Einrichtungen. Die Analyse fußt auf Daten, die teils vor, teils während der Pandemie erhoben worden sind. Eine der Hauptthesen: Obwohl die Arbeitslosenquote in der balearischen Bevölkerung im Sommer stark gesunken ist, sind viele Haushalte weiterhin gefährdet, in die Armut abzurutschen und müssen sich in ihrem Alltag finanziell zum Teil erheblich einschränken. Auch, weil viele nur einige Monate im Jahr überhaupt eine Arbeit haben. Als Methode zum Einsatz kam der sogenannte AROPE-Indikator (At Risk Of Poverty or Social Exclusion). Er gilt heute international als zentrale statistische Kennziffer zur Erfassung des Armutsrisikos oder der sozialen Ausgrenzung.

Erfasst wird beispielsweise, wie viele Haushalte sich bestimmte, europaweit einheitlich eingestufte Grundgüter nicht leisten oder für bestimmte lebensnotwendige Kosten nicht aufkommen können. Auf rund 84.000 Personen auf den Balearen (50.000 mehr als 2019) traf dies laut der Studie im vergangenen Jahr zu. 20 Prozent der Menschen können ihr Haus im Sommer oder Winter nicht angemessen klimatisieren, 37 Prozent können keine unvorhergesehenen Kosten wie die Anschaffung neuer Haushaltsgeräte schultern. 13 Prozent haben noch Miet- oder Hypothekennachzahlungen ausstehen.

Armutsgefährdet

Es sei ein Trugschluss, zu denken, dass alle, die Arbeit haben, automatisch fern der Armut anzusiedeln seien, heißt es. Zunächst einmal, weil das Einkommen trotz Erwerbstätigkeit oft so gering sei, dass dadurch die hohen Lebenshaltungskosten nicht bestritten werden können – erst recht nicht, wenn es gilt, auch weitere Haushaltsmitglieder durchzubringen. Zum anderen, weil die Arbeit oft befristet ist. Konkret seien rund 15 Prozent der Erwerbstätigen auf den Balearen im vergangenen Jahr als „armutsgefährdet“ einzustufen.

Schaut man auf den Anteil der Gesamtbevölkerung der Inseln, so gelten 22 Prozent der Bürger (266.000 Personen) laut dem AROPE-Indikator aktuell als „armutsgefährdet oder von sozialer Ausgrenzung bedroht“. Weit mehr also, als ein Blick auf die Arbeitslosenstatistik zunächst vermuten lässt. Es sidn zudem knapp 90.000 Menschen mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019.

Wirklich „arm“

Tatsächlich als „arm“ gelten laut den Berechnungen für das Jahr 2020 rund 14 Prozent der Inselbevölkerung – zwei Prozentpunkte mehr als 2019 –, also rund 170.000 Menschen. Sprich: Sie leben in einem Haushalt, dem weniger als 60 Prozent des spanischen Durchschnittseinkommens zur Verfügung stehen. Für einen Single heißt das, dass er monatlich mit weniger als 535 Euro auskommen muss. „Gerade bei den horrenden Wohnungspreisen ist dies eine hochgradig prekäre Situation“, so ein Fazit des Berichts. Und: Nimmt man als Vergleichswert das balearische Durchschnittseinkommen, so liege die Armutsquote sogar bei 21 Prozent. Das sind sechs Prozentpunkte mehr als im Jahr 2019.

Von Armut betroffen sind natürlich auch Menschen, die von öffentlichen Zahlungen abhängig sind. So beziehen beispielsweise mehr als 35.000 Ruheständler auf den Balearen weniger als 460 Euro Rente im Monat. Rund 2.500 von ihnen sogar weniger als 150 Euro.

Fazit

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„Die Frage, die wir uns stellen sollten, ist, ob wir weiterhin auf ein Modell setzen wollen, das – auch wenn es wirtschaftlich gut läuft – einen bedeutenden Teil der Bürger in die soziale Ausgrenzung treibt und in dem Armut und Ungleichheit in jeder Krise nach oben schnellen“, heißt es im Resümee des EAPN-Berichts. Ein Seitenhieb auf die ohnehin viel diskutierte Tourismusabhängigkeit der Inseln.

Konkret fordert das Netzwerk eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsqualität, mehr Ausbildungsangebote, alternative Wirtschaftszweige und angemessenere Sozialleistungen sowie eine Wohnungspolitik, die das Grundrecht auf ein würdiges Wohnen garantiert. Dass sich die Situation kurzfristig entspanne, sei nicht abzusehen. „Es besteht kein Anlass zu Optimismus.“