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Bin ich mein Körper?

MZ-Kolumnist Juan José Millás macht sich Gedanken über sein Verhältnis zu seinem Körper

Präparierte menschliche Körper und Organe in der Ausstellung "Bodies".

Präparierte menschliche Körper und Organe in der Ausstellung "Bodies". / Pere Joan Oliver

Der Körper vergeht, wie eine Kerze, durch bloßen Gebrauch. Jeden Tag erlöschen weltweit 150.000 Körper. „Die Toten sind tot, es ist vorbei, es gibt kein Gegenmittel“, sagte Blas de Otero in einem berühmten Gedicht. Und was war dann Körper? Für mich war er eine Art Wohnung, in der ich mein Leben verbrachte. Ich habe mich um ihn gekümmert und ihn vernachlässigt. Für ihn habe ich etwa aufgehört, zu rauchen und zu viel zu trinken.

Er hat auch für mich etwas getan, das muss ich fairerweise sagen. Dank seiner Beine konnte ich lange Spaziergänge machen, und das tue ich noch immer, denn das ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Dank seines Geruchssinns erinnere ich mich noch an den Geruch von Muttermilch und an den Geruch meines Kinderzimmers. Dank seines Geschmackssinns erinnere ich mich zum Beispiel an den Geschmack der Vaginalflora meiner Mutter, als sie mich geboren hat. Die Ärzte sagen, dass das Baby während der Geburt einen Mix an Bakterien schluckt, der für den Aufbau des Mikrobioms notwendig ist. Manchmal, wenn ich einen sehr schmalen Gang entlanggehe, rieche ich den Geruch des Meeres, den Geruch von Seetang, und ich stelle mir vor, dass es so riecht wie in der Gebärmutter.

Nicht überlebt den Körper

Ich weiß, dass nichts den Körper überlebt – weder das Selbst noch das Bewusstsein noch das Gedächtnis noch das Verlangen. Und doch behaupte ich, dass der Körper ein Ort war (und immer noch ist), an dem das Selbst, das Bewusstsein, das Verlangen und das Gedächtnis ihren Platz hatten. Sie sind also nicht unabhängig.

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Ich weiß, dass ich mein Körper bin, aber ich fühle gleichzeitig, dass ich in diesem Körper lebe. Dieser Widerspruch verunsichert mich zuweilen. Dann nehme ein Beruhigungsmittel und schlafe ein – oder besser gesagt, mein Körper schläft ein, während ich mich in den seltsamen Tiefen des Schlafes herumtreibe.

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