Mallorca Zeitung

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Großer Wandel oder alles wie immer? So steht Mallorca zu Beginn der Hochsaison da

Die Corona-Pandemie wirkte zeitweise wie eine Zäsur. Doch was ist tatsächlich geblieben vom ersehnten Neuanfang auf Mallorca?

Der Tourismus brummt, am Flughafen von Palma de Mallorca ist wieder so viel los wie vor Corona - oder noch mehr Margais/dpa

Flughafen Palma de Mallorca, der Kontrast zu Pandemiezeiten könnte kaum größer sein: Die Passagierströme werden wieder durch die Sicherheitskontrolle geschleust, alle Scanner sind in Betrieb. In den vorher gespenstisch leeren Endlosgängen herrscht wieder Trubel und Hektik. Und die Nachfrage nach Taxis vor dem Terminal ist so groß, dass sich nicht die Fahrer, sondern die Fahrgäste in Geduld üben müssen.

Die Wirtschaft brummt

Man sieht es auch im Handel und der Gastronomie: Im Windschatten des Tourismus erholt sich die gesamte Balearen-Wirtschaft in Rekordzeit. Das Bruttoinlandsprodukt auf den Inseln schnellte im ersten Quartal um 9,1 Prozent in die Höhe – fast drei Punkte über dem spanischen Mittel von 6,4 Prozent. Nach dem dramatischen Wirtschaftseinbruch infolge der in der Pandemie ausbleibenden Urlauber, könnten die Balearen noch dieses Jahr wieder den Wohlstand von vor Corona erreichen, frohlockt die Regierung.

Der Arbeitsmarkt gilt angesichts von Beschäftigungszahlen, die über dem Niveau von 2019 liegen, bereits als vollständig erholt – in einigen Bereichen wie der Hotellerie werden qualifizierte Angestellte bereits händeringend gesucht. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich so einige Mitarbeiter während des Corona-Stillstands umorientiert haben. Hinzu kommen die wachsenden Schwierigkeiten auf dem überhitzten Wohnungsmarkt – Saisonarbeiter vom Festland überlegen sich mittlerweile zweimal, ob sich ein Sommerjob auf Mallorca lohnt. Im schlimmsten Fall findet sich gar keine bezahlbare Bleibe.

Der Tourismus boomt

Dabei gibt es gerade jetzt so viele Jobs zu besetzen wie selten. Mit Beginn der Osterferien setzte ein Run auf Mallorca ein, den sich Hoteliers, Ferienvermieter, Wirte und Mietwagenverleiher noch vor Kurzem kaum hätten träumen lassen. Inzwischen liegen die Buchungszahlen für den Sommer sogar über dem Vergleichszeitraum 2019, also noch vor Corona. Bereits Ende April waren 84 Prozent aller Hotels auf der Insel geöffnet, mittlerweile sind es annähernd 100 Prozent. Auch die umstrittenen Kreuzfahrtschiffe in Palmas Hafen sind wieder da. Regierung und Reedereien haben inzwischen vereinbart, dass es nicht mehr als drei große Schiffe gleichzeitig im Hafen sein dürfen, doch es gibt Ausnahmen und Übergangsfristen.

Nicht nur was die Umweltbelastung betrifft, bringt der Besucheransturm Probleme mit sich. Die Touristen müssen sich vor allem in den Sommermonaten auf Wartezeiten in Restaurants, am Hotelbuffet oder an den Ausflugszielen einstellen. So mancher Hotelier erwägt, in Kürze die Buchungen zu stoppen, weil es vor allem zwischen Juli und September so gut wie keine freien Zimmer mehr gibt. Und trotz des Erfolges werden viele knapp kalkulieren müssen. Die heftigen Preissteigerungen bei Energiekosten und Lebensmitteln reduzieren die Gewinne der Unternehmer deutlich. Als schwierig stellt sich inzwischen auch der Transfer der Urlauber dar: Reisebusse und Mietwagen sind kaum noch zu bekommen.

In der Gastronomie werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. DM

Not am Wohnungsmarkt

Zu viel des Erfolges droht auch auf Mallorcas Immobilienmarkt, zumindest aus Sicht der meisten Einheimischen. Während der Pandemie ließ das Interesse ausländischer Käufer nicht nach, eher im Gegenteil: Ihr Anteil erreicht immer neue Spitzenwerte. 35,4 Prozent aller auf den Balearen verkauften Immobilien gingen laut dem Register der Behörden im ersten Quartal an Ausländer. Inzwischen investieren sie auch in klassischen Wohngebieten der Einheimischen, was die Preise noch weiter in die Höhe schießen lässt. Erklärt wird der Boom mit der Kaufkraft der Ausländer, der erwarteten Wertsteigerung und der Rentabilität in der Ferienvermietung, aber auch der Spekulation internationaler Fonds mit leeren Wohnungen.

Muss man also den Verkauf an Ausländer begrenzen? Kann man das überhaupt? So unkonkret die politischen Forderungen, so präsent sind die Fragen in der öffentlichen Debatte. Zumindest soll eine Arbeitsgruppe des Balearen-Parlaments nun Möglichkeiten einer Beschränkung prüfen. Andererseits spülen die Verkäufe gerade im Luxussegment ordentlich Steuereinnahmen ein. So legten die Einnahmen aus der Grunderwerbssteuer 2021 mit 836 Millionen Euro um 63 Prozent zu.

Alternative Lösungen sind auch nicht einfach: Der Bau von Sozialwohnungen kommt nur langsam und in kleiner Zahl voran. Den Bau von neuem Wohnraum zu erleichtern wäre ebenfalls eine heikle Angelegenheit, widerspräche dies doch dem ausgegebenen Ziel der Linksregierung, jeder weiteren Zersiedelung Mallorcas einen Riegel vorzuschieben.

Ein Jahr vor den Wahlen

Dabei ist die regierende Linkskoalition knapp ein Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen darauf angewiesen, ihre Wählerschaft bei der Stange zu halten. Die sozialistische Ministerpräsidentin Francina Armengol strebt eine dritte Legislaturperiode an, ihre stärkste Widersacherin ist voraussichtlich Marga Prohens von der konservativen Volkspartei. Armengol hat neben dem Amtsbonus auch den Ruf als routinierte Krisenmanagerin. Und dank Tourismusminister Iago Negueruela klappt es auch mit der so wichtigen Lobby der Hoteliers.

Während Armengol jedoch in der eigenen Partei fest im Sattel sitzt, wächst bei den Juniorpartnern, Podemos und Més per Mallorca, das Gefühl, von den Sozialisten untergebuttert zu werden. Für Armengol eine schwierige Gratwanderung: Je runder das Tourismusgeschäft läuft, desto lauter wird Més per Mallorca das Phänomen des Overtourism beklagen – Nachhaltigkeitspolitik hin oder her.

Die oppositionelle Volkspartei wiederum muss noch Hausaufgaben erledigen, wenn die Rückkehr an die Macht gelingen soll. Da ist zum einen die Frage des noch unscharfen inhaltlichen Profils, auch wenn es Frontfrau Prohens im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Biel Company rhetorisch mit Armengol aufnehmen kann. Und dann wäre da eine zentrale strategische Frage: Wie hält es die PP mit der Partei Vox, die sich auch auf den Balearen fest am rechten Rand des Parteienspektrums etabliert hat? Ohne sie dürfte ein konservatives Bündnis keine Mehrheit hinbekommen – und die Rechtspartei hat klargemacht, dass sie nicht nur auf Zugeständnisse im Regierungsprogramm pocht, sondern auch auf Posten.

Weniger Urlauber, mehr Luxus

Auf Ablehnung stößt bei den Konservativen speziell das wichtigste Projekt der Linksregierung, das jetzt verabschiedete Tourismusgesetz. Zentrales Ziel: weniger Urlauber, dafür mehr Qualität und Nachhaltigkeit. Gelingen soll das mit einem Moratorium für neue Gästebetten, deren Reduzierung im Fall eines Verkaufs sowie auch der Umwandlung veralteter Hotels in Wohnraum für sozial Schwache. Daneben sollen die Kreislaufwirtschaft und die Arbeitsbedingungen im Tourismus verbessert werden.

Die Qualitätsoffensive scheint aufzugehen: Gerade bei wohlhabenderen Urlaubern ist Mallorca beliebt wie nie. Luxushotels sind stark gebucht, fast alle neuen Häuser haben vier oder fünf Sterne. Mit dem „luxuriösesten Hotel im Mittelmeerraum“, dem Anwesen Son Bunyola nahe Banyalbufar des britischen Milliardärs Richard Branson, kommt wohl im Sommer 2023 ein weiterer Höhepunkt hinzu.

Hoffen auf die EU-Gelder

Um Alternativen zum Tourismus zu stärken und die Insel-Wirtschaft neu aufzustellen, setzt die Linksregierung auf die EU-Hilfsgelder des Corona-Fonds „Next Generation“. Derzeit wird mit 1,5 Milliarden Euro gerechnet für Projekte, die Nachhaltigkeit, wirtschaftliche Vielfalt, Wettbewerbsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt fördern sollen. Laut dem eigens geschaffenen Landesministerium für EU-Gelder stehen aktuell 720 Millionen Euro zur Verfügung, von denen gut die Hälfte bereits in konkrete Projekte fließt. Die Finanzierung von Großprojekten wie dem Bau einer Straßenbahn zum Flughafen dagegen ist noch nicht festgezurrt. Sie würden aber „in den kommenden Monaten und Jahren“ realisiert, heißt es. Bis Ende 2023 muss laut EU-Vorgaben alles eingetütet sein, für die Umsetzung ist Zeit bis 2026.

„Wir stehen genau dort, wo wir vor der Pandemie standen. Nie hing Mallorca stärker vom Tourismus ab als jetzt“, hält Bartomeu Cantallops vom Thinktank Cercle d’Economia de Mallorca dagegen. Und daran werde auch der Geldsegen aus Brüssel nichts ändern. „Die meisten Projekte verbessern zwar die Lebensqualität auf der Insel oder auch den Komfort für die Touristen. Aber einen Wandel des Wirtschaftsmodells bringen sie nicht.“

Ein solcher Umschwung sei von einem Jahr aufs andere auch nicht zu schaffen. „Alles ist nach Corona zum Tourismus zurückgeströmt. Weil die Leute von etwas leben müssen. Und weil wir hier auf den Inseln kaum etwas anderes können als Tourismus“, so Cantallops. Viele Ideen der Next-Generation-Projekte sähen auf dem Papier hübsch aus, brächten aber in der Praxis keine tiefgreifenden Veränderungen. Letztlich bräuchte es nicht nur Gelder aus Brüssel, sondern vor allem den Willen der Gesellschaft, etwas ändern zu wollen. „Und den sehe ich nicht.“

Auch die Umweltaktivistin Margalida Ramis, Sprecherin des Forum Societat Civil, glaubt nicht daran, dass die EU-Gelder den ersehnten Wandel bringen. „Natürlich ist es gut, mehr auf regenerative Energien zu setzen und diese auch im Tourismus einzubringen. Aber letztlich fließen nun viele öffentliche Gelder in die Hand großer Unternehmen, damit sie damit Auflagen erfüllen, für die sie eigentlich aus eigener Tasche aufkommen sollten“, findet Ramis. „Um einen Wandel herbeizuführen, müsste dem Tourismus weniger Gewicht gegeben werden.“ Immerhin: Die Landesregierung habe bei der Frage nach der Verteilung der Gelder den Dialog mit der Zivilgesellschaft gesucht.

Innovation als Alternative

„Um wirklich etwas zu ändern, braucht es Innovationen“, sagt Julio Batle, Wirtschaftsprofessor an der UIB. Doch diese seien im großen Stil nur möglich, wenn sich das Bild ändere, das die Welt von Mallorca im Kopf hätte. „Man denkt an Strand, Meer, landschaftliche Schönheit, hohe Lebensqualität, billigen Alkohol, Exzesse. Aber nicht an touristische Innovationen, Technologie, Smart Destinations oder eine Vorreiterregion für regenerative Energien. Dabei haben die Balearen das Potenzial für all dies.“ Solange das Imageproblem bestehe, sei es schwer, echte Talente auf die Insel zu locken. „Noch ist Mallorca für die digitalen Nomaden sehr unattraktiv. Aber wir könnten in zehn Jahren rund 100.000 Menschen anlocken, die für einige Monate oder Jahre hierherkommen, um Projekte zu entwickeln, die wiederum den Balearen zugutekommen.“

Einige der Next-Generation-Projekte hätten Potenzial, um den Imagewandel einzuleiten. Etwa das Nachhaltigkeitsprojekt Alcúdia Tech Mar oder der Aufbau des Technologieparks Nou Llevant in Palma. Zudem müsse man stärker Ideen aus der gesamten Gesellschaft zusammentragen. „Gerade das Potenzial ausländischer Residenten, die sich seit Jahrzehnten mit der Insel verbunden fühlen und wertvolle Fähigkeiten, Erfahrungen und Netzwerke haben, müsste viel mehr genutzt werden“, findet Batle. Das sei eine große Herausforderung. „Aber wir auf den Balearen schaffen das. Schließlich haben wir auch im Tourismus Erfolge erzielt, die weltweit ihresgleichen suchen.“

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