Als die Sozialisten der PSOE und das Linksbündnis Unidas Podemos (UP) Anfang 2020 gemeinsam eine Regierung bildeten, spekulierten viele über ein baldiges Ende dieses Experiments. Schließlich handelte es sich um die erste Koalitionsregierung seit Ende der Franco-Diktatur 1975 auf nationaler Ebene. Daran erinnerte auch die Regierungssprecherin Isabel Rodríguez, als sie auf der Pressekonferenz im Anschluss an die wöchentliche Kabinettssitzung am Dienstag (26.10.) auf die jüngste Regierungskrise angesprochen wurde. Am Tag zuvor hatten Sozialisten und Linke auf einer Sondersitzung versucht, den Streit zu begraben, offenbar ohne großen Erfolg.

Es geht vor allem um Differenzen über die Arbeitsmarktreform, eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Projekte der Koalition und eine Bedingung der EU, im Gegenzug für die Milliarden aus dem europäischen Aufbaufonds. Madrid hat der Europäischen Kommission versprochen, bis Ende des Jahres eine Reform des Arbeitsmarktes zu präsentieren. Doch die Positionen der Regierungspartner liegen derzeit noch weit auseinander.

Unidas Podemos besteht darauf, dass die umstrittene Reform der konservativen Vorgängerregierung aus dem Jahr 2012 komplett zurückgenommen wird. Darauf hatte man sich schließlich mit den Sozialisten im Koalitionsabkommen verständigt. Auch Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte lange ein Ende der Maßnahmen seines Amtsvorgängers Mariano Rajoy versprochen. Doch mittlerweile will der Sozialist nicht mehr so weit gehen und formuliert das Vorhaben etwas anders. „Die gesamte Regierung hat sich zu einer Modernisierung der Arbeitsrechte verpflichtet, mit dem Ziel, prekäre Verhältnisse zu bekämpfen, die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern und das Gleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei den Tarifverhandlungen wieder herzustellen“, erklärte Sánchez.

Die Reform der konservativen Volkspartei (PP) im Zuge der Finanzkrise schwächte die Gewerkschaften erheblich. Das brachte nach Meinung vieler Volkswirte mehr Jobs, jedoch auch viele zu schlechten Bedingungen. Nun denkt die Koalitionsregierung etwa darüber nach, die zeitlich befristeten Verträge in jedem Unternehmen auf 15 Prozent zu beschränken. Das wäre vor allem für stark saisonale Branchen wie den Tourismus problematisch.

Wer sitzt mit am Tisch?

Bei der Auseinandersetzung über die Arbeitsmarktreform geht es um inhaltliche Unterschiede, aber auch um Kompetenzen. Der Streit wurde in den Medien zum Machtkampf zwischen Wirtschaftsministerin Nadia Calviño und Arbeitsministerin Yolanda Díaz stilisiert. Die Sozialistin Calviño ist erste stellvertretende Ministerpräsidentin und Díaz von den Linken die zweite.

Die frühere Generaldirektorin der Europäischen Kommission Calviño ist Spaniens Ansprechpartner in Brüssel, wo sie hohes Ansehen genießt. Ihre Aufgabe ist es, Bedenken über die Reformpolitik im Ausland und im heimischen Unternehmerlager zu zerstreuen. Díaz dagegen ist zur mächtigsten Frau bei den Linken aufgestiegen, nachdem sich Podemos-Gründer Pablo Iglesias im Mai überraschend aus der Politik verabschiedete und ihr den Posten des stellvertretenden Regierungschefs überließ. Die auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwältin überraschte Freund und Feind mit ihrem Verhandlungsgeschick, durch das sie zahlreiche Abkommen in Einigung mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften erreichte. „Es geht jetzt nicht darum, wer die Führung inne hat, sondern darum, was wir mit der wichtigsten Reform des Arbeitsmarktes in unserem Land machen“, sagte Díaz zur aktuellen Koalitionskrise.

Bei Unidas Podemos ist man jedoch verärgert darüber, dass die Sozialisten Calviño an den Verhandlungstisch über die Arbeitsmarktreform setzen wollen. Die Wirtschaftsministerin ist erklärtermaßen keine Verfechterin von radikalen Veränderungen zugunsten der Arbeitnehmer. Calviño sei nicht die „geeignete Person“ für dieses Projekt, kritisierte die Sprecherin von Unidas Podemos, Isa Serra.

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Auf Seiten der PSOE will man die Reform des Arbeitsmarktes jedoch nicht den Linken und ihrer neuen Führungsperson überlassen. Denn Díaz gilt als voraussichtliche Spitzenkandidatin bei den nächsten Wahlen, so wie es sich Podemos-Gründer Iglesias gewünscht hat. Die 50-Jährige, die wie Calviño aus Galicien stammt, macht aus ihren Ambitionen keinen Hehl. Sie plant die Gründung einer eigenen Plattform, die weit über Unidas Podemos hinaus das gesamte Lager links der PSOE erreichen soll. Für Sánchez ist es im Hinblick auf die Wiederwahl wichtig, dass ihm ein Koalitionspartner erhalten bleibt, da absolute Mehrheiten in der heutigen politischen Landschaft in Spanien kaum noch denkbar sind. Andererseits könnte eine Kandidatur von Díaz die PSOE Stimmen kosten. Denn die Arbeitsministerin genießt die besten Umfragewerte, deutlich besser als Unidas Podemos als Partei.

Ein anderes Thema hat die Krise inzwischen zusätzlich verschärft. Die Präsidentin des Unterhauses, die Sozialistin Meritxell Batet, entzog Alberto Rodríguez von UP das Abgeordnetenmandat. So hatte es der Oberste Gerichtshof verfügt, nach einem Urteil gegen den Linken wegen Übergriffen auf einen Polizisten. Unidas Podemos forderte daraufhin den Rücktritt Batets. Bei allen Querelen – ein Ende der Koalition ist für keinen der beiden Partner von Interesse. Dafür sind die Umfrageergebnisse derzeit zu schlecht.