Rechtsruck in Spanien: Die "rote Linie" vor den Rechtspopulisten von Vox ist jetzt passé

Wie hält es die Volkspartei mit den Rechtspopulisten von Vox bei der Bildung von Regierungen? In den Regionen werden sehr unterschiedliche Antworten gefunden

Nicht nur der Feminismus ist nach Vox-Lesart ein Fall für den Papierkorb.

Nicht nur der Feminismus ist nach Vox-Lesart ein Fall für den Papierkorb. / SANTOS MOURA

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Nach den Kommunal- und Regionalwahlen vom 28. Mai geht wie erwartet ein Rechtsruck durch Spanien. Die konservative Volkspartei (PP) und die Rechtspopulisten von Vox werden in zahlreichen Rathäusern und einigen Regionen gemeinsam regieren. Bei den letzten Wahlen vor vier Jahren war das noch anders. Damals begnügte sich Vox damit, vielerorts Minderheitsregierungen der PP zu stützen, ohne selbst auf Posten zu bestehen. Der Tabubruch erfolgte vor einem Jahr, als die beiden Parteien rechts der Mitte in Kastilien-León erstmals eine Koalition eingingen.

Nun hält die von der PP-Spitze lange beschworene „rote Linie“ bei der Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten kaum noch. In 135 Rathäusern regieren beide Parteien fortan zusammen, darunter 25 Städte mit mehr als 30.000 Einwohnern. In der Region Valencia machte der Spitzenkandidat der PP, Carlos Mazón, überraschend schnell einen Pakt mit Vox klar, um die Linken an der Macht abzulösen. Auf den Balearen, in Murcia und Aragón ist noch nicht klar, ob es auf eine Koalition oder eine Minderheitsregierung der Konservativen hinausläuft. Lediglich in Madrid erreichte die PP mit Isabel Díaz Ayuso an der Spitze eine absolute Mehrheit.

Doch die politischen Verhältnisse sind sehr unterschiedlich. In der Extremadura erklärte die dortige PP-Kandidatin María Guardiola die Verhandlungen mit Vox für gescheitert und stellte schon Neuwahlen in Aussicht. Sie hatte Vox den Vorsitz des Regionalparlaments angeboten, im Gegenzug für die Unterstützung einer Minderheitsregierung der PP. Doch die Rechten bestanden auf Ministerposten. So fiel die Präsidentschaft der Kammer letztlich an die Sozialisten.

Standhaft in der Extremadura

„Ich kann in meiner Regierung keine Leute haben, die die Gewalt gegen Frauen leugnen, Immigranten entmenschlichen oder ein Transparent aufhängen, das zeigt, wie die LGTBI-Flagge in den Mülleimer geworfen wird“, wetterte Guardiola auf der Sitzung des Parlaments der Region Extremadura in Mérida am Dienstag (20.6.).

Sie spielte damit auf eine Aktion in Madrid an, an einem Gerüst an prominenter Stelle wurde ein riesiges Plakat aufgehängt. Darauf sieht man eine Hand, die verschiedene Symbole in den Papierkorb schmeißt, neben der LGTBI-Flagge auch das Symbol der Feministenbewegung, die Unabhängigkeitsflagge der katalanischen Separatisten, die kommunistische Fahne oder das Logo der Agenda 2030, die das Ziel zu mehr Nachhaltigkeit vorgibt.

Reaktionäre Werte von Vox setzen sich durch

Die reaktionären Werte von Vox haben sich auch in den Abkommen auf lokaler Ebene durchgesetzt. In vielen Rathäusern einigte man sich mit der PP auf die Abschaffung der Ämter für Gleichberechtigung. Statt von Gewalt gegen Frauen ist in den Protokollen von „intrafamiliärer Gewalt“ die Rede. In Valladolid, der Hauptstadt von Kastilien-León, soll die emissionsfreie Zone in der Innenstadt auf das Minimum reduziert und dafür Fahrradwege abgeschafft werden.

Für Alberto Núñez Feijóo, den Vorsitzenden der PP in Spanien, stellt der unterschiedliche Umgang mit Vox ein Problem mit Blick auf die vorgezogenen Parlamentswahlen am 23. Juli dar. Wieso gelten die deutlichen und harten Worte gegen die Rechtsextremen von Guardiola in der Extremadura nicht auch andernorts? Der Spitzenkandidat der Konservativen in Valencia, Mazón, hatte im Wahlkampf ebenfalls von „roten Linien“ bei der Zusammenarbeit mit Vox gesprochen. Dann benötigte man lediglich zwei Treffen, um eine Koalition zu schmieden.

Das einzige Opfer war Carlos Flores, der Spitzenkandidat von Vox. Die PP legte ein Veto gegen ihn ein, da er vor 20 Jahren wegen Gewalt gegen seine damalige Frau verurteilt worden war. Statt Landesminister ist Flores nun Spitzenkandidat von Vox für die Parlamentswahlen. Auf die Kontroverse angesprochen, antwortete Núñez Feijóo im Radiosender SER lapidar, Flores habe damals „eine harte Scheidung“ durchgemacht.

Umstrittener Stierkämpfer

Den Posten des stellvertretenden Regierungschefs in Valencia bekam dann Vicente Barrera, ein erfolgreicher ehemaliger Stierkämpfer, der nun für das Ressort Kultur zuständig ist. Außerdem führt Vox die Ministerien für Landwirtschaft sowie Inneres und Justiz. Als Erstes wolle man die „Ideologie aus den Klassenzimmern“ entfernen, Gesetze zur Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur ändern und Organisationen, welche die Zugehörigkeit von Valencia zum katalanischsprachigen Kulturraum fördern, nicht mehr unterstützen. Vom Klimawandel kein Wort.

Die Abneigung von Guardiola gegen die „veralteten Kulturkämpfe“ von Vox lassen sich auch gut auf den frisch gekürten Vorsitzenden des Parlaments der Balearen, Gabriel Le Senne, anwenden. Wie auf den Inseln hoffen die Konservativen auch in den Regionen Murcia und Aragón noch darauf, dass Vox letztlich beigibt und eine Minderheitsregierung der PP akzeptiert.

In der PP-Zentrale in Madrid spekuliert man darauf, dass die Rechtsextremen vom Beispiel in der Extremadura beeindruckt sind und die Anforderungen an die PP anderswo etwas zurückfahren könnten. Núñez Feijóo kann sich dank der Standhaftigkeit seiner Parteifreundin in der Extremadura wieder als Mann der Mitte präsentieren. Jedoch wird er im Wahlkampf bis zum 23. Juli nicht umhinkommen, die Widersprüche zu erklären, warum seine Partei in Valencia mit den Vertretern der „veralteten Kulturkämpfe“ regiert, in der Extremadura aber nicht.

Folgen für die Spanien-Wahlen

Die „rote Linie“ hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit Vox wirkt angesichts der zahlreichen Koalitionen auf lokaler Ebene nicht mehr glaubwürdig. In spanischen Medien wurden dieser Tage viel die Worte des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zitiert, der eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausschließt. Für Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez von den Sozialisten sind die Bündnisse von PP und Vox nach der Wahlschlappe im Mai ein entscheidender Faktor, um die Wähler der Mitte und links davon wieder zu mobilisieren.

Núñez Feijóo wird im Wahlkampf nun noch mehr damit werben müssen, dass die PP eine Chance habe, allein eine ausreichende Mehrheit zu erhalten. In den Umfragen liegen die Konservativen derzeit klar vorne. Sie sind jedoch deutlich von einer absoluten Mehrheit der 350 Sitze im Unterhaus entfernt. Und außer Vox findet sich im Parlament kaum eine Partei, die einer Minderheitsregierung von Núñez Feijóo eine Stimme geben würde.

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