Eine solche Ehre ist nur wenigen ausländischen Regierungschefs vorbehalten. Spanien-Premier Pedro Sánchez war am Dienstag (30.8.) Gast auf der Klausurtagung des Bundeskabinetts auf Schloss Meseberg in Brandenburg. Das Verhältnis des Spaniers zu Bundeskanzler Olaf Scholz ist spürbar gut, nicht nur weil beide zur Familie der Sozialdemokraten gehören. Beide verbinden auch gemeinsame Vorstellungen für europäische Projekte.

Eines davon ist der Ausbau der Gasleitungen zwischen Spanien und Frankreich, für den die Spanier seit einiger Zeit werben. Die Sorgen um die Energieversorgung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben diese Infrastruktur erneut auf die Agenda gebracht. Spanien bietet sich als alternativer Gaslieferant nach Mitteleuropa an, dank seiner sechs Terminals zur Aufbereitung von Flüssiggas, das per Schiff aus mehreren Herkunftsländern importiert werden kann.

„Spanien hat 30 Prozent der Aufbereitungskapazitäten Europas, aber wir können Europas Bedarf damit nicht abdecken, weil es diesen Flaschenhals gibt“, erklärte Sánchez auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz in Meseberg. Mit dem Flaschenhals ist der Nachbar Frankreich gemeint, der sich bislang gegen den Bau einer Gaspipeline durch die Pyrenäen gesträubt hat. Scholz soll Spanien und Portugal nun bei den Plänen zum Ausbau der Energieleitungen unterstützen – schon aus eigenem Interesse, um Deutschland aus der bestehenden Abhängigkeit von russischem Erdgas zu befreien.

Gaslieferant Spanien: Die Pipeline durch die Pyrenäen galt als unrentabel

Der Bundeskanzler, der schon vor drei Wochen für die Gaspipeline durch die Pyrenäen geworben hatte, sicherte seinem Gast in Brandenburg erneut volle Unterstützung zu. „Ich will noch einmal unterstreichen, dass ich es sehr unterstütze, dass wir eine solche Verbindung bekommen – jetzt, wenn es darum geht, die Verbindung des Gasnetzes in Europa zu verbessern, langfristig, wenn es darum geht, Wasserstoff in Europa gemeinsam zu nutzen.“

Die mächtigen Pyrenäen schneiden die Iberische Halbinsel vom Rest Europas ab. Spanien und Portugal sind eine Energieinsel, die kaum mit dem übrigen Kontinent vernetzt ist. Derzeit gibt es nur zwei kleine Gasleitungen im Baskenland. Vor zehn Jahren wurde daher über den Bau einer neuen Pipeline in Katalonien nachgedacht, mit der die Kapazitäten mehr als verdoppelt würde. Das MidCat getaufte Projekt wurde jedoch 2019 von den spanischen, französischen und europäischen Aufsichtsbehörden beerdigt. Die Verbindung sei unrentabel, hieß es. Erdgas aus Russland war eben günstiger als Flüssiggas, das per Schiff übers Meer kam. Mit dem Krieg in der Ukraine und der folgenden Explosion der Energiepreise hat sich das Bild dramatisch geändert.

Auch Spaniens Ministerin für die Energiewende und Umwelt, Teresa Ribera, war ursprünglich gegen den Bau der Pipeline. Sie hat ihre Meinung nun jedoch geändert. Umweltschützer, auch in den Reihen des Koalitionspartners der Sozialisten von Sánchez, dem Linksbündnis Unidas Podemos, sind weiterhin nicht glücklich über die Idee, neue Infrastruktur für eine fossile Energiequelle zu bauen. Daher betonten Sánchez und Scholz, dass die Pipeline unbedingt auch für den Transport von grünem Wasserstoff taugen soll, der sauberen Zukunftstechnologie, auf der schließlich große Hoffnungen ruhen.

Zu spät für den drohenden Gasmangel im Winter?

Die französische Regierung von Emmanuel Macron war bisher nicht für das Projekt MidCat zu erwärmen. Vor Wochen sprach sich das zuständige Ministerium in Paris noch dagegen aus, mit dem Argument, der Bau würde zu lange dauern und käme daher für die aktuelle Krise und den drohenden Gasmangel im Winter zu spät. Ribera behauptet jedoch, dass man MidCat in acht bis neun Monaten betriebsfähig machen könne, da ein Teil der Infrastruktur bereits bestehe. Die Kosten belaufen sich nach Berechnungen der spanischen Regierung auf rund 400 Millionen Euro. Diese Summe soll nach dem Willen Madrids die Europäische Union zahlen.

Der gemeinsame Auftritt von Scholz und Sánchez in Meseberg hatte offenbar seine Wirkung. „Ab dem Moment, wo der spanische Ministerpräsident und der Bundeskanzler, unsere Freunde, darum bitten, werden wir die Forderung unserer Freunde überdenken“, sagte Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire am selben Tag.

Es ist möglich, dass das MidCat-Projekt auf dem Sondergipfel der EU-Energieminister am 9. September in Brüssel zur Sprache kommt. Auf dem eilig einberufenen Krisentreffen geht es jedoch vor allem darum, kurzfristig eine Lösung zu finden, um die astronomischen Strompreise unter Kontrolle zu bringen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Regierungen wie Belgien, Italien oder Österreich fordern einen Eingriff in den europäischen Energiemarkt, vor allem in den Preisfindungsmechanismus.

Ausnahme bei den Strompreisen für Spanien und Portugal

Dieser legt nämlich fest, dass sich die Energiepreise für die Stromproduktion an der jeweils am Markt teuersten Quelle orientieren. Das heißt, die derzeit extrem hohen Gaspreise geben den Takt vor. Stromversorger können ihre relativ günstige Atomkraft oder Strom aus erneuerbaren Energien zu den hohen Gaspreisen verkaufen. Spanien forderte bereits vor dem russischen Einfall in der Ukraine eine Reform dieses Systems, das eigentlich zum Ziel hat, Anreize für den Ausbau von Ökostrom zu geben.

Im Juni hatten Spanien und Portugal von der EU eine vorübergehende Ausnahme von dem europäischen Preisfindungsmechanismus erreicht. Nun sind die Strompreise hierzulande deutlich niedriger als in Frankreich oder Deutschland. Ribera kann auf dem Sondergipfel in Brüssel also Erfahrung einbringen.

Sánchez und Scholz haben schon bald Gelegenheit, sich erneut über die Versorgungslage auszutauschen. Am 5. und 6. Oktober findet ein bilaterales Gipfeltreffen in Spanien statt, das erste seit acht Jahren.