Der große Tag ist da: Real Mallorca steht im Pokalfinale und die Insel hat die Lizenz zum Durchdrehen

Am Samstag steht das Spiel der Spiele gegen Athletic Bilbao an. Die Fans sind jetzt schon völlig aus dem Häuschen. Schließlich haben sie viele Jahre darauf gewartet, das Trikot wieder mit Stolz tragen zu können

Wenn es gut läuft, kommen die sonst so zurückhaltenden Mallorquiner auch mal aus sich raus. Hier empfangen die Fans die Spieler von Real Mallorca vor dem Aufstiegsspiel 2022.

Wenn es gut läuft, kommen die sonst so zurückhaltenden Mallorquiner auch mal aus sich raus. Hier empfangen die Fans die Spieler von Real Mallorca vor dem Aufstiegsspiel 2022. / GUILLEM BOSCH

Ralf Petzold

Ralf Petzold

„Illa, illa, illa – nos vamos a Sevilla.“ So lautet der Schlachtruf der Real-Mallorca-Fans für das Fußball-Pokalfinale am Samstag (6.4.) in der andalusischen Metropole gegen Athletic Bilbao. Das ist vergleichbar mit dem deutschen Slogan „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“.

Die Euphorie auf der Insel ob des ersten Endspiels seit 2003 ist riesig. Damals holten die Mallorquiner mit einem 3:0 gegen Huelva den Henkelpott. Neben dem Sieg der Supercopa 1998 ist es der einzige Pokal im Trophäenschrank. Die Hoffnung ist groß, dass am Wochenende der dritte hinzukommt. Der Regionalsender IB3 kündigt im Programm nach der Spielübertragung bereits die Sendung „Glückwunsch, Champions! Wir haben den Pokal“ an.

"Freigenommen, weil ich nur ans Finale denken kann"

„Ich bin jetzt schon völlig aufgeregt, obwohl noch ein paar Tage hin sind“, sagt die 21-jährige Mallorquinerin Raquel Nacha, die auf TikTok knapp 40.000 Followern erzählt, wie Real Mallorca spielt. „Ich habe mir freigenommen, weil ich derzeit nur an das Finale denken kann.“

Wie ihr geht es vielen Fans. In einem Endspiel zu stehen und vielleicht sogar den Pokal zu holen, ist Balsam auf die lange so geschundene Insulaner-Seele. Real Mallorca hat in den vergangenen 20 Jahren viel durchgemacht, von ständigen Eigentümerwechseln über Finanzkrisen bis hin zum Absturz in die dritte Liga. Jetzt ist der Club wieder da.

Fan-Nachwuchs: die TikTokerin Raquel Nacha.  | F.: PRIVAT

Fan-Nachwuchs: die TikTokerin Raquel Nacha. | F.: PRIVAT / Ralf Petzold

Die mechanische Ensaimada

Zuletzt waren die Mallorquiner um die Jahrtausendwende derart stolz auf ihren Verein. 16 Spielzeiten lang hielt sich Real Mallorca seit 1997 in der ersten Liga. Daniel Güiza, Miguel Ángel Nadal oder Samuel Eto'o spielten in dieser Zeit für die Teufelskicker. Der Argentinier Héctor Cúper, der wie ein Gott bei den mallorquinischen Fans verehrt wird, galt als Gründervater des Aufschwungs. Die „mechanische Ensaimada“ nannte man seine Truppe, weil sie wie ein Uhrwerk auf den Punkt Leistung abrief.

Selbst als Cúper zum damaligen Spitzenclub FC Valencia wechselte, ebbte der Erfolg nicht ab. 2001 zog Real Mallorca unter Luis Aragonés, einer Legende des spanischen Fußballs, in die Champions League ein. Dort scheiterte der Verein in der Gruppenphase unter anderem am FC Schalke 04.

Seifenoper im Vorstand

Mitte der 2000er-Jahre begann der stete Abstieg des Vereins, eingeläutet durch das Chaos in der Vorstandsetage. Der Club wechselte mehrfach den Besitzer, die Anteilsrechte wurden immer weiter zerstückelt. Auf den Baulöwen Vicenç Grande folgte der frühere Club-Präsident Mateu Alemany. Er kaufte die Rechte und gab sie direkt an die Madrider Unternehmerfamilie Martí Mingarro weiter. Die war mit dem Verein völlig überfordert und trat wenig später vom Kaufvertrag zurück.

Fußballer und Trainer bekamen eine Zeit lang kein Gehalt mehr ausgezahlt. Real Mallorca häufte 60 Millionen Euro Schulden an. Trainer Gregorio Manzano, der beim Pokalsieg 2003 an der Seitenlinie stand, trat 2010 nach seiner zweiten Amtszeit zurück. Bei seiner Rückkehr 2013 konnte er den stark abstiegsbedrohten Club nicht retten.

Utz Claassen steigt ein

Mittlerweile war Utz Claassen beim Inselclub eingestiegen. 2010 kaufte der Hannoveraner Unternehmer erstmals Anteile des Erstligisten. Gemeinsam mit seiner Frau stockte er sie nach und nach auf. 2014 stieg er zum Präsidenten und Geschäftsführer des damaligen Zweitligisten auf. Claassen versprach, aus dem Verein eine europäische Marke zu machen. Es sollten leere Worte bleiben. In diesen Jahren gab Real Mallorca ein erbärmliches Bild ab. Die zerstrittenen Aktionäre fielen übereinander her. Auf sportlicher Ebene ging es immer weiter bergab. Statt Aufstiegskampf bangten die Mallorquiner jedes Jahr um den Klassenerhalt.

Die US-Amerikaner übernehmen

Mit dem Verkauf des Vereins an ein US-amerikanisches Eigentümergespann im Januar 2016 nahm die Seifenoper im Vorstand ein Ende. Neuer Chef war Robert Sarver, dem damals der NBA-Club Phoenix Suns gehörte. An seiner Seite standen unter anderem der Ex-Basketballer Steve Nash und Ex-Tennisprofi Andy Kohlberg. Im MZ-Antrittsinterview versprach Kohlberg, die sportliche Achterbahnfahrt zu beenden.

Das klappte erst einmal nicht. Die Fußballer spielten nicht besser. Im Gegenteil: 2017 stieg Real Mallorca in die dritte Liga ab. Paradoxerweise sollte sich das als Glücksfall herausstellen. Die US-Eigentümer machten reinen Tisch und räumten im Verein ordentlich auf. Unter Trainer Vicente Moreno folgte ein märchenhafter Durchmarsch in die erste Liga, wo sich Real Mallorca seit 2021 wacker schlägt.

Sexismus-Debatte um Robert Sarver

Der US-amerikanische Sportunternehmer Robert Sarver hat nach einer Sexismus-Debatte seine Anteile sowohl an dem NBA-Club Phoenix Suns als auch an Real Mallorca mittlerweile verkauft. Neuer Chef und Präsident beim Inselclub ist Kohlberg. Er setzt auf ein Sport-Erlebnis nach US-Vorbild im rundum erneuerten Stadion.

Sein Versprechen, die Achterbahnfahrt zu stoppen, hat er eingelöst. Sportlich wie finanziell stehen die Mallorquiner im Mittelfeld der Liga. Das Erreichen des Pokalendspiels ist der Lohn der Arbeit und keine einmalige Sensation.

Mathias Röpke hat das RCD-Fieber gepackt.  | F.: PRIVAT

Mathias Röpke hat das RCD-Fieber gepackt. | F.: PRIVAT / Ralf Petzold

Kein moderner Fußball

Verantwortlich für den sportlichen Erfolg ist in erster Linie der mexikanische Trainer Javier Aguirre, der gewiss den Fußball nicht neu erfunden hat. Seine Spielweise ist altmodisch, überspitzt gesagt ein wenig langweilig. Fast die komplette Mannschaft sorgt dafür, eine Mauer vor dem eigenen Tor zu errichten. „Aguirre taufte es Tequila-Fußball“, sagt TikTokerin Nacha. „Der Ball wird auf die Flügel gespielt, von dort vor das Tor geflankt und Stürmer Muriqi hält seinen Kopf hin. So einfach ist das.“

Dabei ist es noch nicht mal klar, ob Mallorcas bester Angreifer im Finale spielen wird. In den ersten Runden im spanischen Pokal agieren die meisten Teams mit einer B-Elf, um die Stammspieler für die Liga zu schonen. Da größtenteils Ersatzleute für den Einzug ins Endspiel sorgten, belohnt sie Aguirre und wird wohl nun auch auf sie setzen. Das sind in erster Linie der zweite Torwart Dominik Greif, der sich im vergangenen Ligaspiel gegen Valencia am Samstag (30.3., 0:0) warmspielen durfte, sowie das Sturmduo Cyle Larin und Abdón Prats.

Flugticket früh gekauft

„Auch wenn wir in der Liga zuletzt 0:4 von Bilbao abgeschossen wurden, erwarte ich ein ausgeglichenes Spiel“, sagt Nacha. „Natürlich gehen die Basken als Favoriten ins Spiel. Aber die Rolle hatten auch Girona im Viertelfinale sowie Real Sociedad im Halbfinale inne, und wir haben sie geschlagen.“

Sie selbst hat noch in der Nacht, als Real Mallorca ins Finale einzog, ihr Flugticket nach Sevilla gekauft. Keine schlechte Wahl, wenig später waren alle Plätze vergriffen. Gefühlt will die halbe Insel nach Andalusien reisen. Knapp 1.000 Euro kostet mittlerweile das Gesamtpaket aus Flug, Unterkunft, Eintrittskarte und Verpflegung, rechnete der Finanzvorstand des Teams, Alfonso Díaz vor.

Erfolgsfans

„Gut, aber auch schlecht“, nennt Nacha die Begeisterung, die das Team nun entfachte. „Es ist zwar schön, dass Real Mallorca nun im Fokus steht. Auf der anderen Seite sind das aber Erfolgsfans. Als wir in der zweiten Liga gespielt haben, kam kaum jemand ins Stadion.“ Im Falle eines Pokalsiegs will die junge Mallorquinerin dennoch alle um sie herum umarmen. „Ich werde auf jeden Fall heulen.“

Auch bei den Deutschen rückt Real Mallorca immer mehr in den Fokus. Die MZ erreichten mehrere Anfragen, wie man einem Fanclub beitreten könne. Mathias Röpke aus Hamburg hat keine Inselimmobilie und ist nur sporadisch zum Urlaub da. Noch zu Zweitligazeiten habe er sich in Real Mallorca verguckt und sich da regelrecht reingesteigert. „Meinen Bekannten geht es auf den Zeiger, wenn ich wegen Spielen Termine absage. Ich habe seit Jahren keine Begegnung verpasst, war aber bislang nur einmal im Stadion – passenderweise gegen Bilbao.“

Im Gegensatz zu den Erfolgsfans ist der Deutsche weitsichtiger. „Ganz so traurig wäre ich über eine Niederlage im Finale nicht. Natürlich wäre die Qualifikation für den internationalen Wettbewerb schön, aber der Klassenerhalt ist wichtiger. Und da trügt die Sicherheit ein wenig.“ Acht Spiele vor Saisonende beträgt der Vorsprung sechs Punkte. Am Samstag (13.4.) kommt Tabellenführer Real Madrid auf die Insel. Bis dahin ist der Kater bei einem Pokalsieg hoffentlich ausgeschlafen.

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