Boom der Ferienhäuser auf Mallorca mit drastischen Folgen: 14 Gemeinden haben mehr Zweit- als Hauptwohnsitze

Wissenschaftler warnen vor den Konsequenzen für die Orte, wenn ein Großteil der Häuser nur wenige Wochen im Jahr bewohnt wird

Deià ist eines der am stärksten betroffenen Dörfer.

Deià ist eines der am stärksten betroffenen Dörfer. / Toni Balaguer

Elena Vallés

Elena Vallés

Mallorca hat nichts von seiner Beliebtheit als Ort für eine Zweitwohnung eingebüßt, eher im Gegenteil. In 14 Gemeinden auf der Insel gibt es nach Zahlen des spanischen Statistik-Instituts INE inzwischen teils deutlich mehr Zweitimmobilien als Hauptwohnsitze. Betroffen sind von diesem Phänomen die Gemeinden Andratx, Banyalbufar, Campos, Costitx, Deià, Escorca, Estellencs, Felanitx, Fornalutx, Pollença, Sencelles, Sant Joan, Santanyí und Ses Salines.

In einigen Orten erreicht die Zahl der Häuser, die für Wochenenden oder Ferienzeiten bestimmt sind, sogar zwischen 60 und 70 Prozent gemessen an der Gesamtzahl der Wohnungen und Häuser im Dorf. Spitzenreiter ist das Bergdorf Fornalutx mit einem Anteil von 66,8 Prozent vor Deià (65,2 Prozent), Banyalbufar (62,8 Prozent) und Andratx (60,6 Prozent). Die Daten des INE stammen aus dem Jahr 2021. Seitdem dürfte sich im Zuge der Corona-Pandemie die Lage eher noch verschärft haben.

DIe Orte mit den meisten Zweitimmobilien auf der Insel - prozentual gesehen. Vivienda principal sind hier die Hauptwohnsitze, no principal die Zweitwohnungen.

DIe Orte mit den meisten Zweitimmobilien auf der Insel - prozentual gesehen. Vivienda principal sind hier die Hauptwohnsitze, no principal die Zweitwohnungen. / DM

Immobilienpreise steigen weiter

Während Branchen wie der Tourismus, das Baugewerbe und das Gastgewerbe von diesem Umstand profitieren, warnen Wissenschaftler vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer so hohen Zahl von Wohnungen, in denen die Menschen nur sporadisch leben.

Die wohl gewichtigste Konsequenz ist ein Anstieg der Wohnungspreise. "Je begehrter der Besitz einer Immobilie ist, desto mehr steigt der Preis. Dies gilt insbesondere für Zweitwohnungen, die früher ein Vermögenswert mit Freizeitwert waren und heute ein mögliches Spekulationsobjekt", meint Geografie-Professor Antoni Artigues von der Balearen-Universität.

Junge Menschen ziehen weg

Die Folge daraus ist, dass vor allem junge Menschen es sich nicht mehr leisten können, in ihren Heimatorten die Miet- oder Kaufpreise zu bezahlen und wegziehen müssen. Laut dem Geografen Macià Blázquez von der UIB sind von der Gentrifizierung aber nicht nur jüngere Menschen betroffen, sondern auch die Arbeiterklasse im Allgemeinen und besonders Menschen, die wirtschaftlich schwächer dastehen.

Die Daten der INE-Bevölkerungszählung belegen diese Wanderungsbewegungen. Banyalbufar, Escorca, Estellencs, Felanitx und Fornalutx verloren 2021 im Vergleich zu 2011 an Einwohnern mit spanischer Nationalität.

Der Geograf Macià Blázquez.

Der Geograf Macià Blázquez. / Manu Mielniezuk

Zu wenige Arbeitsplätze

Die Probleme in den Gemeinden sind häufig dieselben: wenig spezialisierte Arbeitsplätze, ein Schwerpunkt auf Beschäftigung im Dienstleistungsbereich und der Instandhaltung oder Betreuung von Ferienimmobilien. "Ebenso gibt es oft ernsthafte Probleme dabei, die Grundversorgung aufrechtzuerhalten", sagt Blázquez.

Das Ungleichgewicht zwischen Haupt- und Zweitwohnungen ist vor allem ein Produkt der vergangenen zehn Jahre. Bei der letzten Wohnungszählung im Jahr 2011 überstieg lediglich in Deià die Zahl der Wochenend- oder Ferienhäuser die der Dauerwohnsitze. Jetzt sind 13 weitere Gemeinden hinzugekommen.

Politik nimmt sich des Problems nicht an

Das beweise eindrucksvoll, dass die Politik hier nicht eingegriffen habe, um entgegenzusteuern. "Die Politik fördert lediglich weiteres Wachstum. Das gerade verabschiedete Wohnungsdekret ist ein Beispiel dafür. Es sollten aber Maßnahmen entwickelt werden, um die Wohnungspreise zu regulieren und Ferienvermietungen in überlaufenen Gebieten zu verhindern", findet Blázquez.

"Seit 2020 verzeichnen wir auf den Balearen einen vierten Tourismusboom, der vor allem finanziell und von Investitionen motiviert ist; es sind nicht mehr die Zeiten des Hoteltourismus, der natürlich weiterhin wirtschaftlich wichtig ist." Die Mallorquiner, Kinder oder Enkelkinder derer, die im Seat 600 von Palma aus zu ihrem bescheidenen Landhaus fuhren, stießen aber zunehmend ihr Immobilienvermögen ab, sagt Antoni Artigues.

Das Landhäuschen für Tausende Euro pro Woche vermieten

"Sie verkaufen die Häuschen an Ausländer oder behalten sie, aber - ob legal oder nicht - setzen dann auf die Ferienvermietung. Ich kenne Fälle von Menschen aus Llucmajor, die in der Hochsaison im Haus ihrer Eltern wohnen, weil sie ihr Landhaus für Tausende von Euro pro Woche vermieten, und in der Nebensaison kehren sie in das Haus zurück", erklärt Artigues.

Antoni Artigues.

Antoni Artigues. / Joan Estrany

Die vielen Zweitwohnungen hätten auch gravierende Auswirkungen auf die Insel: "Lärm, Lichtverschmutzung, eine Zunahme von Müll, von Verkehr oder auch eine Landwirtschaft, die nur noch als Souvenir betrachtet wird."

Im Südosten noch das meiste Bauland vorhanden

Auch werde gerade im Südosten von Mallorca viel Landschaft für den Bau von Villen und Pools zerstört, gibt Geograf und Mitglied der inzwischen aufgelösten Naturschutzvereinigung Terraferida, Mateu Vic, zu bedenken. "Ich weiß nicht, ob dieser Bauboom die Ursache oder die Folge der Campos-Autobahn ist, aber es ist klar, dass sie etwas damit zu tun hat", sagt er. In diesem Teil der Insel gebe es noch das meiste Bauland.

Vic hat in Santanyí zwischen 2015 und 2021 insgesamt 288 neue Villen und 418 Pools gezählt. In der Gemeinde Ses Salines waren es 57 neue Häuser und 85 Pools. In Campos kalkuliert Vic mit 288 neuen Häusern und 305 Swimmingpools, und in Felanitx stehen 111 neue Immobilien und 162 Pools zu Buche.

Auswirkungen auf die Psyche der Einheimischen

Zu all dem kämen Auswirkungen auf die Psyche der Mallorquiner. Über diese werde selten gesprochen. Der Geographieprofessor Pere Salvà bezieht sich da vor allelm auf das Gefühl der Entwurzelung und des Unbehagens aufgrund des Verlusts der eigenen Kultur.

"Was verschwinden wird, ist ein bestimmtes Mallorca und mit ihm bestimmte Mallorquiner. Für die Menschen meiner Babyboomer-Generation ist das eine Tragödie, aber historisch gesehen ist es ganz normal. Die muslimischen Mallorquiner verschwanden, als die feudalen Katalanen kamen", sagt Salvà.

Der Geograph glaubt nicht daran, dass die Mallorquiner am Ende alles verkaufen werden, "weil man streng genommen nicht alles verkaufen kann", aber er weist darauf hin, dass für die Probleme und Defizite auf der Insel "wir verantwortlich sind, ich will nicht sagen schuldig, aber wir Mallorquiner selbst sind ein sehr wichtiger Teil der Probleme. Wir schreiben die Geschichte, nicht immer unter den Bedingungen, die wir gerne hätten, aber wir schreiben sie".

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