Sieb, Gerät aus einem gleichmäßig durchlöcherten Material, das dazu dient, kleinere Bestandteile von den größeren zu trennen

Der französische Schriftsteller Henri Stendhal prangerte den menschlichen Hang zu Hochmut und Selbstgefälligkeit ebenso gnadenlos direkt wie genial zutreffend an: „Das Gedächtnis ist ein sonderbares Sieb: Es behält alles Gute von uns und alles Üble von den andern.“

Einen weiteren Aspekt diesbezüglich unterstrich der italienische Schriftsteller Stefano Guazzo in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als öffentlich ausgeführte Streitgespräche gang und gäbe waren: „Die Diskussion ist das Sieb der Wahrheit.“ Bei den bis heute in Mallorca gebräuchlichen Redewendungen wird das Sieb häufig als Symbol für Mangel oder fehlerhaftes Verhalten herangezogen; einer Person, die sich über eine Angelegenheit den Kopf zerbricht, wird nachgesagt, sie „verwendet immer dasselbe Sieb“ (Cendre sempre amb es mateix sedàs).

Eine aufgetragene Kleidung wird mit dem anschaulichen Siegel versehen, „löchrig wie ein Siebtuch“ zu sein (Estar com una tela de sedàs). Einer Person, die sich ungefragt um die Angelegenheiten anderer kümmert, wird nachgesagt, „sie benütze nicht ihr eigenes Sieb“ (No cendre amb es seu sedàs), während im Deutschen eine hoffnungslos vergessliche Person ein Gedächtnis wie ein Sieb hat. Auf die indogermanische Wurzel Seihe zurückgehend zum Trennen von festen Stoffen – meist Körnern – je nach Größe, werden die Erinnerungslücken beim Menschen mit Dauer immer bedenklicher, wie schon der hessische Philosoph Arthur Schopenhauer gegen Ende seines Schaffens resignierend feststellte: „Unser Gedächtnis gleicht einem Siebe, dessen Löcher anfangs klein sind und wenig durchfallen lassen, jedoch immer größer werden und endlich so groß sind, dass das Hineingeworfene fast alles durchfällt.“