Wenn Shakespeare heutzutage leben würde, da ist sich die Regisseurin Marta Aran sicher, wäre er ein „punky Queer“. Queer ist im Englischen der Überbegriff für alles, was nicht der heteronormativen Weltsicht entspricht. Punk versteht sich von selbst. Shakespeare wäre demnach ein Rebell, der nicht in sexuelle Normen und Geschlechtsrollen passt. „Oft wird Shakespeare sehr verstaubt und brav aufgeführt“, sagt Aran. Dabei seien seine Stücke für damalige Verhältnisse sehr modern gewesen, mit anzüglichen Witzen und hinterfragten Geschlechterrollen. Für das Stück „Nit de Reis“, auf Deutsch unter dem Titel „Was ihr wollt“ bekannt, hat Aran deswegen eine Ästhetik aus der Drag-Welt ausgewählt. Am Samstag (10. 9.) führt die katalanische Kompanie Parking Shakespeare das Stück auf der Plaça Mayor in Palma auf. Mit der kostenlosen Darbietung unter freiem Himmel beginnt die neue Spielzeit am Teatre Principal.

Drag-Welt, das bedeutet starkes Make-up und schrille Outfits mit bunten Farben. „Ich kann mich erinnern, dass ich den Kostümbildnern immer wieder gesagt habe: mehr Farben, mehr Glitzer“, sagt Aran. Dragqueens, also Männer, die sich mit dieser speziellen Ästhetik als Frauen verkleiden, sind inzwischen bekannt durch Shows, in denen sie singen und tanzen. Doch Aran gibt einer anderen Figur aus dieser Szene die große Bühne: Dragkings. Also Frauen, die als Männer auftreten. „Dragkings haben in der LGBTQI+-Szene längst nicht dieselbe Sichtbarkeit wie Dragqueens und sind außerhalb der Szene kaum bekannt. Ihnen wollte ich das Stück widmen“, sagt sie.

Shakespeares Satire auf die Männlichkeit

Für ihre Interpretation habe sie nur wenig am eigentlichen Text ändern müssen, sagt Aran. „Das Werk ist für sich selbst schon eine Satire auf die Männlichkeit. Das habe ich nur akzentuiert.“ Im Original verliert die junge Viola bei einem Schiffbruch ihren Zwillingsbruder und tritt daraufhin als Knabe namens Cesario verkleidet in die Dienste eines Herzogs. Die Angebetete des Herzogs verliebt sich ausgerechnet in den jungen Cesario, und als dann noch der verlorene Zwillingsbruder auftaucht, ist das Chaos groß.

Viola alias Cesario ist bei Arans Version also ein Dragking, der Männlichkeit performt. Während die Regisseurin noch am Text gearbeitet hat, besuchte sie zusammen mit der Schauspielerin, die bereits für Viola/Cesario gecastet war, in einem Dragking-Kurs. „Dort bemerkt man erst, dass zum Beispiel die eigentliche Weiblichkeit auch nur eine Performance ist“, sagt sie.

Die Kostüme sind bei dieser Version von "Nit de Reis" schrill und bunt. Leo Roldán

Letztendlich sei in dem Stück 80 Prozent von Shakespeare und 20 Prozent von ihr. Aran hat Begriffe und Persönlichkeiten aus der Drag-Szene eingefügt sowie Scherze und Dialoge an die modernen Zeiten angepasst. „Vieles versteht man sonst ja nicht“, so Aran. Zum Beispiel hat die Regisseurin ein im Stück erwähntes Spektakel, bei dem Hunde einen Bären zu Tode hetzen, durch Stierkampf ersetzt.

Schauspieler aus Manacor und Montuïri

Auf die Aufführung in Palma freut sich Aran besonders, wie sie sagt. Denn in ihrer Version gibt es einen Bezug zur Insel. Da Olivia und ihr Zwillingsbruder im Originalstück mit einem Schiff von auswärts kommen, wollte Aran, dass man sie an ihrer Sprache als Fremde erkennt. Während also die anderen Figuren klassisches Katalanisch sprechen, wurden für die Geschwister zwei mallorquinische Schauspieler gecastet, die ihren eigenen Dialekt in das Stück einbringen.

Die Schauspielerin von Viola, Joana Sureda, kommt aus Manacor, ihr Bruder wird von Mateu Bauçà aus Montuïri gespielt. Wobei Joana Sureda nach vielen Aufführungen in Barcelona wegen einer Verletzung jetzt ausgerechnet auf ihrer Heimatinsel ausfällt. Spontan springt Regisseurin Marta Aran für ihre Rolle ein. Allerdings ist sie keine Mallorquinerin, sondern aus Barcelona. Sie werde sich Mühe geben, das Mallorquinische richtig auszusprechen, sagt Aran. „Aber dass ich das genau in Palma machen muss, davor habe ich schon Respekt.“

Die Regisseurin betont, dass die Aufführung für jedes Alter geeignet ist. „Wir wollen diese Entdeckungsreise zur eigenen geschlechtlichen Identität nicht als Drama, sondern als Fest zeigen.“ Mit viel Glitzer.